»Hailey! Warte doch bitte«, hörte ich Tyler hinter mir rufen, doch ich blieb nicht stehen. Ich rannte wie eine Wahnsinnige und ich wagte es erst, wieder zu atmen, als ich vor dem Haus meiner Eltern ankam.
- Kris Allen / Lost
Und du bist dir wirklich sicher?«
Ich nickte mechanisch, auch wenn ich mir alles war, aber nicht sicher. Vor fünf Jahren hatte ich mir geschworen, dass ich die Vergangenheit hinter mir lassen und nach vorn blicken würde. Doch jetzt?
Die Aussicht, endlich meinen Plan in die Tat umzusetzen, war zu verlockend gewesen und ich wusste, dass der Zeitpunkt gekommen war, auch wenn es mich innerlich beinahe zerriss.
Ich war schon lange nicht mehr die Frau von damals, die ihren Heimatort fluchtartig verlassen hatte.
Ich seufzte, während ich meiner Freundin in die Augen sah. »Ich weiß es nicht, Kate. Es ist … Ich habe geglaubt, dass ich hier glücklich werden könnte, aber sieh mich an. Mein Job ist beschissen und außer dir hält mich hier nichts. Ich kenne niemanden.«
Kate war ahnungslos, sie wusste nichts über meine Vergangenheit und es war besser so. Bisher gab es keinen einzigen Menschen, dem ich erzählt hatte, was damals passiert war, und ich wusste genau, sie würde mich niemals gehen lassen, wenn sie wüsste, was ich vorhatte.
»Aber dort schon?«
Ich zuckte mit den Schultern, denn ich wollte nicht noch tiefer in dieses Netz aus Lügen fallen. »Ich stecke hier fest. Beruflich wie auch seelisch. Verstehst du? Vielleicht brauche ich genau das. Eine Reise in die Vergangenheit, um endgültig mit all dem abzuschließen.«
Kate griff nach meiner Hand und allein ihr Blick reichte dafür aus, dass mich der Schmerz einer vergangenen Zeit überrollte. Eine einzige Träne lief meine Wange hinab und obwohl Kate nicht wusste, was in mir vorging, wurde sie blass.
»Hailey? Es tut mir leid, ich wollte nicht …«
Wann würde es endlich weniger wehtun? Wann würde ich endlich in der Lage sein, zu vergessen?
Ich benötigte einen Moment und schaffte es, mich wieder zu fangen. »Es ist okay. Ich muss es tun, verstehst du?«
Auch wenn es ihr widerstrebte, nickte sie. Sie war der unglaublichste und verständnisvollste Mensch, den ich seit Langem getroffen hatte. Damals war ich geflohen, hatte einen Ausweg gesucht, doch keinen gefunden. Mir war alles genommen worden, als ich geglaubt hatte, alles zu besitzen. Und auf einmal hatte ich mich betäubt in der Psychiatrie vorgefunden, allein. Die ersten Tage hatte ich nur schemenhaft wahrgenommen, bis ich in Kate, einer Psychologin, eine Freundin gefunden hatte. Auch nachdem ich entlassen worden war, war sie da gewesen.
Sie half mir aus der Dunkelheit, brachte mich einige Monate später wieder zum Lachen und es gelang ihr in langsamen Schritten, wieder einen Menschen aus mir zu machen. Ich verdankte ihr mein Leben, weshalb es mich nun umso mehr schmerzte, dass ich sie hier zurücklassen musste.
»Ich werde dich anrufen, so oft es nur geht. Ohne dich wäre mein Leben nur halb so schön, das weißt du doch, oder?«
Kate versuchte sich an einem Lächeln, doch ich erkannte, wie sehr sie sich um mich sorgte.
Meine Koffer waren gepackt, der Mietvertrag gekündigt und mein Herz blutete. Obwohl ich es mir einreden wollte, konnte ich mir nur schwer vorstellen, wieder an den Ort zurückzukehren, an dem alles seinen Lauf genommen hatte. An dem ich die Liebe gefunden und wieder verloren hatte. An dem ich gebrochen wurde und von einem auf den anderen Tag alles aufgeben musste, an das ich je geglaubt hatte.
- Beyoncé / Halo
Als ich in die Schule kam, schien alles anders zu sein. Ich wusste nicht, was genau sich verändert hatte, doch ich spürte die Blicke der anderen auf mir, als ich durch die Tür trat.
Hilfe suchend griff ich nach dem Henkel meiner Tasche und umfasste ihn fester. Versuchte, zu ignorieren, was hier gerade vor sich ging, und lief zu meinem Spind. Gerade als ich ihn geöffnet hatte, wurde er wieder zugeknallt. Erschrocken machte ich einen Satz nach hinten und stand Bethany gegenüber.
Sie war perfekt. Captain des Cheerleader-Teams, lange blonde Haare, ein kurzes Kleid, das scheinbar nur für ihren schlanken Körper gemacht worden war. Alles an ihr war perfekt und doch war sie das bösartigste Wesen, dem ich je begegnet war.
Monatelang hatte ich beobachtet, wie sie einige Mitschüler schikaniert hatte, und war froh, dass ich nicht in ihr Blickfeld geriet. Doch jetzt sah sie mich aus zusammengekniffenen Augen an und mir klopfte das Herz bis zum Hals.
Scheiße, absolute Scheiße.
»Mir ist da etwas zu Ohren gekommen«, sagte sie und presste ihren Kiefer aufeinander.
Ich schluckte. »Okay. Und was?«
»Er gehört mir, Schlampe! Egal, was du auch versuchst, du kannst es vergessen. Sieh dich doch an.« Bethany hob angewidert eine Augenbraue und deutete an meinem Körper entlang. »Glaubst du wirklich, dass er so etwas mir vorzieht? Ich weiß nicht, was genau du getan hast, dass er auf dich angesprungen ist, aber ich warne dich nur ein einziges Mal. Du wirst es bitter bereuen, wenn du nicht die Finger von ihm lässt.«
»Redest du von Tyler?«, fragte ich leise und hatte Mühe, das Zittern meiner Hände zu kontrollieren. Zurück war das kleine Mädchen, das sich im Kleiderschrank vor den Monstern unter ihrem Bett versteckt hatte, und dieses Mal war Bethany das Monster. Sie jagte mir eine Scheißangst ein.
Wie hatte ich glauben können, dass unser Kuss nicht die Runde machen würde? Und schon hatte ich den Grund, wieso ich gern unsichtbar für all die anderen Menschen war. So konnten sie mich zumindest nicht verletzen und mir wäre das hier erspart geblieben.
Bethany kam einen Schritt auf mich zu und ich ging atemlos noch einen zurück.
»Was ist hier los?« Bei der tiefen Stimme, die mir eine Gänsehaut verursachte, schloss ich kurz die Augen. Ich wünschte, ich hätte sie nicht wieder geöffnet, dann wäre mir Bethanys Anblick erspart geblieben.
Ihre widerliche Fratze verwandelte sich in einen zuckersüßen Gesichtsausdruck und ich hätte ihr am liebsten vor die Füße gekotzt. »Tyler, Baby. Hailey und ich haben uns nur nett unterhalten. Du weißt ja, wie wir Mädchen sind«, beantwortete sie kichernd seine Frage.
»Hail, ist alles in Ordnung?«, wandte er sich an mich und bei der Abkürzung meines Namens wurde mir wohlig warm. Als ich ihm keine Antwort gab, spürte ich plötzlich seine Hand auf meiner Schulter und ein Stromschlag schoss durch meinen Körper. Am liebsten hätte ich laut geschrien, als mir bewusst wurde, dass er mich so unglaublich durcheinanderbrachte, dass ich mich kaum wiedererkannte. Ich lachte leise, als ich daran dachte, dass ich mich vielleicht auch in dieses liebreizende Bethany-Monster verwandeln könnte.
Seine Präsenz warf mich völlig um. Es war … unglaublich und als ich zu ihm aufsah, wackelte der Boden unter meinen Füßen. Tyler erschütterte meine Welt. Seine Augen taten es. Sein Lächeln. Alles an ihm.
Er räusperte sich und sah dann wieder zu Monster-Bethany, deren Maske kurz verrutscht war, sich bei seiner Aufmerksamkeit jedoch schnell wieder fing. »Du lässt sie in Ruhe, haben wir uns verstanden? Ganz egal, was du hier versuchst, du ziehst den Kürzeren. Ich will dich nicht, und das sollte mittlerweile in deinem minderbemittelten Hirn angekommen sein. Falls nicht, sage ich es dir gern noch einmal: Ich kann auf eine solche Barbie, wie du es bist, gut und gern verzichten.«
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