„Zu irgendetwas muss er ja zu gebrauchen sein“, sagte Ulrich resigniert und wandte sich wieder Valten zu, der die Diskussion zwischen Vater und Sohn schweigend verfolgt hatte.
Rudger zuckte nur mit den Schultern. Er stand auf und wollte wieder hinausgehen, denn hier schien alles gesagt. Er würde sich in den Konflikt zwischen seinem Vater und Arnald nicht einmischen, denn in Kürze wäre er selbst hier wieder weg. Seinen Plan, in den Deutschherrenorden einzutreten, hatte er nicht aufgegeben. Sobald sich eine günstige Gelegenheit bot, hier abzuhauen, würde er sie wahrnehmen.
Kurz bevor er die Tür erreicht hatte, trat ihm Matilda in den Weg. „Die Dinge scheinen manchmal anders, als sie sind, mein Sohn“, sagte sie geheimnisvoll. Dann strich sie ihm mit ihrer Hand kurz über die Wange. Mit einem leichten Lächeln wandte sie sich ab und verschwand in Richtung Küche.
Verwirrt über das eigenartige Verhalten seiner Mutter blieb Rudger einen Moment wie angewurzelt stehen. Dann schüttelte er sich kurz und ging hinaus in den Hof.
Gleißendes Sonnenlicht empfing ihn und die schwirrende Hitze des Mittags lag über dem Gutshof. Die Schweine hatten sich in ihren Verschlag in den Schatten zurückgezogen, nicht einmal das Suhlen in der Schlammkuhle, die hinter dem Stall angrenzte, konnte sie locken. Der Hahn versuchte, seinen Harem durch Krähen zusammenzuhalten. Aber die braunen Hennen zogen es vor, am Rand der Mauer leise gackernd in der kühlen Erde nach Würmern zu scharren.
Rudger ging in die Mitte des Hofes. Vor dem Brunnen, der von großen Haselsträuchern umgeben war, blieb er stehen. Eine kleine Abkühlung konnte auch ihm nicht schaden. Er nahm den Eimer und ließ ihn in die Tiefe hinab. Nach wenigen Augenblicken spendete ihm das kalte Wasser, das er über Gesicht, Hals und Arme rieseln ließ, eine willkommene Erfrischung. Benno, der große Hofhund gesellte sich zu ihm und winselte leise. In Ywen wurde der Wachhund nicht an eine Kette gelegt. Das hatte seine Mutter untersagt. Und so kam es, dass der Mischlingsrüde sehr zutraulich war. Rudger kraulte Benno hinter dem Ohr, was dieser mit einem warmen Blick aus seinen braunen Hundeaugen honorierte. Dann hielt er ihm den Einer hin und das Tier schlabberte mit seiner langen Zunge das köstliche Nass.
„Nun troll dich, Benno. Und lasse keine ungebetenen Gäste herein.“ Es schien, als hätte der Hund seine Aufgabe genau verstanden. Er ließ ein kurzes Bellen hören, dann trottete er langsam zurück zu seiner Hütte, die direkt neben dem Torhaus im Schatten der Mauer stand. Gähnend ließ er sich nieder und begann in der Hitze vor sich hin zu dösen. Doch das Spiel seiner Ohren zeigte, dass ihn nicht einmal die kleinste Regung entgehen würde.
Rudger setzte sich an den Rand des Brunnens, und die Kühle des Wassers wehte leise zu ihm herauf. Irgendwie hatte er keine Lust mehr, zur Kirche zu gehen. Der Weg dahin in der prallen Hitze der Mittagssonne erschien ihm auf einmal zu beschwerlich und er konnte die anderen verstehen, die sich in der dunklen Halle aufhielten. Da bemerkte er, wie seine Mutter aus dem Haus kam. Sie schaute sich verstohlen um und ging schnellen Schrittes an der Mauer entlang zu der kleinen Tür, die in das große Eingangstor eingelassen war. Rudger hörte noch, wie sie ein paar Worte mit dem alten Wächter wechselte, dann entschwand sie seinen Blicken. Er maß der Sache keine große Bedeutung bei, wahrscheinlich ging sie in den Kräutergarten hinter der Mauer des Gutshofes. Nicht weiter darüber nachgrübelnd, hing er seinen Tagträumen nach.
Hufgetrappel und lautes Reden am Torhaus ließen ihn aus seiner Trägheit erwachen. Kurz darauf ritt Hencke in den Hof. Benno rannte auf ihn zu und sprang bellend an der Seite des Pferdes hoch, so dass der Ritter Mühe hatte, seinen Hengst unter Kontrolle zu halten. „Schick den Köter weg, ehe ich ihm den Schädel eintrete“ herrschte er Rudger an, auch wenn er so etwas niemals tun würde. Der Templer rief Benno zurück und der Hund gehorchte umgehend und trollte sich in seine Hütte.
„Wo ist Jorge?“, fragte Hencke ohne weitere Begrüßung.
„Danke, auch dir einen guten Tag, Hencke“, antwortete Rudger und Ironie schwang in seiner Stimme mit. „Was willst du von Jorge?“
„Das sag ich ihm dann schon selbst“, schnauzte der Schellenberger zurück.
Das Verhältnis zwischen Rudger und Hencke hatte sich im Verlaufe der letzten Monate merklich abgekühlt, obwohl sie schon vorher nicht gerade freundschaftlich verbunden gewesen waren. Immer wieder war Rudger nach Lichtenwalde gegangen, um Templer aus Frankreich oder dem Rheinland in Empfang zu nehmen. Er geleitete sie bis an die Bierstraße, welche sich zwischen dem Besitz der Schellenberger und dem von Ywen dahinzog. Ihr Treffpunkt zur Übergabe war ein großer Stein, der wage die Form eines Kreuzes zeigte. Die Leute der Gegend nannten ihn Weisen Stein, denn die Legende sagte, dass ihn einst der Ritter Falk von Schellenberg hier zur Sühne hatte aufstellen lassen, da einer seiner Waffenknechte am Tode eines aufrechten Ritters schuld gewesen war. Genau hier übernahm Hencke die Templer und brachte sie übers Gebirge zur Isenburg. Dort wurden sie wohl von Leuten aus dem Böhmischen abgeholt, aber so genau wusste das Rudger nicht. Hin und wieder hatte er zusammen mit Jorge, Endres und Valten den Schellenberger ins Gebirge begleitet und ein, zwei Tage auf der Isenburg verbracht.
Bei ihren Aufenthalten in Lichtenwalde war er immer wieder Agnes begegnet. Aber auch der Schellenberger schien an dem Mädchen Gefallen zu finden. Die ständigen Anspielungen des Ritters, Heidenreich wäre einer Verbindung nicht abgeneigt, ärgerten Rudger. So sehr er sich auch einzureden versuchte, wie gleichgültig es ihm sei, wem Nes ihre Zuneigung schenken würde, gegen den Stachel der Eifersucht in seinem Herzen konnte er sich nicht erwehren. Auch wurmte es ihn, dass Hencke das volle Vertrauen des alten Ritters besaß. Der älteste Sohn Heinrichs von Schellenberg war ein mutiger Mann, der zu seinem Wort stand. Doch war er auch unberechenbar und seine Handlung oft von einer Wildheit getrieben, die selbst Rudger hin und wieder erschauern ließ.
„Was gibt es so Wichtiges, weil du extra hierherkommst?“, ließ Rudger nicht locker. „Jorge hat gerade zu tun.“ Das Bild seines Ritterbruders mit einem Schnitzmesser in der Hand zog vor seinem geistigen Auge vorüber, und ein ironisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
Hencke sprang von seinem Pferd. Er war nur mit einer leichten Tunika bekleidet, denn die Hitze des Tages hätte das Tragen eines Kettenpanzers zur Tortur gemacht. Nun, da er nicht gerade in eine Schlacht zog, wenn er nach Ywen ritt, wählte er nur ein Schwert, das er mit einem Wehrgehänge um seine Hüften geschnallt hatte, und einen Morgenstern, in dessen Handhabung er ein Meister war.
Er baute sich genau vor Rudger auf. Die beiden Männer waren nahezu gleich groß und auch die Breite ihrer Schultern unterschied sie nicht wesentlich voneinander. Der eine hatte welliges schwarzes Haar, der andere dunkelblonde Locken. Hencke maß Rudger mit einem überheblichen Blick. Doch dieser blieb ihm nichts schuldig und starrte zurück. Nach einer Weile wandte sich Rudger ab und schlenderte wieder zum Brunnen, wo er sich hinsetzte.
„Bist du jetzt fertig damit, hier den Platzhirsch zu spielen“, fragte er mit ruhiger Stimme. Zunächst sah es aus, als wolle Hencke aufbrausen, besann sich dann aber.
„Es gibt eine Hasenjagd auf Schellenberg. Mein Vater ist wie versessen darauf, durch den Wald zu reiten und hilflosen Kreaturen nachzustellen.“ Er schnaubte verächtlich. „Er will, dass dein Vater mit ihm kommt.“ Er machte eine kurze Pause. „Außerdem will ich Jorge mit auf die Isenburg nehmen.“
„Wieso?“, fragte Rudger erstaunt.
„Er bat mich darum.“ Hencke lachte. „Der Grund dafür ist einfach lächerlich“, fuhr er fort. „Aber er meint, er sei aus einer gänzlich waldlosen Gegend. Er liebt den Wald, und der um meine Burg herum hat es ihm besonders angetan.“
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