Anita Florian - Die Ungeliebten
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Anita Florian
Die Ungeliebten
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Inhaltsverzeichnis
Titel Anita Florian Die Ungeliebten Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1, im Jahr 1969
Kapitel 2
Kapitel 3, Vor 6 Jahren 1963…
Kapitel 4
Kapitel 5, 1969
Kapitel 6, 1969
Kapitel 7
Kapitel 8, 1968
Kapitel 9, 1969
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Impressum neobooks
Kapitel 1, im Jahr 1969
Die Ungeliebten
1. Teil
Der Nebel wurde immer dichter und hüllte das weite Tal in ein graues Meer. Die Sicht war schon nach zwei Metern abgeschnitten. Die nasse Hauptstrasse schien fast wie leergefegt, schwach glänzte sie im Licht der Straßenbeleuchtung. Ab und zu fuhr ein einsames Fahrzeug entlang, wohl, um schnell nach Hause zu kommen. Scheinwerfer tauchten aus dem Nichts auf und verschwanden genauso schnell wieder. Die Dämmerung setzte ein, rasch begann es dunkel zu werden. Niemand sah die junge Frau am linken Straßenrand, die hinter sich ein kleines Mädchen mitzerrte, sich laufend zu ihr hinabbeugte und immer wieder auf sie einredete. Mitte November, es hatte zu nieseln begonnen, das Wetter verschlechterte sich zunehmend. Die Frau hatte es offensichtlich sehr eilig, riss ständig am Arm des Mädchens, dem es eindeutig zu schnell vorwärts ging. Manchmal glitt ihr Blick an eines der Häuser, wo beleuchtete Fenster, die durch den grauen Nebelschleier trübe durchschimmerten, ein gemütliches Heim verrieten. Ihre Schritte wurden schneller, doch immer wieder blieb sie stehen, das Mädchen konnte kaum mithalten, ihr kleines Gesicht war verzerrt vor Schwäche. Die schmale, junge Frau setzte all ihre Kraft ein, denn sie erstrebte so schnell wie möglich, noch bevor die Schwärze der Nacht sie endgültig einkreiste, ihr Ziel zu erreichen. In der Linken hielt sie die kleine, kalte Hand des kleinen Mädchens und zog unentwegt an ihr. Rechts trug sie eine alte, verschlissene Reisetasche, die aus allen Nähten zu platzen drohte. Sie waren die einzigen Fußgänger, die sich an diesem regnerischen, unfreundlichen Spätnachmittag ins Freie wagten.
Da tauchte wieder ein Scheinwerfer eines Autos auf, die Frau winkte heftig dem Fahrzeug entgegen, aber es brauste schnell mit lautem Motorgeheul vorbei. Vermutlich hatte es der Fahrer eilig, oder er hatte sie bewusst nicht wahrgenommen. Nun waren sie auf ihre Beine angewiesen, die allmählich schwer wurden und zu schmerzen begannen. Vor allem das Mädchen kämpfte tapfer gegen ihre aufsteigende Müdigkeit an. Auch die Schuhe begannen zu drücken. Bald würden ein paar schmerzhafte Blasen an den Versen und Zehen sprießen. Nur keinen Gedanken daran verschwenden, nur rasch vorwärts, dachte die Frau verdrossen, und so ließen sie sich nicht aufhalten. Als sei der Teufel hinter ihnen her, eilten sie voran, nicht die kleinste Verschnaufpause gönnte sich die junge Frau und dem müden, quengelten Kind.
„Müssen wir noch lange laufen? Mama, nicht so schnell… Mama, bitte“, jammerte das Kind ungeduldig. Das Mädchen atmete schnell und blieb auf einmal abrupt stehen. Sie wollte keinen einzigen Schritt mehr vor ihren Fuß setzen. Die junge Frau, die ebenso müde und erschöpft die langen, nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht strich, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, zerrte wieder an der kleinen Hand des Mädchens und trieb es unentwegt an tapfer zu bleiben und weiter zu laufen.
„Bernadette, komm, sieh mal, die Schule, die wirst du nächstes Jahr besuchen, darauf kannst du dich jetzt schon freuen. “ Sie ließ kurz die Hand des Mädchens los und deutete mit dem Zeigefinger kurz nach vorne. Ein helles Gebäude tat sich vor ihnen wie ein Geisterhaus auf. Über der großen Eingangstür stand in riesigen Blockbuchstaben „VOLKSSCHULE“ geschrieben. Durch die Nebelschwaden hindurch sah es beinahe unheimlich aus. Die Mutter versuchte das Kind abzulenken, das Kind aber blickte mit ihren feuchten Augen zu Boden und schüttelte trotzig den Kopf. „Wir haben es bald geschafft, los, vorwärts“, die junge Frau kannte kein Erbarmen, und rief: „Komm, vorwärts los, es dauert nicht mehr lange.“ Mit aller Kraft schlenderte sie den langen Weg mit ihrer Mutter entlang die wieder ihren Arm packte und hart nach vorne mitzerrte.
Nun konnten sie die Abbiegung, die links abzweigte, sehen, das kleine Kino trat in ihr Blickfeld, das ruhig und verlassen am Straßenrand lag. Gleich daneben stand die Schule, hier mussten sie die Straße einbiegen, der größte Teil des Weges lag zum Glück schon hinter ihnen. Den kleinen Ort hatten sie nach der mühsamen Wanderung zu guter Letzt doch noch wohlbehalten erreicht. Sie las die Ortstafel und nickte zufrieden. Sie konnte es kaum glauben und sogen die frische Herbstluft tief in ihre Lungen ein. Beruhigt holte die Frau einen zerknüllten Zettel aus der Manteltasche und warf unter einer Straßenlaterne einen kurzen Blick darauf. Die wichtigsten Informationen hatte sie sich sorgfältig notiert, kleine Skizzen dazugemalt, damit sie auf dem richtigen Weg blieben und sich nicht verirren konnten. Rasch bogen sie in die Linkskurve ab. Wir haben Glück, dachte die Frau, der Weg ist genau richtig und wir haben uns Gott sei Dank nicht verlaufen. Das Mädchen wurde immer unruhiger, ein Gemisch aus Tränen und Regentropfen rann über ihr Gesicht.
„Es ist genug jetzt, lass dich nicht so ziehen und hör auf zu flennen!“ Verärgert riss sie erneut an der Hand des Mädchens das diesmal vor Schmerz aufschrie. Doch die Frau blieb wieder eisern und beschleunigte ihr Gehen. Der Schein der Laternen leuchtete nur noch schwach durch den immer dichter werdenden Nebel. An manchen Stellen war er so dicht, dass der Frau nichts anderes übrig blieb, als häufig nach unten auf die Strasse zu blicken um auf die Schritte zu achten. Sie liefen schnell an der Schule vorbei und steuerten den Bahnübergang zu. Vor der kleinen Kirche blieb die Frau plötzlich stehen und überlegte kurz, ob sie sich bekreuzigen sollte. Sie empfand plötzlich ein Gefühl der Dankbarkeit und Erleichterung, als sie erschöpft vor dem katholischen Gotteshaus inne hielten und es betrachteten als käme jeden Augenblick der Herrgott persönlich durch das geschlossene, hohe Eingangstor. Gott; an ihn hatte sie eigentlich noch nie geglaubt, er existierte nicht, sie hatte sich noch nie vorstellen können, dass es ihn wahrhaftig geben sollte. Nicht mal als einen alten Mann mit strohweißem Haar und langen Rauschebart, konnte sie ihn sich ausmalen so wie es viele Kinder in ihrer Vorstellung zu glauben pflegten. Jetzt als erwachsene überzeugte Konfessionslose empfand sie dies als widersprüchlich, und wahrscheinlich würde dieses Luftzeichen auch überhaupt nichts nützen. Davon war sie felsenfest überzeugt. Aber gerade in diesem Landkreis war es üblich, einer Religion anzugehören, und zwar der weit verbreitete katholische Glauben der geradezu Pflicht war und Außenseiter von denen bekannt war dass sie nie die Türschwelle einer Kirche betreten werden, eher schief angesehen und nicht die beliebtesten Bürger des jeweiligen Ortes waren. Schon als Kind wurde ihr dies von ihrer Mutter beigebracht und zwangen sie schon in der Schule zum Unterricht, den Kaplan Herald mit Strenge und Autorität führte, aufmerksam mitzumachen und gehorsam zu folgen. Es gab kein Entrinnen, jeder hatte seinen Glauben, seine Bekenntnisse mit Ausnahme ihres Vaters Eduard, der sich so weit wie möglich von den christlichen Geboten fern hielt. Widerreden wurden nicht gestattet, Mutter Freya beharrte streng darauf den Kindern die Erziehung angedeihen zu lassen die sie zu anständigen, liebevollen Ehefrauen machen sollten.
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