Der erwachende Mensch wird daher sein Potential dahin entwickeln, all seine Triebe und inneren Handlungen wie Gedankenmechanismen nachvollziehen zu können, um im »Revue-Passieren« sich aller Lebensgewohnheiten zu entledigen, die ihn noch mit Schwere beladen und daran hindern, das Licht der Auferstehung in sich kreisen zu lassen. Eben das heißt auch, sich der Macht bewusst zu werden, Gedanken zu erzeugen, die wie beständig verbundene Bewegungen, eine Komposition hervorbringen: Deine Wirklichkeit.
Wenn wir diese sogenannte seelische Hygiene im Makrokosmos betrachten, vergehen Leben und ganze Epochen darüber, wo wir unsere Gedanken ins kollektive Unbewusste einarbeiten. Wenn das kollektive Bewusstsein so etwas wie eine bemalte Stuckdecke in einer Kapelle ist, ein Schatz an Bildern und Symbolen, wo jeder unserer Schritte und Gedanken eingepflegt werden, und nachhallen, - so wären wir gut bestrebt, diese Malerlandschaft nur mit unserer schönsten Farbe zu besprühen, mit Erbaulichkeit und Kraft, statt mit Zweifel und Ungenügen.
Unsere spirituelle Erde schwitzt ihre Krankheiten aus, d.h. jede Unart, jeder Krieg, jede Umweltkatastrophe ist nur eine Art Mahnbrief, ein Wach-Rütteln, das sie genauso nach Heilung schreit, wie wir. Ein Zeichen, dass eben das Unbewusste, das Dunkle, überladen ist, und sich nun entledigt. Es ist wichtig zu lernen, äußere Symptome durch ein Augenschließen, als Innere zu begreifen, und bei uns anzufangen, wenn wir der Heilung Genüge tun wollen. Es bringt nichts, die Menschen der Kontinente zu separieren, denn das Leid anderer Völker ist genauso unser Anliegen, wie die Artenerhaltung vor der Haustür, wenn es darum geht, einen Wald und einen Lebensraum tausender Arten zu beschützen. Der erwachende Mensch wird daher alles in einem Zusammenhang erkennen, wird seine inneren Verhältnisse im Äußeren wiederfinden, und daher bestrebt sein, der Zukunft mit Liebe furchtlos, und offen gegenüber zu stehen. Denn nur durch die Steigerung seiner Wirklichkeit, kann die andere, noch dämmernde Wirklichkeit relativiert werden. Nur so wird er dem kollektiven Bewusstsein eine Stütze der Erinnerung sein, und wahre Kraft dazugeben, den Gang der Entwicklung voran zu treiben.
Potentialentfaltung ist also Bildung des Verständnisses, ein Vorwärtstreiben, und um symbolisch zu sprechen, ist es der Aufopferungswille des Geistes, die Fackel der Aufklärung über die dunklen Berge dieser Welt zu tragen.
Es geht im Weltentwicklungsprozess darum, sich aus dem einförmigen Denken heraus zu bilden, um unser Sichtfeld, unseren Verständnishorizont zu erweitern; und eben das geht am Einfachsten, - wenn wir vor unserer Haustür anfangen, und die Augen für das Alltägliche öffnen. Wir sollen den Ehrgeiz entwickeln, die Menschen der Straße so sein zulassen, wie sie sind und wie die Natur sie geformt hat, ohne ein Urteil über sie zu fällen, - sie gleichsam wie alles andere in der Natur im Kern zu schauen, das heißt, sie mit dem Herzen zu sehen, als etwas Schönes und Unvergängliches. Da die Liebe immer ein Ganzes ist, und den Kreislauf der ewigen Verwandlung komplementiert, hilft sie uns das Kind in jedem zu erkennen, -und das ist wichtig, - denn Kinder wollen wir doch noch unschuldig sehen und ihnen nichts anhängen. Daraus resultiert auch, dass wir jede hierarchische Brücke einreißen, uns nicht höher als jemand anderes stellen, - und damit jedem die Chance geben, ein Gleichgesinnter, ein Sohn, eine Tochter Gottes zu sein. Es geht also nicht darum, sich der Welt im besonderen Maße aufzuzwingen, und mit breiter Brust zu sagen: „Hier bin ich, schaut mich an, wie schön ich bin.“ Nein darum geht es nicht, - meiner Meinung nach, soll es Bescheidener sein, mit einer selbstlosen Hingabe, dass wir dieses Kompliment lieber unseren Mitmenschen zugestehen und jeden achten lernen, um ihn auch zu sehen. Nur in der Kunst des Schauens, kann die nötige Ruhe entstehen, wo wir uns wirklich verstehen. Also auf zur Weltfamilie! Ich möchte zu diesem Thema ein so großartigen Beitrag von unserem Bruder Hermann Hesse anheften:
» Unrein und verzerrend ist der Blick des Wollens. Erst wo wir nichts begehren, erst wo unser Schauen reine Betrachtung wird, tut sich die Seele der Dinge auf, die Schönheit… So ist es mit den Menschen und ihren Gesichtern auch. Der Mensch, den ich mit Furcht, mit Hoffnung, mit Begehrlichkeit, mit Absichten, mit Forderungen ansehe, ist nicht der Mensch, er nur ein trüber Spiegel meines Wollens. Ich blicke ihn, wissend oder unbewusst, mit lauter beengenden, fälschenden Fragen an: Ist er zugänglich oder stolz? Achtet er mich? Kann man ihn anpumpen? Versteht er etwas von Kunst? … Im Augenblick, da das Wollen ruht und die Betrachtung aufkommt, das reine Sehen, und Hingegebensein, wird alles anders… Denn Betrachtung ist ja nicht Forschung oder Kritik, sie ist nichts als Liebe. Sie ist der Höchste und wünschenswerteste Zustand unserer Seele: begierdelose Liebe… Dann sehen die Menschen anders aus als sonst… Schön und hässlich, alt und jung, gütig und böse, offen und verschlossen, hart und weich sind keine Gegensätze, sind keine Maßstäbe mehr. Alle sind schön, alle sind merkwürdig, keiner mehr kann verachtet, kann gehasst, kann missverstanden werden.« Von der Seele – Hermann Hesse
Die Natur darf ruhig unser Vorbild sein, indem wir das Streben nach »Einklang, Schönheit und Vollkommenheit « in ihr erkennen, wenn sie sich im Winter in einen träumerischen Schlaf zurückzieht, um wieder neu zu entstehen. So will es der Kreislauf, so wollen es die Gesetze, die uns zum Handeln bestimmen. Wenn wir hier markanter ins Detail gehen, indem wir uns die Natur zum Leitstern erwählen, wird hier ein seelischer Prozess deutlich, - der so vieles gleichzeitig versinnbildlicht, dass ich hier eine allgemeingehaltene Allegorie anwenden möchte:
Frühling – Wiedergeburt und Erfrischung des Geistes – Regen – Wachstum – Fülle des Daseins - Einweihung - Blüte der Kindheit
Sommer – Geistesbewegung – Gewitter – Horizonterweiterung – Licht und Offenbarung - Tatkraft – Verfestigung der Persönlichkeit
Herbst – Geistige Reife und Ernte des Lebens – Sturm der Umwälzung – der Kelch der Liebe – der Tod des Lehrers – die Geburt des Weisen
Winter – Abbau und Reflexion – Tränen der Erkenntnis – Die Türe zum Verständnis und Träume im Tempel – Vollendung – Tod und Einzug – der Triumph des Lebens
Nach diesen Prinzipien lebt unsere Sehnsucht der Erkenntnis, und hat doch nichts anderes im Sinn, als am Ende unseres Lebens zur »Einsicht« gekommen zu sein, das jede einzelne Sekunde und jeder Augenblick wert war, gelebt zu werden. Natürlich wird die Sprache nicht das Vorrecht genießen können, die tausendfältigen Stimmen des Alls zur »Errungenschaft« zu machen, drum bleibt wahre Erkenntnis, immer frei von Interpretation und Wortstigmata. Man fühlt sie. Es reicht also den Weg anzudeuten, der nicht etwa zu begrenzten Zielen führt, sondern wie jeder Bindestrich, von Stufe zu Stufe, und daher nur eine Erweiterung des Bewusstseins ist. Der Weg des Lebens, mag er sich mancherorts noch als knotiges Labyrinth und Sackgassensystem beschreiben, hat also keinen Endzweck als solchen, den Weg als Weg zu erkennen, ihn allenfalls als Orientierungshilfe zu sehen und unmittelbar als Erfüllung und als Forscherantrieb zu fühlen, nur um ständig weiterzuschreiten, immer weiter. Jeder findet also einen unterschiedlichen Lebenssinn. Hesse’s Steppenwolf, ein Buch was ich nur jedem ans Herz legen kann, zeigt zum Beispiel auf, wie lohnenswert es ist, bei allem scheinbar dunklen, sinnlosem Leben, auf einen Überzeitlichen Sinn, also auf einen Überpersönlichen Sinn zu zielen. Sei es nur der Versuch, sich Gott anzunähern, und die Liebe zu verwirklichen.
Es lässt sich oft nur unter sehr Mutigen in den Mund ein, und doch ist es für unser Wachstum unerlässlich und darf nicht unausgesprochen in unserem Seelengrund kleben bleiben. Daher auch mein Apell - besonders an die Eltern dort draußen, die uns mit dem Kinde die neue Zukunft schenken. Traut euch, jeden einzelnen Tag zu sagen: Ich liebe dich! So lieber Leser, liebe ich auch dich. Es ist eine Liebe in Hülle und Fülle, die am ganzen Körper kitzelt. Und so wird unsere Zukunft sein, hell und fruchtbar, erfüllt von Liebe.
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