Sie gingen in den hinteren Teil des Lagers, wo weißer Lavendel lagerte. Henri war erstaunt. Dass es auch weißen Lavendel gibt, wusste er nicht. Er roch daran, und war überrascht, dass der Duft sehr intensiv war. Ob nur er als Laie keinen Unterschied merkte, konnte er nicht beurteilen, aber ihm schien der weiße Lavendel nur farblich anders zu sein. Bevor er Odile fragen konnte, erklärte sie schon, dass dieser hauptsächlich für die Dekoration gedacht ist. »Die weißen Tupfen sehen einfach schön aus. Auch in Teemischungen oder Ähnlichem. Hauptsächlich kommen sie aber in Sträuße, die zu Trockengebinden oder Kränzen gewunden werden. Ich baue auch nicht so viel weißen Lavendel an. Er bringt zwar ebenso Aroma und Geschmack mit, ist auch extrem winterhart, aber es dauert sehr lange, bis er ausgewachsen ist. Auch wenn wir auf Qualität achten, spielt Quantität für die Umsätze natürlich eine Rolle und lange Wachstumszeiten sind da eher hinderlich. Allerdings habe ich den weißen Lavendel auch erst seit wenigen Jahren, so dass der Anbau jedes Jahr etwas ausgeweitet werden kann. Wie gesagt, harte Fröste fast bis Minus 30 Grad machen dem weißen Lavendel nichts. Den könnte man sogar in Sibirien anbauen.«
Hinter dem Lager gab es eine Art Schleuse. Hier mussten Odile und Henri sich Schutzanzüge anziehen und Hauben aufsetzen. In der Verpackung wurde unter sterilen Bedingungen gearbeitet und jede Luftverschmutzung konnte eine Charge verunreinigen. Ein junger Mann stand unter einem Schacht, in dem vermutlich die Luft gereinigt wurde und wog Lavendelblüten ab, die er in Papiertüten füllte. Ein kleines Transportband, wie im Supermarkt an der Kasse fuhr diese Tüte zu zwei Frauen, die sich gegenüber standen und die Tüten beklebten und mit einem Verschluss aus Pappe und Draht verschlossen. Die Tüten waren in zarten Lilatönen bedruckt und zeigten die typischen Lavendelfelder der Provence. Wahrscheinlich waren es Odiles Felder, mutmaßte Henri.
»Das ist Julien.« Stellte Odile den jungen Mann vor, der an der Waage stand. Henri grüßte und nannte seinen Namen, nickte auch gleich den beiden Frauen zu und signalisierte in seinem sehr guten Französisch, wie sehr er sich auf die Arbeit hier freute. Julien warf ihm einen säuerlichen Blick zu. Für seine Begriffe sah Henri eindeutig zu gut aus und vor allem sprach er viel zu sehr die Sprache von Odile. Die beiden wirkten ungezwungen, fast vertraut miteinander, was dem Mitarbeiter, der schon immer heimlich für Odile schwärmte, einen kleinen Stich versetzte.
»Hier in der Verpackung werden unsere Kleinpackungen abgewogen und von Hand beklebt und verschlossen. Auf den Pappen wird das Datum eingestanzt, damit wir der Haltbarkeitskennzeichnung gerecht werden. Die EU schreibt das vor. Unsere großen Lieferungen in 2,5 und 5 Kiloabpackungen, werden in der anderen Halle bearbeitet. Da passiert das meiste maschinell und für die Konservierung kommen wir da leider nicht umhin, die Blüten in Folie zu vakuumieren. Einige Pakete sind wochenlang unterwegs und wir wollen, dass der Duft nicht verloren geht, bevor unsere Kunden die Blüten entsprechend verarbeitet haben.«
Henri schaute sich noch ein wenig um, obwohl es nicht viel zu sehen gab. Er hatte mitbekommen, dass Julien ihn mit Skepsis betrachtete und wollte ihn noch ein wenig beschäftigen. Was ihm auch prompt gelang. Julien dachte, nicht richtig gehört zu haben, als Henri sagte: »Ich habe mich noch gar nicht für das Essen gestern Abend bedankt. Meine Kochkünste sind auch gar nicht so schlecht. Wenn ich darf, würde ich mich heute Abend gerne revanchieren.«
Odile, die den kleinen Hahnenkampf der beiden gar nicht mitbekommen hatte, stimmte erfreut zu und bot gleich ihre Küche an, weil die doch besser ausgestattet war, als die in seinem Appartement. Im Gespräch zog sie ihren Gast weiter in den Kosmetikbereich. Hier wurden Badeöle, -kugeln und Seifen hergestellt. Die Rezepturen stammten noch von ihrer Großmutter und wurden originalgetreu so weiter verwendet. Ein paar Experimente haben Odile schnell gezeigt, dass die ätherischen Öle des Lavendels in Cremes, Lippenpflege und Lotionen die Haut schnell reizten. Deshalb haben es solche Produkte nicht in das Sortiment geschafft. Allerdings hatte ihr die Arbeit mit dem Wachs für die Lippenpflegestifte großen Spaß gemacht und sie goss jetzt Duftkerzen. Hierfür hatte sie ihm hinteren Bereich eine Art Elektrokochtopf, der wie ein riesiger Babykostwärmer wirkte. In einem Wasserbad schmolzen die Wachsplättchen und wurden in Schraubgläsern mit Lavendelöl vermengt. Für den zarten Farbton der Kerzen sorgten kleine Stücke von Wachsmalstiften, die sie dazu gab. Am Ende wurde alles in vorbereitete Formen gegossen und zum Aushärten kaltgestellt. Die Kerzen verkaufte sie ausschließlich in ihrem kleinen Hofladen oder lieferte an einen Hochzeitsausstatter im nahe gelegenen Marseille. Sommerhochzeiten und Lavendel gehörten zusammen und so liefen diese Produkte hier sehr gut. Die Inhaber, ein schwules Paar, mochten Odile und hatten ihr vorgeschlagen, kleine Arrangements zusammenzustellen, die für Brautpaare auch in größeren Stückzahlen erschwinglich waren. So konnte sie regelmäßig größere Mengen an sehr hübsch verpackten kleinen Geschenken mit ihren Lavendelprodukten nach Marseille bringen, die die Brautpaare an ihre Gäste verteilten. Aktuell stand auch ein Weidenkorb mit einer Bestellung bereit, die heute oder morgen ihren Bestimmungsort erreichen musste. Eigentlich konnte Odile hier gleich einmal testen, wie hilfsbereit Henri war.
»Müssen Sie zum Kochen noch etwas einkaufen?«
»Ja, frische Zutaten natürlich und einen guten Wein, würde ich noch holen. In Marseille kenne ich einen sehr guten Feinkostladen, dort habe ich bereits oft eingekauft und werde alles bekommen, was ich brauche.«
»Oh das passt ja sehr gut. Würden Sie diesen Korb mitnehmen und bei »Mariage de rêve« abgeben. Das ist ein kleines Geschäft für Hochzeitsausstattung. Die Kosmetika sind bestellte Gastgeschenke.«
»Selbstverständlich. Ich freue mich, dass ich helfen kann. Geben Sie mir einfach die Adresse und es wird sicher ankommen.« Schnell zog Odile eine Visitenkarte aus dem Korb. Sie verpackte immer ihre eigene und die des Geschäftes, damit die Gäste bei Gefallen wussten, wo sie die Produkte beziehen konnten.
»Die letzte Station ist unsere Lebensmittelproduktion. Hier dürfen wir nicht jeden Gast arbeiten lassen. Das Hygieneamt braucht einen Nachweis, dass die Schulungen in der Hygiene absolviert wurden und dass es eine amtliche Lizenz für die Arbeit mit Lebensmitteln gibt. Weil wir auch Weine und Liköre machen, benötigen wir noch spezielle Genehmigungen für die Herstellung von alkoholischen Produkten. Ich zeige Ihnen gerne einmal alles. Eingesetzt werden Sie hier aber vermutlich nicht, es sei denn, Sie können die entsprechenden Nachweise aus dem Hut zaubern.«
Das konnte Henri natürlich nicht und bedauerte dies schon bei dem Rundgang. Es roch einfach köstlich und die Lavendellimonade war herrlich erfrischend. Von den alkoholischen Produkten probierte er nichts, weil er ja noch Auto fahren musste.
Henris Ausflug war sehr ergiebig. Bevor er die Lebensmittel kaufte, überbrachte er Odiles bestellte Waren. Der Hochzeitsausstatter entpuppte sich als kleines Ladenlokal, mit viel Spitze und Kitsch, aber auch mit sehr eleganten Kleidern und einem sehr umfassenden Zubehör. Neben den Brautmoden, hatten sich die beiden Inhaber auch auf den Verleih von Dekorationen, Geschirr und Tischwäsche ausgerichtet. Eigentlich waren sie die Weddingplaner von A bis Z, wenn man sie ließ. Und viele ließen sie. Denn sie hatten ein Händchen für Hochzeiten und eine enorme Menschenkenntnis. Schon nach einem kurzen Gespräch konnten sie einschätzen, worauf die Brautpaare ansprangen und so managten sie viele tolle Hochzeiten. Etwas traurig waren sie nur, dass die meisten Kunden nur einmal kamen, wie sie Henri lachend gestanden, als der sich umgesehen hatte und ein Gespräch begann. Umso wichtiger fanden sie, dass die Gäste von seinem Service begeistert waren. Viele Kunden kamen hier an und riefen schon an der Tür: »Erinnert ihr euch an Marie-Claire und Cedric, die vor zwei Jahren geheiratet haben? Genauso eine tolle Hochzeit wollen wir auch.« Henri fand die beiden sympathisch und freute sich schon auf weitere Besuche. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich sputen sollte, wenn er nach dem Einkauf nicht in den Berufsverkehr kommen wollte. Also verabschiedete er sich und fuhr zum »Le bon Appetit«.
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