Ein Knurren ließ Odile aufschauen. Doch Madame Lavande schlief ruhig atmend auf ihrem Platz. Das muss wohl ihr Magen gewesen sein. Hunger! Odile hatte inzwischen auch richtig Hunger. Aber sollte sie jetzt wirklich alleine essen? Sie mochte es, ihre Helfer mit einem gemeinsamen Essen zu begrüßen. Es war einfach schöner, sich beim Essen kennenzulernen, als sich einfach nur so am Tisch gegenüber zu sitzen. Gerade entschied sie, sich eine kleine Portion zu nehmen, als Madame Lavande den Kopf hob und lauschte. Auch Odile hörte ein Auto vorfahren. »Na toll, Absprachen sind wohl eher nicht so sein Ding.«, dachte sich Odile und ging hinaus.
Ein leuchtend blauer Peugeot kam blubbernd zum Stillstand. Direkt vor ihrer Tür, wo sie eigentlich nur ungern ein Auto zu stehen hatte. Und schon gar nicht eins, das so klang, als wenn es gerade den letzten Tropfen Kraftstoff verbraucht hatte. Hoffentlich ist dieser Start kein Omen, dachte sich Odile. Ein junger Mann, vielleicht Anfang dreißig, stieg aus.
»Ongrieh-Olè Ochmuth – das sind sie?«
»Ja. Entschuldigung, dass ich mich nicht gemeldet habe. Mein Akku war leer und ich habe kein Ladekabel fürs Auto. Henri-Ole Hochmuth aus dem schönen Südbaden.«
»Odile Legay. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Möchten Sie schnell ihr Auto hinüber zum Gästehaus fahren? Dann können wir direkt Essen, bevor Sie alles ausladen.«
Henri setzte sich wieder ans Steuer und unerwarteterweise sprang der Peugeot ohne Probleme an. »Ok, dann ist es ja vielleicht doch nicht so chaotisch, wie es schien.« Odile war erleichtert und wies ihm einen guten Standplatz zu. Sie zeigte ihm das Appartement und ließ ihn dann allein. Die Zeit, in der er sich frisch machte, wollte sie nutzen, um den Tisch zu decken und die Ratatouille noch einmal richtig heiß werden zu lassen.
In der Küche schaute Madame Lavande sie erwartungsvoll an. »Wo ist der Gast?«, schien ihr Blick zu fragen. »Geduld Madame, du wirst ihn gleich kennenlernen.« Odile, die mit ihrem Hund alleine wohnte, unterhielt sich oft mit Lavande. Allerdings kam ihr gerade der Gedanke, dass der junge Mann, der soeben eingetroffen war, das vielleicht für etwas sonderbar halten würde und nahm sich vor, etwas darauf zu achten, wie sie sich verhielt. Schnell war alles fertig und der Tisch, an dem sie eben noch die Bilder auf dem Laptop sortiert hatte, sah einladend aus. Am aufgeregten Gehabe ihrer Madame, merkte Odile, dass ihr Gast auf dem Weg war. Es klopfte.
»Kommen Sie herein, Sie müssen müde sein von der Fahrt und hungrig.«
»Eigentlich nicht. Jedenfalls nicht müde. Das ist sicher noch die Aufregung der Fahrt. Was den Hunger angeht, so muss ich sagen, dass dieser Duft hier gerade richtig Appetit macht. Es ist wirklich sehr lieb, dass Sie extra für mich gekocht haben. Dankeschön.« Natürlich hatte Madame Lavande sich inzwischen bemerkbar gemacht und wurde nun ebenfalls begrüßt. »Ja wen haben wir denn hier. Was bist denn du für ein hübsches Tier. Hast du auch einen Namen?« Odile war amüsiert. So wie er mit Madame sprach, musste er auch einen Hund haben.
»Madame Lavande, heißt sie. Sie spricht leider nicht selbst.« Ein erstes gemeinsames Lachen, nahm die Anspannung. Henri knuddelte den Hund richtig durch, so dass dieser ein wohliges Brummen von sich gab. Als er aufstand, sah er sich um. Odile wies mit dem Kopf zur Badtür und hatte den suchenden Blick richtig gedeutet. Ihr Gast wusch sich die Hände und setzte sich mit einem offenen Lächeln an den Tisch.
»Hmmmm Ratatouille. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so etwas leckeres gesehen habe.«
»Warten sie ab, vielleicht schmeckt es ja auch gar nicht.« Scherzte Odile.
»Wie kann etwas, was so köstlich duftet, nicht schmecken? Das geht ja gar nicht.«
Odile füllte die Teller und wünschte einen guten Appetit.
»Bon Appetit!« Erwiderte Henri und schlürfte auch schon seinen ersten Löffel leer. »Ein Gedicht! Und genau das Richtige nach so einer langen Fahrt. Lecker, aber nicht zu schwer. Vielen Dank noch einmal fürs Kochen.«
»Gerne. Lief die Fahrt denn gut?« Odile versuchte ihren Gast, durch ein freundliches Gespräch willkommen zu heißen und ihm die Scheu zu nehmen, aber auch ihre eigene zu überspielen. Denn Ongrieh-Olè Ochmuth sah nicht nur verdammt gut aus. Er war höflich, offen und bei aller Skepsis im Vorfeld, er wirkte zuverlässig und motiviert. Es war Odile eine Freude, dass es ihm schmeckte und er um einen Nachschlag bat.
»Wie sieht denn der übliche Tagesablauf hier aus und wie werden meine Aufgaben genau aussehen?« Henri fragte interessiert und strahlte eine gewisse Vorfreude auf die Arbeit aus.
»Wann wir anfangen, hängt immer von den Arbeiten ab, die zu erledigen sind und natürlich auch vom Wetter. Wenn es draußen im Morgentau zu feucht ist, können wir eigentlich auf den Feldern gar nichts machen, außer Setzlinge zu schneiden, was auch in ein paar Tagen auf dem Plan steht. Dann arbeiten wir in den Laboren, den Küchen oder im Lager. Die Blüten müssen von den Stielen entfernt werden. In verschiedenen Bereichen werden Kosmetik oder auch Lebensmittel hergestellt. Streng voneinander getrennt natürlich. Ich habe gedacht, dass Sie morgen erst einmal in Ruhe ankommen und sich umschauen. Um Zehn können wir uns treffen und ich führe Sie einmal durch alle Bereiche, stelle meine Mitarbeiter vor und erkläre die Aufgaben. Mir ist es wichtig, dass die Zeit hier auch mit schönen Erinnerungen verbunden sein wird. Wenn Ihnen eine Arbeit gar nicht zusagt, müssen Sie die auch nicht machen. Es soll hier ein nettes Miteinander sein und keine Sklaverei. Mein Team ist sehr offen und freundlich. Bisher wurde jeder herzlich aufgenommen und manchmal entwickelten sich sogar Freundschaften zwischen einigen Mitarbeitern und Gästen.«
»Das klingt toll. Ich freue mich auf die Führung und bin gespannt, was ich alles hier lernen kann. Dass das Team toll ist, steht außer Frage, bei so einer sympathischen Chefin.«
Odile errötete bei dem Kompliment, freute sich aber aufrichtig. Henri wirkte auch nicht, als wenn er sich einschleimen wollte. Er meinte wohl ernst, was er sagte. Das war wie Balsam auf die Seele, die noch in der Trauerarbeit um die unerwiderten Gefühle zu Bernard feststeckte.
Nach anderthalb Stunden verabschiedeten sich Odile und Henri. Madame Lavande wurde zum Abschied noch einmal kräftig von Henri geflauscht. Dabei sprach er mit ihr, wie Odile es oft tat und Odiles Bedenken, dass er es merkwürdig fände, waren ausgeräumt. Zumindest war sie dann nicht merkwürdiger wie Henri selbst.
Odile blieb mit ihren Gedanken an Bernard allein, setzte sich mit einem Glas Lavendelwein in ihren Lieblingsstuhl und ließ diese unglückselige Liebesgeschichte Revue passieren.
Bernard hat sich aus dem kleinen schüchternen Blondschopf, der er in der Grundschule war, mit der Zeit zu einem echten Mädchenschwarm entwickelt. Das ist natürlich nicht nur Odile aufgefallen. Aber ihr scheinbar ganz besonders. Denn sie trug sich, seit sie 16 war, mit dem Wunsch, mit Bernard zusammen zu kommen. Und sogar davor hat sie schon für ihn geschwärmt. Anfangs nicht so intensiv, aber sie war gern in seiner Clique und mochte es, wie er ihren Namen aussprach. So weich.
Später wollte sie wissen, wie er sich anfühlte, träumte davon, wie sie sich küssen und zusammen sind. Zeitweise hatte sie sogar den Eindruck, dass Bernard diesen Wunsch teilte. Er war so hilfsbereit und lächelte immer, wenn Odile und er zusammentrafen. Natürlich lud sie ihn zu ihrer legendären Geburtstagsfeier ein, die komplett ohne Eltern und Aufpasser gefeiert wurde. Ihr Achtzehnter! Hier wollte sie aufs Ganze gehen. Nun ja – er hat kürzlich Jeannine geheiratet und Odile bis heute nicht ein einziges Mal geküsst. Aufs Ganze zu gehen, ging wohl anders. Heute weiß Odile das auch. Sie dachte, sie imponiere Bernard, wenn sie in ihrem hauchdünnen Kleidchen vor ihm herumtanzte und Crémant aus der Flasche trank. Bis zu dem Moment, als sie sich ihm fontänenartig in den Schritt erbrochen hat, mag das sogar geklappt haben. Dann musste er leider nach Hause und Odile hatte so spontan keine Argumente, ihn aufzuhalten. Im Gegenteil, sie hatte auch keinen Grund, selbst zu bleiben, außer dem, dass die Party bei ihr zu Hause gestiegen war und es keinen Ort gab, wo sie hinkonnte.
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