Rosemarie Gruber steht in der Küche und formt Semmelknödel. Sie brüllt nun schon zum zweiten Mal in den Flur:
„Max, Max, kannst du mal herunterkommen?“
Aber wieder rührt sich ihr Sohn nicht. Vater Michael kommt aus seinem Büro.
„Was plärrst du denn so, Rosi. Der Max wollte doch gestern Abend noch mit seinen Spezis vom RECHTLER-Verein irgendeinen Geburtstag feiern. Da ist es bestimmt spät geworden.“
Die Türschelle geht. Michael Gruber öffnet. Polizeihauptmeister Peter Endras grüßt ihn mit ernster Miene.
„Grüß Gott, Peter, was verschafft uns denn die Ehre?“
Michaels freundliches Gesicht verfinstert sich schlagartig.
„Kommst du wieder wegen dem Brand?“
„Lass uns erst einmal reingehen.“
Michael führt den Dorfsheriff in die Küche, wo Rosi gerade die letzten Knödel formt. Sie schaut überrascht zu Endras auf.
„Grüß Gott, Peter, du bringst bestimmt wieder schlechte Nachrichten“, sagt sie spitz.
Da dieser einige Sekunden schweigt, hakt sie nach.
„Oder?“
Peter Endras beißt sich verstohlen auf die Unterlippe. Dann antwortet er mit zitternder Stimme:
„Ich weiß gar nicht, wie ich es euch sagen soll?“
Er macht wieder eine lange Kunstpause.
„Wir haben vorhin Maximilian gefunden. Er lagt tot in der Trettach beim Illersprung.“
„Tot?“, wiederholt Rosi geistesabwesend. „Aber er ist doch oben in seinem Zimmer.“
Ohne ein Wort zu sagen, sprintet Michael die Treppe hinauf, reißt die Tür zu Maximilians Zimmer auf und schreit laut auf:
„Oh nein! Oh nein!“
Endras folgt dem Gastwirt nach oben und starrt ebenfalls in das leere Zimmer. Er begreift die Szene augenblicklich. Er legt Michael tröstend den Arm um dessen Schulter. Michael beginnt hemmungslos zu weinen und lässt sich von Peter Endras willenlos wieder zur Küche hinunterführen.
Rosi hockt dort auf der Eckbank und hat die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie nimmt die beiden nicht wahr, schüttelt nur immer wieder den Kopf und flüstert vor sich hin:
„Was haben wir nur verbrochen? Was haben wir nur verbrochen?“
Michael löst sich aus der Umarmung des PHK, hockt sich vor seine Frau und umarmt sie:
„Max ist nicht oben.“
Rosi umarmt nun ihrerseits ihren Mann. So verharren sie wie zu einer Salzsäule erstarrt.
Peter Endras räuspert sich nach einigen Augenblicken.
„Michi, Rosi, ich möchte euch mein herzlichstes Beileid aussprechen. Vielleicht könnt ihr mir trotz eures Schmerzes einige Fragen beantworten, damit wir den Täter rasch fassen können.“
Beim Wort „Täter“ schreckt Michael auf:
„Sagtest du Täter? Willst du sagen, dass Max ermordet worden ist?“
Endras nickt wortlos. Gruber löst sich von seiner Frau und bittet den Dorfsheriff in sein Büro. Dieser plötzliche Wandel des Dolde-Wirtes kommt Peter etwas seltsam vor. Es sieht so aus, als wenn Michi etwas vor seiner Frau verheimlichen will.
„Peter, ich habe ein ganz schlechtes Gewissen.“
Er zieht den Polizisten rasch in sein Büro und anschließend schnell die Tür zu.
„Ist euch nicht aufgefallen, dass Max heute Nacht nicht zu Hause war?“, fragt Endras ohne Zögern.
„Nein, Peter, Max war oft mit Freunden unterwegs. Sie haben oft nächtelang so Computerspiele gespielt. Oder sie haben mal einen über den Durst getrunken. Dann hat Max woanders übernachtet.“
„Wann war Max denn zuletzt hier. Wann habt ihr ihn zuletzt gesehen?“
„Gestern Abend, kurz vor zehn. Ich hatte einen Anruf bekommen, dass ich Beweise dafür bekommen sollte, dass unser Hotel von einem Brandstifter abgefackelt worden ist.“
„Aber, Michi, die Feuerwehr hat doch festgestellt, dass der Brand in der „Schnatossi-Bar“ ganz sicher durch den defekten Gasheizstrahler ausgelöst wurde.“
„Ich habe läuten gehört, die Polizei ermittelt immer noch wegen Brandstiftung, und dann werde ich doch wieder verdächtigt.“
„Was war nun mit dem Anrufer, Michi?“
Endras hat genug von den Vermutungen im Dorf gehört, jetzt möchte er schnell zum Punkt kommen.
„Ich sollte um 22 Uhr zum Illersprung kommen, dort bekäme ich ein Beweisvideo.“
„Kanntest du den Anrufer?“
„Nein, ich glaube jetzt, er hat mit verstellter Stimme gesprochen, mit einer hohen Fistelstimme, mit leicht russischem Akzent, aber das ist mehr eine Vermutung.“
Endras notiert etwas in seine schwarze Kladde.
„Und? Bist du hingefahren?“
„Nein, ich habe Max gebeten, das zu tun.“
Michael stockt.
„Aber sag der Rosi nichts davon. Sie wirft mir sonst ewig vor, ich wäre verantwortlich für den Tod von Max. Und das bin ich ja eigentlich auch.“
Wiederum hält er inne, dann sagt er mit fester Stimme, quasi als Entschuldigung:
„Ich hätte es nicht mehr pünktlich bis zum Illersprung geschafft. Außerdem bin ich schon lange nicht mehr mit dem Rad unterwegs gewesen. Anders kommt man da ja nicht so schnell hin. Und Max wollte sowieso noch mit seinem Rennrad los, einer der RECHTLER hatte gestern Geburtstag.“
„Max ist also für dich zum Illersprung gefahren?“
„Genau, er ist um Viertel vor zehn losgefahren.“
„Und danach hat er sich nicht mehr gemeldet? Die jungen Leute posten doch ständig alles in den sozialen Netzen oder telefonieren zumindest.“
„Nein, wir haben nichts mehr von ihm gehört.“
Kapitel 19 - Illersprung 15.02., 11:50
Polizeihauptkommissar Maximilian Riethmüller (42), sowie Kommissarin Christina Seitenbacher (31) und Hubertus Schleich (36) von der Spurensicherung in Kempten sind sofort nach der Benachrichtigung durch den PHM Endras aus Oberstdorf in Kempten losgefahren. Jetzt haben sie das Gebiet um den Illersprung weiträumig absperren lassen.
Zwei weißgekleidete weitere Beamte der Spurensicherung ziehen den Leichnam des Ermordeten aus dem Strudel der Trettach und tragen ihn vorsichtig ans Ufer, bei jedem Schritt darauf bedacht, nicht auf den glitschigen Steinen auszurutschen.
Sie legen den Toten neben der Skulptur „Illersprung“ auf dem Rücken ab und decken ihn mit einer Plane provisorisch zu. Die Rechtsmedizinerin Dr. Vanessa Trimmel (52) und die Staatsanwältin Dr. Angela Marx (47) werden minütlich erwartet.
Hubertus Schleich erkennt mit geübtem Blick auf dem Fußweg sogleich relativ frische Autospuren, die zwar durch den leichten Schneefall der Nacht verdeckt sind. Sie befinden sich ca. 30 m hinter dem Illersprung in Richtung Rubi, in einer Zufahrt zu den Tennisplätzen gegenüber des Rubi-Camps. Mit einem Pinsel entfernt er die Schneeschicht. Darunter zeichnen sich tatsächlich Reifenspuren eines Pkw ab.
„Max, komm mal rasch her!“, ruft der Kriminaltechniker dem Hauptkommissar zu, verbleibt dabei in der Hocke. Riethmüller löst sich sofort aus dem Gespräch mit seiner Assistentin und stapft hinüber zur Schneise, in der Schleich etwas gefunden hat.
„Hier, Max, das sind eindeutig Reifenspuren eines PKW. Und die müssen noch relativ frisch sein“, frohlockt Hubertus.
„Ach geh´, Bertl, hier dürfen doch gar keine Autos fahren.“
„Vielleicht hat sich der Täter mal nicht an die Vorschriften gehalten. Möglicherweise hatte er es nach der Tat eilig, von hier zu verschwinden.“
„Du glaubst also, der Täter war mit dem Auto hier.“
„Genau das, Max.“
„Also gut. Dann mach´ doch sofort einen Abdruck von der Stelle. Vielleicht hat deine Spürnase mal wieder recht.“
Riethmüller wendet sich schon ab, als er innehält.
„Und schau nach, ob du auch herausfindest, in welche Richtung das Fahrzeug gefahren ist, ja, Bertl?“
Aber der hat bereits seine kleine neue, orangefarbene Lumix-Outdoor-Kompaktkamera DMC-FT5 aus seinem Pilotenkoffer gezogen, die nicht nur wasser- und staubfest, sondern auch frostsicher ist. Darüber hinaus macht sie mit ihren 16,1 Megapixeln garantiert gestochen scharfe Bilder und HD-Videos. Mit ihrer GPS-Funktion wird der jeweilige Standort der Kamera gleich mitgespeichert.
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