Das Telefon klingelte und nach dem zehnten Klingelton klickte der Anrufbeantworter: „Hi, hier spricht Jennifer Kober, ich rufe zurück, wenn es wichtig ist.“
„Jen, geh ran, ich weiß, dass du zu Hause bist!“, erklang die hämische Stimme von Frank.
Die Verleihung war offenbar vorbei.
„Jen, hier ist der Teufel los. Du bist das Gespräch des Abends, alle amüsieren sich köstlich über deinen Auftritt.“
Aha, sie hatten also ihren Spaß.
„Hey, Jennifer, ich weiß ja, du wolltest sowieso mit dem Lifestyle-Magazin aufhören, aber hättest du nicht einfach kündigen können ohne diese Nummer abzuziehen?“
Dieser A …. ! Franks Stimme klang triumphierend, denn er wollte die Sendung ohnehin am liebsten allein machen. Das hatte Jennifer oft zu spüren bekommen.
„Jennifer, noch etwas: Rufe Paul an, er hat Neuigkeiten für dich.“ Jennifer schüttelte sich, denn Franks sonst so sonore Stimme triefte förmlich vor Arroganz und unverhohlener Schadenfreude.
Ihr wurde ganz übel bei dem Gedanken, Frank so in die Hände gespielt zu haben.
„Ach und Jenny, viel Glück bei der Suche nach einem Mauseloch! Und was ich noch loswerden wollte – hübsche Brust …“
Das war zu viel!
Wütend sprang Jennifer auf, um den Anrufbeantworter auszuschalten, blieb aber am Kabel hängen und der gesamte Anschluss riss aus der Wand.
Na super, das hatte ihr noch gefehlt.
Sie kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Mobiltelefon und wählte entschlossen Pauls Nummer. Nach mehrfachem Klingeln, es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, meldete sich Paul.
Nach der Geräuschkulisse zu deuten, war er gerade auf der Aftershow-Party.
„Paul, hier ist Jennifer, ich…“
„Jen“, rief Paul in den Hörer, „zum Teufel, weshalb bist du weggerannt? Du hast den ganzen Sendeablauf durcheinander gebracht. Wir hatten keinen Ersatz für dich, Frank musste alles allein moderieren. Mensch Jennifer, konntest du dich nicht zusammenreißen?“
Paul brüllte so laut, dass Jennifer den Hörer vom Ohr weghielt.
„Paul, ich…“, setze sie erneut an, doch sie wurde gleich wieder unterbrochen.
„Jennifer, ich mag dich wirklich, du hast viel Talent und bist verdammt hübsch, du warst die ideale Besetzung für diesen Abend, aber ich kann dich einfach nicht weiter beschäftigen, wenn ich nicht auch zum Gespött der Leute werden will. Schließlich bin ich der Redakteur, der die Verantwortung trägt. Ich schicke dir deine Unterlagen zu. Viel Glück – und besser du tauchst erst mal ein paar Wochen ab. Ciao!“
Es knackte, Paul hatte aufgelegt.
Jennifer schluckte. So schnell war man also seinen Job los.
Sie griff erneut zum Handy und wählte die lange Nummer, die sie in letzter Zeit so oft getippt hatte.
Es dauerte eine Weile, bis das Freizeichen leise summte.
Schließlich hörte Jennifer, dass am anderen Ende abgehoben wurde und eine weibliche Stimme rasend schnell einige Worte Spanisch sprach.
Auch das noch, dachte Jennifer. Juanita, das resolute mexikanische Hausmädchen.
Juanita weigerte sich stets kategorisch jemanden ans Telefon zu holen. Sie sprach kein Englisch und erst recht kein Deutsch.
„Hola Juanita, donde esta la Signora Wood“, kramte Jennifer ihre im letzten Spanienurlaub erworbenen Sprachkenntnisse hervor.
Ein Schwall spanischer Worte prasselte auf sie ein. Sie konnte Juanita regelrecht vor sich sehen, wie sie energisch mit dem Putztuch wedelte und die Hände in die breiten Hüften stützte, ein Tuch um den Kopf geschlungen und einen dieser knallbunten Kittel um die mächtige Brust geschnürt.
Jennifer verstand kein einziges Wort der folgenden Tirade und rollte verzweifelt mit den Augen.
Gerade als sie auflegen wollte, hörte sie die Stimme von Julia, ihrer besten Freundin, im Hintergrund.
„Julia, ich bin’s, Jen!“, brüllte sie ins Telefon, in der Hoffnung Juanitas spanischen Redeschwall zu übertönen.
„Was ist denn los Jenny, ich dachte du meldest dich in zwei Wochen, wenn du zu unserer Hochzeit kommst?“, fragte Julia erstaunt.
Am verzweifelten Klang der Stimme ihrer besten Freundin hatte Julia gleich erkannt, dass etwas nicht stimmen konnte.
Jennifer war zwar die unangefochtene Meisterin im Sammeln von kleineren Missgeschicken, die sie meist selbst durch ihre ausgeprägte Eitelkeit heraufbeschwor, aber dieses Mal klang es ernst.
Unter Tränen berichtete Jennifer von der ganzen Geschichte.
„Oh Jul, was soll ich denn nur machen?“, schniefte sie in den Hörer, „ich könnte glatt im Boden versinken.“
„Jennifer, hör mal gut zu, packe deine Sachen ein, buche den Flug einfach auf morgen um und komm sofort vorbei. Es ist doch egal, du wärst sowieso in zwei Wochen zur Hochzeit gekommen, dann kommst du eben ganz einfach schon jetzt zu uns!“
Natürlich, das war die Lösung!
Jennifer strahlte zum ersten Mal wieder.
„Julia, du bist genial. Ich war so durcheinander, dass ich nicht einmal auf die Idee gekommen bin. Klar so machen wir das!“, jubelte sie ins Telefon.
„Du, Jenny, hör mir doch mal zu“, rief Julia eindringlich in den Hörer. „Du musst dieses Mal bis zur Hochzeit ein Hotelzimmer nehmen. Stevens gesamte Verwandtschaft aus London ist hier schon eingefallen und hat alle Gästezimmer in Beschlag genommen. Er hat bis jetzt eine halbe Fußballmannschaft zusammen und die restlichen Spieler rekrutiert er hier auch noch bei seinen britischen Freunden. Die sind alle total verrückt nach Fußball und lassen mich mit der Planung ganz allein. Nach der Hochzeit kannst du gerne wieder hier in deinem Lieblingszimmer wohnen, ich brauche dann sowieso deine Hilfe.“
Julia klang geheimnisvoll, aber Jennifer war zu müde, um nachzufragen.
„Macht nichts“, antwortete sie stattdessen. „Ich buche jetzt schnell den Flug und bin morgen bei dir. Ich melde mich aus dem Hotel, sobald ich dort bin.“
„Halt die Ohren steif“, sagte Julia. „Ich freu’ mich schon auf dich – und Jenny, denk` dran, ein Koffer reicht, du musst ihn dieses Mal allein schleppen.“
Jennifer konnte Julia förmlich grinsen sehen, sie kannte sie einfach zu gut.
„Mal sehen, ich gebe mir Mühe, aber du kennst mich ja. Bis dann Julia!“, antwortete sie und legte auf, um gleich darauf telefonisch den Flug zu buchen.
Es war 13 Uhr und Jennifer saß müde und mit langem Gesicht im Flugzeug.
Die Augen hinter einer riesigen Gucci-Sonnenbrille versteckt und die Haare unter einem bunten Tuch verborgen, war sie durch die Abfertigungshalle des Münchner Flughafens gehuscht, vorbei an allen Zeitschriften- und Buchhändlern.
Auf den meisten Tagezeitungen und bereits auch auf einigen Magazinen prangte dick und fett ihr eigenes Foto, das sie halb kniend vor einem Scherbenhaufen mit entblößter Brust und einem entsetzten Ausdruck im Gesicht zeigte.
„Sturz ins Verderben“, titelte die eine Zeitschrift, die andere „Eklat bei Award Verleihung – Jennifer Kober bis auf die Knochen blamiert“.
Glücklicherweise hatte sie auf dem Weg hierher niemand erkannt.
Die Stewardess ging durch die Reihen und hielt bei Jennifer an. „Entschuldigen Sie bitte, Sie sitzen auf dem falschen Platz. Würden Sie bitte noch einmal auf Ihre Bordkarte sehen?“
Jennifer kramte in ihrer Jacke – tatsächlich, sie saß falsch, weil sie ohne ihre optischen Gläser mal wieder unscharf gesehen hatte. Aber für kein Geld der Welt würde sie heute die Sonnenbrille abnehmen – niemals.
Also raffte sie eilig ihre Sachen zusammen, reckte sich hoch zum Fach mit ihrem Handgepäck und zog am Riemen des viel zu voll gestopften Rucksacks.
Ehe sie auch nur reagieren konnte, rutschte der Sack mit Schwung aus dem Fach und knallte ihr knirschend auf den Kopf.
Da sie selbstverständlich keinen robusten Reiserucksack besaß, sondern nur gerade diesen besonderen von Prada, hielt er dem Aufprall nicht Stand. Die Lasche öffnete sich und der gesamte Inhalt ergoss sich auf den schmalen Gang.
Читать дальше