Katharina Johanson - Grete Minde in Tangermünde

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Tangermünde im Jahre 1609. Albrecht von Minden, Sohn einer der reichsten Familien, wird des Mordes verdächtigt und flieht bei Nacht und Nebel aus der Stadt. Der junge, unbedarfte Flüchtling findet bei Gauklern Aufnahme und Auskommen. Sie ziehen im Land umher und erleben alle möglichen Höhen und Tiefen. Eines Tages stirbt Albrecht. Er hinterlässt eine mittellose Witwe und ein Kind. Diese Witwe, Margarete von Minden, erheischt im Jahre 1614 Beistand von den Schwägern in Tangermünde. Allein, die haben kein Interesse an der Frau des Mörders und werden keinen Zipfel ihres Vermögens mit Margarete teilen. Der Erbschaftsstreit weitet sich zum Skandal aus, lässt soziale Verwerfungen übersehen und bringt ganz Tangermünde an den Rand des Abgrundes.
Der vorliegende Text bedient nicht die übliche Schablone von mystischem Mittelalter und grausamen Hexenprozessen, sondern er lotet die frühe Neuzeit tiefgründig aus. Trotz aller Tragik der Ereignisse wird die Geschichte mit einem Augenzwinkern erzählt, nimmt die Akteure beim Wort und garantiert auf diese Weise ein hohes Lesevergnügen.

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Katharina Johanson

Grete Minde in Tangermünde

Historischer Roman

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Inhaltsverzeichnis Titel Katharina Johanson Grete Minde in Tangermünde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Katharina Johanson Grete Minde in Tangermünde Historischer Roman Dieses ebook wurde erstellt bei

Albrecht von Minden

Die Calberger

Margarete und Albrecht von Minden

Die von Minden in Tangermünde

Der Erbschaftsprozess

Kurfürstin Anna

Kurfürst Georg Wilhelm

Altruismus kleiner Leute

Der Richtspruch

Nach dem Prozess

Kurfürst Georg Wilhelm und König Gustav Adolf

Die Austreibung der Margarete

Das normale Leben

Das verbrannte Tangermünde

Die Hirtenfamilie

Die Ruhe nach dem Sturm

Im Kerker

Die Emigranten

Die Hinrichtung

Die Entstehung der Legende

Dichtung und Wahrheit; ein Nachwort des Verlegers

Impressum neobooks

Albrecht von Minden

Impressum

HeRaS Verlag Rainer Schulz Berlin 2020 wwwherasverlagde Layout Buchdeckel - фото 2

©HeRaS Verlag, Rainer Schulz, Berlin 2020

www.herasverlag.de

Layout Buchdeckel Rainer Schulz

Unter Verwendung eines Fotos von Harald Rossa

Am Abend des 1. September 1609 nahm der zwanzigjährige Albrecht von Minden seinen Weg von der Stadt Tangermünde nach dem kleinen, nur etwa dreieinhalb Meilen entfernt liegenden Örtchen Bölsdorf unter die Füße. Albrecht hatte im Krug zu Bölsdorf Spielschulden gemacht und die wollte er an diesem Abend begleichen, um das Spiel endgültig aufzukündigen. Die Schuld betrug nur fünf Taler und wenige Groschen, für arme Leute sicher ein Vermögen, für den Sohn des reichen Patriziers Baltasar von Minden eine Klackssache. Albrecht hätte seine Schuld mit links bezahlen und sich dann aus dem Staube machen können. Er war dem Wirt von Bölsdorf in keiner Weise verpflichtet. Allerdings ärgerte ihn die krumme Tour, wie der Wirt zu dem Guthaben gekommen war, und Albrecht wollte sich Genugtuung verschaffen.

Der Wirt von Bölsdorf, der Kilian Kleiber, war ein gewiefter Falschspieler, der im rechten Moment manipulierte Würfel ins Spiel brachte und die gesamte Bank des Abends gewann. Das hatte sich längst herumgesprochen. Das wusste jeder. Trotzdem trafen sich bei Kleiber allabendlich die Spieler und versuchten ihr Glück aufs Neue. Zuweilen gewann einer, wähnte sich überlegen, um bald danach wieder alles zu verlieren. Bis aufs Hemd ruiniert zogen der eine oder der andere ab. Kilian Kleiber blieb immer der Sieger. Heute nicht! Heute wird der Albrecht dem Kleiber auf die dreckigen Finger klopfen, sein Geld und seine Ehre herausholen und sich dann nie wieder am Spieltisch blicken lassen.

Der Abend war schön. Die Sonne stand schon tief. Die Gegend bot mit ihren saftig grünen Wiesen und Auen an den Ufern längs von Tanger und Elbe einen herrlichen Anblick. Man konnte im flachen, leicht hügeligen Land weit schauen. Seitlich säumten Weiden und Haselsträucher den ausgetretenen und zerfurchten Weg. Die meisten Bäume waren bereits bis auf die Stümpfe herunter geschnitten und trieben an vereinzelten Stellen neu aus. Die Ruten nahmen die Bauern für Körbe und Zäune. Flechten ist eine Winterarbeit. Das wusste Albrecht, weil er häufig draußen vor der Stadt herumstromerte, hier und da bei Bauern oder Fischern in die Stube schaute. Albrecht hatte ein offenes, freundliches Wesen. Das machte ihn unter den Leuten beliebt. Er steckte seine Nase in alle möglichen Angelegenheiten, war neugierig und mitteilsam. Wenn er irgendwo einkehrte, ließen sie ihn gewähren. War er doch angesehener Bürger Spross. Zugleich sagten die Leute von ihm: Er ist ein Herumtreiber, ein Taugenichts, ein Tunichtgut.

Seine hohe Geburt gestattete ihm ein gutes Leben, doch an seiner Ausbildung oder Arbeit hatte bisher niemand Interesse gezeigt. Solange sein um zehn Jahre älterer Bruder Caspar die Hoffnungen auf Nachfolge im väterlichen Geschäft erfüllte, kümmerte sich kaum mal jemand um Albrecht. Freilich hatten die Eltern und der Großvater ihn lieb, erfüllten ihm fast alle Wünsche, aber deren Sorglosigkeit ließ den Jungen verwildern. Sie rechtfertigten sich damit, dass ihm ohnehin ein schweres Leben bevorsteht, wenn er nämlich ins kurfürstliche Heer eintritt. Dann sind Strenge, Entsagung und körperliche Ertüchtigung angesagt. Schon längst hätte Albrecht als Knappe sinnvoll beschäftigt sein können, doch die Mutter barmte, wollte den Knaben nicht hergeben, und der Großvater warnte, man wisse nie, ob der Caspar sich im Handelsunternehmen bewährt. Da ist es gut, einen Reservekandidaten vorzuhalten. Und der lebte einen angenehmen Tag zwischen Müßiggang und Spiel.

Das Spiel erregte und geißelte den Jungen gleichermaßen. Er lobte sich den Nervenkitzel zwischen Einsatz und Gewinn. Er hasste die Bettelei um Geld. Vom Vater war der Spieleinsatz niemals zu erheischen. Der Alte saß auf dem Gelde und rückte nichts für Vergnügungen heraus. Die Mutter zwackte vom Haushalt ab, was ihr Sohn hier und da nebenbei brauchte. Sie gab weichherzig nach und bangte um ihres Jungen zügellose Leidenschaft. Albrecht liebte die Mutter. Er wollte sich ändern. Er hatte die besten Vorsätze. Heute wird er ein letztes Mal spielen, nahm er sich fest vor.

An der Seite schnitt ein junger Mann Weidenruten. Albrecht passierte die Stelle. Sie begrüßten einander. Da erkannte er den Tönnies und blieb stehen. Anteilnehmend fragte Albrecht: „Nun, hast Du schon was für den Winter gefunden?“ Tönnies unterbrach die Arbeit und schüttelte den Kopf.

Er war einer der Hilfsarbeiter, wie sie die Stadt während der Sommermonate zu Hauf beschäftigte und im Winter vor die Tore setzte. Hatten sie Arbeit und Schlafstelle, war gut leben. Fehlte es daran, wurden sie ausgewiesen. Obdachlose und Bettler duldeten die Bürger nicht. Eine straff geführte Stadtwache räumte Abend für Abend die Straßen Tangermündes von herumziehendem Volk frei. Das war in der warmen Jahreszeit erträglich. In den kalten Nächten tödlich. Der Tönnies war jung, kräftig, gewitzt. Er überlebte jetzt schon das fünfte Jahr ohne feste Unterkunft und Anstellung. Albrecht von Minden und viele andere kannten den Tönnies sehr gut.

Zuweilen kam es vor, dass ein Geschäftsmann für einen größeren Auftrag vier oder fünf zuverlässige Arbeiter suchte. Dann rief der den Tönnies. Der kam mit kräftigen, jungen, zuverlässigen Kerlen und sie arbeiten die Aufgaben ab. Da wurde nicht gefeilscht, nicht gepöbelt, nicht geklaut. Da wurde rangeklotzt und der Arbeitgeber war am Ende zufrieden.

Tönnies war ein guter Fachmann. Er hatte Tischler gelernt, aber wegen der strengen monetären Auflagen seiner Zunft kein eigenes Gewerbe aufmachen können. Nun verdingte er sich als Tagelöhner. Die Alternative hieß Auswandern. Allein, der Tönnies liebte die Heimat. Seine Lebensmaxime waren der Stolz und die Bodenständigkeit. Er sagte jedem, der es hören wollte, und auch denen, die es nicht hören wollten: „Wenn die Stadt mir das Gewerbe nicht gibt, strafe ich sie mit meinem Martyrium.“ Er qualifizierte sich selbst zur leibhaftigen Anklage gegen die Engherzigkeit der Tangermünder. In der Tat verfehlte der Vorwurf den Zweck nicht ganz. Die Bürger fühlten sich durch den Anblick der Armen unangenehm bedrängt.

Albrecht bedauerte den Tönnies. Der sagte herausfordernd: „Ist eventuell ein von Minden bereit, mich über den Winter zu beschäftigen und lässt mich bei sich wohnen?“ Albrecht winkte ab. Er wusste, dass sein Vater zu den ganz hartgesottenen Bürgern gehört, die niemals auch nur einen Groschen für einen Bedürftigen herreichen, geschweige denn Quartier für die langen Wintermonate bereitstellen. Eher gab der alte von Minden sein Geld dafür aus, die Stadtbefestigung auszubauen und die Wachen hochzurüsten.

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