Nach einem reichhaltigen Frühstück ging die Reise am nächsten Morgen vom Busbahnhof in Heraklion über Rethymno der Küste entlang nach Chania weiter. Es war eine angenehme Busfahrt, wir schauten zum Fenster hinaus und konnten unser Glück kaum fassen. Wir hatten das Gefühl, als kämen wir zu Hause an. Es war das dritte Mal, das wir diese Busfahrt machten und jedes Mal aufs Neue ist sie so interessant wie entspannend. Das Meer im Sonnenschein, die Strände und Berge, die Schnellstraße, welche keine Autobahn ist, Bushaltestellen an den unerwartetsten Orten, das Verkehrschaos rund um Rethymno, die schmalen Straßen, die eigenen griechischen Überholregeln auf der Schnellstraße. Alles fremd und doch vertraut, die Fahrkartenkontrolle im Bus, dass es so etwas in der heutigen Zeit noch gibt.
Nach knapp drei Stunden erreichten wir den Busbahnhof von Chania, welcher wesentlich lebendiger ist als jener von Heraklion, aber lange nicht so modern. Busse und Menschen überall, scheinbar chaotisch durcheinander, keiner Regel unterworfen, Gewusel allerorten. Karen hat mich mit dem Gepäck abgesetzt, sich nach dem Bus nach Chora Sfakion erkundigt, wo er wann abfährt und die Fahrkarten gekauft. Anschließend sind wir in das Restaurant hineingegangen und haben uns dort zwei Tiropitas zum Mittagessen gegönnt.
Wie alle anderen Busse auf Kreta, die wir im Laufe unseres Urlaubs noch benutzen würden, fuhr auch dieser pünktlich ab. Alles hatte seine Ordnung in diesem Durcheinander, selbst wenn wir das nicht auf Anhieb durchschauten. Dies war unsere erste Busfahrt von Chania nach Chora Sfakion und die Anreise mit dem Bus ist etwas Eigenes. Man gewinnt andere neue Eindrücke, kommt dem Ziel nur langsam näher und sieht die Landschaft wie zum ersten Mal. Man kann sich zurücklehnen, den Gedanken freien Lauf lassen und bekommt eine Ahnung wie abgelegen Chora Sfakion liegt. Der Bus quält sich durch den dichten Verkehr der Vororte Chanias, anschließend geht es auf der Schnellstraße gen Vrisses. Man kommt durch ein Waldbrandgebiet mit verkohlten leblosen Bäumen, bevor der Bus an einer unscheinbaren Ausfahrt nach Vrisses abbiegt und langsam durch den lebendigen Ort fährt. Danach fährt er hinauf in die Berge nach Kares, an dem Schild zum Kriegsmuseum vorbei und weiter nach Imbros. Hier kommt das eindrucksvollste Teilstück der Fahrt, die Serpentinen hinunter zur Küste und an derselbigen entlang, bis es hinunter zur Bushaltestelle Chora Sfakions geht. Wir waren angekommen und ein Traum ist in Erfüllung gegangen.
Von der Bushaltestelle sind wir direkt und ohne Umschweife zum Kafeneio des Hotel Stavris gegangen. Mit unserem Gepäck haben wir uns hinunter zum Marktplatz begeben, die Straße hinter der Promenade hoch zum Hotel genommen, an Bäckerei und Supermarkt vorbei, die mir von unserem letzten Besuch noch erinnerlich waren und die steile Rampe hinauf zum Kafeneio. Warum wir dorthin gegangen sind, hat sich mir nie erschlossen, aber ich bin mit dem Gepäck in der Hand Karen gefolgt. Als wir nach einem fast fünfminütigen Fußmarsch gegen vier Uhr ankamen, herrschte dort gähnende Leere und brütende Hitze. Nur ein junger Mann war im Kafeneio und bei ihm bestellten wir zwei wohlverdiente Bier. Karen ließ mich mit den Getränken und dem Gepäck zurück und ging auf einen Rundgang durch das Dorf, kam aber nach erstaunlich kurzer Zeit unverrichteter Dinge zurück. Während wir unser Bier tranken, fragte sie den jungen Mann, ob er ein Apartment oder Zimmer für uns wüsste, da wir die nächsten drei Monate hier Urlaub machen wollten, worauf er mit einem erstaunten Gesichtsausdruck antwortete, dass er nichts von einem Apartment wüsste und wegen eines Zimmers müssten wir auf den Boss warten, der bald kommen würde. Dies beunruhigte uns nicht, wir waren tiefenentspannt und machten uns keine Sorgen, sondern warteten in aller Seelenruhe und in völliger Unkenntnis, dass Hochsaison war und alle Hotelzimmer im Dorf praktisch belegt waren. Als Giorgis kam, fragte er uns, ob wir tatsächlich drei Monate bleiben wollten und erklärte uns, dass er eigentlich ausgebucht sei, aber noch ein freies Zimmer hätte. Karen ging mit ihm die Treppe, die wir später noch oft auf und ab gehen sollten hinunter zu dem Zimmer, in dem wir die nächsten fünfzig Nächte wohnen würden, während ich bei Gepäck und Bier wartete. Als Karen zurückkam, konnte man schon ihrem Gesichtsausdruck entnehmen, dass alles in Ordnung war, erleichtert und strahlend wie sie schaute. Nachdem auch ich einen Blick in das Zimmer geworfen hatte, gab uns Giorgis die Schlüssel zu unserem zu Hause in Chora Sfakion. Bevor wir mit unserem Gepäck hinuntergingen, fragte Karen, ob wir das nicht mit einem Raki feiern wollten. „You want a Raki?“, fragte er erstaunt zurück, brachte drei Gläser und wir stießen auf die nächsten Monate an.
Unser Zimmer im Hotel Alkyon
Weil unser Zimmer wie ein weiteres weder über einen Balkon noch über Meerblick verfügte, konnte man es nicht über das Internet buchen. Giorgis meinte, dies hätte immer zu Problemen geführt, sobald die Gäste das Zimmer gesehen hätten. Von diesen beiden war unseres das Größere, hatte eine Küchenzeile mit zwei Kochplatten, Spüle, Kühlschrank und Küchenschränken, was der Grund war, dass wir es gerne und ohne zu zögern genommen hatten, in dem Anderen wohnten später die Kinder eine Woche lang. Unser Zimmer war geräumig, praktisch eingerichtet, hatte ein schmales, aber ausreichendes Badezimmer sowie eine Kommode, einen Tisch mit zwei Stühlen und genügend Raum, um uns auszubreiten. Unsere Ansprüche waren nicht groß und wir fühlten uns von Anfang an so wohl darin, dass wir gerne über den offen daliegenden Nachteil hinwegsahen. Es hatte nicht nur keinen Meerblick, sondern überhaupt keinen Ausblick. Das schmale Fenster schaute ebenerdig zurück zum Kafeneio und ließ nur wenig Licht herein. Es gehörte ursprünglich zu dem Hotel Alkyon, aber nachdem das Hotel Stavris dieses Hotel übernommen hatte, wurden beide Hotels zusammen von dort betrieben. Das Alkyon ist ein schmales dreistöckiges Gebäude, vom Hotel Stavris durch eine kleine Kapelle und den Tamariske getrennt. Außerdem gibt es einen sehr schmalen Eingang von der Promenade, wo es auch ein Kafeneio besitzt. Aber vor allem hat das Hotel unweit unseres Raumes eine geräumige Terrasse mit einem großartigen Blick über den alten Hafen hinweg, zur Anlegestelle der Daskalogiannis und auf das libysche Meer bis nach Gavdos hinaus. Zur Linken konnte man auf einem Hügel das alte Kastell sehen, hinter dem am Morgen die Sonne aufging und am Abend der Mond, folgerichtig konnte man zur Rechten, im Westen den Sonnenuntergang bewundern. Ein wunderbarer Ort, der im Laufe der nächsten sieben Wochen mein Lieblingsplatz in Chora Sfakion wurde. Tagsüber war es zwar etwas zu warm, um sich dort aufzuhalten, aber vom späten Nachmittag an war es der beste Ort im Dorf, den man sich vorstellen konnte und ich wurde nie müde, den Ausblick zu genießen, dort zu lesen, die Schiffe ein- oder auslaufen zu sehen, meinen Gedanken nachzuhängen oder mich in Träumen zu verlieren. Stundenlang erfreute mich an jedem einzelnen Augenblick, den ich dort verbringen durfte.
Im Laufe der nächsten sieben Wochen verpasste ich nahezu kein abendliches Einlaufen der Daskalogiannis, welche das größte Fährschiff an dieser Küste ist. In der Hauptsaison transportiert sie jeden Abend bis zu 1200 Touristen von Agia Roumeli nach Chora Sfakion, wo diese auf mehr als ein Dutzend Busse verteilt werden, die sie anschließend zurück in ihre Hotels an der Nordküste bringen. Es ist ein eigenwilliges und unterhaltsames Erlebnis, wenn sich die Menschenmassen auf ihren Weg von dem Schiff an der Kantina vorbei hoch zum Busbahnhof begeben und dort in ihre Busse einsteigen. Anschließend kann man sich den Konvoi der Busse betrachten, wie sie den Berg hinauffahren. Im Laufe des Oktobers nahm ihr Zahl langsam aber stetig ab, bis die Daskalogiannis ihren Fährverkehr mit dem Ende der Sommerzeit beendete.
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