C. C. Brüchert - Ängstliche Hunde verstehen lernen

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Schlechte oder fehlende Erfahrungen wirken sich fast immer nachhaltig auf das Verhalten des Hundes im späteren Leben aus: Die Folge mangelnder Sozialisierung sind oftmals übersteigerte Ängste oder auf Angst basierende Aggressivität. Je nach Ursache können Ängste dabei nur auf bestimmte Situationen beschränkt sein, aber auch viele verschiedene Bereiche des Lebens betreffen. Der Alltag mit einem ängstlichen Hund ist für den Besitzer eine große Herausforderung: Selbst für hundeerfahrene Menschen ist es oft nicht einfach, die Grenze zwischen gesunder Förderung des Hundes und Überforderung zu erkennen. Erfahrungsgemäß verfügen gerade ängstliche Hunde oftmals über ein erstaunliches Potenzial an Fähigkeiten, das mit viel Einfühlungsvermögen, Geduld und der richtigen Herangehensweise zum Vorschein gebracht werden kann. Zwar mutiert ein ängstlicher Hund selten zum Draufgänger, seine Lebensqualität – und auch die des Besitzers – kann sich durch gezieltes und konsequentes Training aber deutlich steigern. Noch besser ist es, Ängste durch eine gute Sozialisierung gar nicht erst aufkommen zu lassen: Das gelingt am besten, wenn der Welpe ausreichend lange mit Mutter und Geschwistern zusammenleben darf und schon im jungen Alter vielen verschiedenen Umweltreizen ausgesetzt wird.

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Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Den ängstlichen Hund verstehen lernen

Titel

Einleitung: Vom Wolf zum Haushund

Hunde gelten seit mindestens 15.000 Jahren als treueste Gefährten des Menschen. Wann die ersten Haushunde domestiziert wurden, ist bis heute nicht vollständig geklärt – sicher ist aber, dass sie ausschließlich vom Wolf abstammen. Auch an der Frage, von wem der erste Schritt zur Domestizierung ausging, scheiden sich die Geister: Suchte der Wolf die Nähe des Menschen, weil die Abfälle der menschlichen Siedlungen für ihn eine wertvolle und leicht zu erlangende Nahrungsressource darstellten? Oder weckten mutterlose Wolfswelpen den Mutterinstinkt der Frauen und fanden so Familienanschluss? Beide Theorien sind schlüssig, bisher konnte keine von ihnen endgültig bewiesen werden. Als Wächter und Jagdhelfer fanden die ersten Hunde erst sehr viel später Verwendung – um derartig eng mit dem Menschen zusammenzuarbeiten, musste das Wildtier Wolf erst seine angeborene Scheu vor dem potentiellen Feind verlieren. Dies gelang vermutlich durch gezielte Verpaarung überdurchschnittlich zutraulicher Tiere, die diese Charaktereigenschaft an ihre Nachkommen weitergaben. Auch die Vorbildwirkung erwachsener Tiere dürfte zu jener Zeit bereits eine Rolle gespielt haben: Lernt der Welpe bereits in den ersten Lebenswochen, den Menschen nicht als Gefahr zu sehen, bleibt ihm dieses Grundvertrauen ein Leben lang erhalten.

Die Domestizierung veränderte den Hund nicht nur äußerlich, sie beeinflusste auch sein Verhalten. Über die Jahrhunderte schloss er sich immer mehr dem Menschen an und lernte, mit ihm durch Körpersprache und Lautäußerungen zu kommunizieren. Gezielte Züchtung für verschiedene Verwendungszwecke brachte eine Vielfalt an Rassen hervor, die sich sowohl im Aussehen als auch in Bezug auf Fähigkeiten und Charakter wesentlich unterscheiden. Viele ureigene Instinkte sind dem Hund erhalten geblieben – dem einen mehr, dem anderen weniger. Angeborene Verhaltensweisen bestimmen Wesen und Handeln eines Tieres nur zum Teil. Ebenso entscheidend sind Umwelteinflüsse und Erfahrungen, die es verstärkt in den ersten Lebensphasen, aber auch im höheren Alter prägen. Die Domestikation brachte dem Hund viele Vorteile: Er muss sich nicht selbst um die Nahrungsbeschaffung kümmern, wird von seinem Besitzer vor Gefahren und Witterungseinflüssen geschützt und bei Krankheit gepflegt. Das Eingreifen des Menschen in die natürlichen Abläufe kann auch viel Schaden anrichten: In der Natur steht jedes Tier schon in den ersten Lebenswochen fortwährend neuen Situationen und potentiellen Bedrohungen gegenüber – durch das Beobachten älterer Rudelmitglieder lernt es, darauf angemessen zu reagieren. Im häuslichen Umfeld bestimmt der Mensch, mit welchen Umweltreizen der junge Hund konfrontiert wird - zudem fehlen meist ältere Artgenossen, die als Vorbild für adäquates Verhalten dienen können.

Schlechte oder fehlende Erfahrungen wirken sich fast immer nachhaltig auf das Verhalten des Hundes im späteren Leben aus: Die Folge mangelnder Sozialisierung sind oftmals übersteigerte Ängste oder auf Angst basierende Aggressivität. Je nach Ursache können Ängste dabei nur auf bestimmte Situationen beschränkt sein, aber auch viele verschiedene Bereiche des Lebens betreffen. Der Alltag mit einem ängstlichen Hund ist für den Besitzer eine große Herausforderung: Selbst für hundeerfahrene Menschen ist es oft nicht einfach, die Grenze zwischen gesunder Förderung des Hundes und Überforderung zu erkennen. Erfahrungsgemäß verfügen gerade ängstliche Hunde oftmals über ein erstaunliches Potenzial an Fähigkeiten, das mit viel Einfühlungsvermögen, Geduld und der richtigen Herangehensweise zum Vorschein gebracht werden kann. Zwar mutiert ein ängstlicher Hund selten zum Draufgänger, seine Lebensqualität – und auch die des Besitzers – kann sich durch gezieltes und konsequentes Training aber deutlich steigern. Noch besser ist es, Ängste durch eine gute Sozialisierung gar nicht erst aufkommen zu lassen: Das gelingt am besten, wenn der Welpe ausreichend lange mit Mutter und Geschwistern zusammenleben darf und schon im jungen Alter vielen verschiedenen Umweltreizen ausgesetzt wird.

So wird der Hund alltagstauglich

Die wichtigste Sozialisierungsphase im Leben des Hundes beginnt mit Anfang der vierten Lebenswoche, wenn die Sinnesorgane voll ausgereift sind und die Entwicklung der motorischen Fähigkeiten schnell voranschreitet. Bis zur zwölften Lebenswoche übernehmen die Jungtiere viele Verhaltensweisen von älteren Rudelmitgliedern – in der Gemeinschaft mit dem Menschen wird dieser als Vorbild herangezogen. Der Hund muss sich darauf verlassen können, dass sein Rudelführer Gefahren richtig einschätzt und darauf angemessen reagiert – jede Unsicherheit des Hundehalters überträgt sich unweigerlich auf das Tier und ist in vielen Fällen die Ursache für ein späteres Problemverhalten. Für den Besitzer ist es daher oberstes Gebot, in Gegenwart des Hundes immer ruhig und besonnen zu bleiben. Ängste des Tieres müssen ernst genommen, dürfen aber nicht überbewertet werden: Den verängstigten Hund mit Zuwendung zu überschütten, kann seine Erregung noch verstärken. Durch souveränes Auftreten vermittelt der Mensch dem Vierbeiner Sicherheit – nur wenn die Lage zu eskalieren droht, sollte der Hundehalter das Tier ohne Hast aus der angstbesetzten Situation nehmen und ihn später in kleinen Schritten wieder an sie heranführen.

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