Sobald das Eichhörnchen gefangen und die Jagd beendet war, ging Reineke zu dem Marder, blieb aber in Entfernung von zwei Schritten stehen, zum Zeichen, daß er ihm die Jagdbeute nicht entreißen wollte. Er begrüßte den Marder sehr freundlich und wünschte ihm Glück zu dem Fang. Reineke hatte das Wort sehr in der Gewalt, so wie alle Füchse. Aber der Marder, der mit seinem langen und schmalen Körper, seinem feinen Kopf, seinem weißen Fell und seinem hellbraunen Fleck am Halse aussieht wie ein kleines Wunder von Schönheit, ist in Wirklichkeit nur ein roher Waldbewohner, und er antwortete ihm kaum. »Es wundert mich doch,« sagte Reinecke, »daß ein so gewaltiger Jäger wie du sich damit begnügt, Eichhörnchen zu jagen, wenn da so viel besseres Wild in deinem Bereich ist.« Hier machte er eine Pause und wartete auf eine Antwort, aber als ihm der Marder ganz frech die Zähne zeigte, fuhr er fort: »Ist es möglich, daß du die wilden Gänse nicht gesehen hast, die hier unter der Felswand stehen? Oder kletterst du nicht gut genug, um zu ihnen hinabzugelangen?«
Diesmal brauchte er nicht auf die Antwort zu warten. Der Marder fuhr auf ihn ein – sein Rücken war krumm und alle seine Haare sträubten sich. »Hast du wilde Gänse gesehen?« fauchte er. »Wo sind sie? Sag' es mir sofort, sonst beiß' ich dir die Kehle durch!« – »Vergiß nur ja nicht, daß ich doppelt so groß bin wie du; sei nur lieber ein wenig höflich. Ich verlange ja nichts Besseres, als dir die wilden Gänse zu zeigen.«
Einen Augenblick später war der Marder auf dem Wege nach dem Abhang hinab, und während Reineke dasaß und zusah, wie er seinen langen, schlangenähnlichen Körper von Zweig zu Zweig wand, dachte er: »Der schöne Baumjäger dort hat das grausamste Herz im ganzen Walde. Ich denke, die wilden Gänse werden mir für ein blutiges Erwachen danken können.«
Aber gerade als Reincke gespannt auf das Todesgeschrei der Gänse horchte, sah er den Marder von einem Zweig fallen und in den Bach hinabplumpsen, so daß das Wasser hoch aufspritzte. Gleich darauf erscholl ein klatschendes Geräusch von harten Flügeln, und alle Gänse stiegen in eilsamer Flucht in die Höhe.
Reineke wollte sofort hinter den Gänsen drein eilen, aber er war so neugierig, zu erfahren, wodurch sie errettet waren, daß er sitzen blieb, bis der Marder wieder heraufgeklettert kam. Der Ärmste war klatschnaß und blieb von Zeit zu Zeit stehen, um sich das Gesicht mit den Vorderpfoten zu reiben. »Hab' ich mir es doch gedacht,« sagte Reineke verächtlich. »So ein Tolpatsch und in den Bach zu fallen!«
»Ich bin kein Tolpatsch gewesen. Du sollst mich nicht ausschelten!« sagte der Marder. »Ich saß schon auf einem der untersten Zweige und dachte darüber nach, wie ich es anfangen sollte, eine ganze Menge Gänse zu zerreißen, als ein kleiner Knirps, der nicht größer war als ein Eichhörnchen, herbeigestürzt kam und mir mit einer solchen Gewalt einen Stein gegen den Kopf schleuderte, daß ich ins Wasser fiel, und ehe es mir gelungen war, wieder herauszuklettern ...«
Das weitere konnte sich der Marder ersparen. Er hatte keinen Zuhörer mehr, Reineke war schon lange über alle Berge, hinter den Gänsen drein.
Akka war indessen südwärts geflogen, auf der Umschau nach einem neuen Schlafplatz. Das Tageslicht war noch nicht ganz entschwunden, und außerdem stand der Halbmond hoch am Himmel, so daß sie einigermaßen sehen konnte. Glücklicherweise kannte sie die Gegend gut, denn es war mehr als einmal geschehen, daß sie vom Sturm nach Bleking hineingetrieben war, wenn sie im Frühling über die Ostsee zog.
Sie folgte dem Bach, solange sie ihn sich durch die mondhelle Landschaft gleich einer glänzend schwarzen Schlange winden sah. So gelangte sie bis ganz nach Djupafors, wo sich der Bach zuerst in einer unterirdischen Rinne versteckte und sich dann, klar und durchsichtig wie Glas, in eine enge Schlucht hinabstürzt, auf deren Grund er zu blitzenden Tropfen weitspritzenden Schaumes zerstiebt. Unter dem weißen Wasserfall lagen einige Steine, zwischen denen das Wasser mit wildem Brausen dahin stürzte, und hier ließ Akka sich nieder. Dies war wieder ein guter Schlafplatz, namentlich so spät am Abend, wenn keine Menschen unterwegs waren. Bei Sonnenuntergang hätten sich die Gänse kaum dort niederlassen können, denn Djupafors liegt nicht in einer einsamen Gegend. An der einen Seite des Wasserfalles liegt eine Papiermassefabrik, und an der andern, die steil und mit Bäumen bestanden ist, liegt der Djupataler Park, wo es stets von Leuten wimmelt, die auf den glatten und steilen Steigen umherstreifen, um sich an dem Anblick des unten zwischen Felsenklippen dahinbrausenden wilden Flusses zu erfreuen.
Es war hier wie an dem ersten Lagerplatz: nicht eine von den Gänsen dachte daran, daß sie sich an einem schönen und bekannten Aussichtsort befanden. Sie fanden wohl vielmehr, daß es unheimlich und gefährlich war, auf glatten, nassen Steinen mitten in einem lärmenden Gießbach zu stehen und zu schlafen. Aber sie mußten ja zufrieden sein, wenn sie nur gegen Raubtiere beschützt waren.
Die Gänse schliefen bald ein, der Junge hingegen hatte keine Ruhe zum Schlafen, er saß neben ihnen, um acht auf den Gänserich zu geben.
Nach einer Weile kam Reineke am Ufer entlang gelaufen. Er erblickte die Gänse sogleich draußen in den Schaumwirbeln und sah ein, daß er ihnen auch jetzt nichts anhaben konnte. Aufgeben wollte er sie aber doch nicht; er setzte sich am Ufer nieder und sah sie an. Er fühlte sich sehr gedemütigt und fand, daß sein ganzes Ansehen als Jäger auf dem Spiel stehe.
Plötzlich sah er einen Otter aus dem Gießbach herauskriechen; der trug einen Fisch im Maul. Reineke ging auf ihn zu, blieb aber in einer Entfernung von zwei Schritten stehen, um zu zeigen, daß es nicht seine Absicht sei, ihm die Jagdbeute wegzunehmen. »Du bist ein wunderlicher Kauz, daß du dich damit begnügst, Fische zu fangen, wenn es da draußen auf den Steinen von wilden Gänsen wimmelt,« sagte Reineke. Er war so eifrig, daß er sich keine Zeit ließ, in so wohlgesetzten Worten zu reden wie sonst. Der Otter drehte nicht einmal den Kopf nach Reineke um. Er war ein Landstreicher wie alle Ottern, hatte oft im Bombsee gefischt und kannte Reineke Fuchs sehr wohl. »Ich weiß recht gut, wie du es machst, um eine Lachsforelle zu ergattern, Reineke,« sagte er. »Ach, du bist es, Gripe,« sagte Reineke und freute sich, denn er wußte, daß dieser Otter ein mutiger und tüchtiger Schwimmer war. »Es ist ja nicht so zu verwundern, daß du dich nicht nach den wilden Gänsen umsehen willst, da du ja doch nicht zu ihnen hinauskommen kannst.« Aber der Otter, der eine Schwimmhaut zwischen den Zehen hatte und einen steifen Schwanz, der so gut wie ein Ruder war, und außerdem auch einen wasserdichten Pelz, wollte es nicht auf sich sitzen lassen, daß es einen Gießbach gebe, mit dem er nicht anzubinden wagte. Er wandte sich nach dem Strom um, und sobald er die wilden Gänse erblickt, warf er den Fisch hin und stürzte sich das steile Felsenufer hinab, in den Strom hinein.
Wäre der Frühling ein wenig weiter vorgeschritten, so daß die Nachtigallen im Djupadaler Park zu Hause gewesen wären, so würden sie noch viele Nächte hinterher von Gripes Kampf mit dem Wasserfall gesungen haben. Denn der Otter wurde wieder und wieder von den Wellen mit fortgerissen, arbeitete sich aber jedesmal wieder in die Höhe. Er schwamm durch seichtes Wasser, er kletterte über Steine, und nach und nach kam er den wilden Gänsen näher. Es war ein Wagestück, das wohl verdient hätte, von den Nachtigallen besungen zu werden.
Reineke folgte ihm mit den Augen, so gut er konnte. Schließlich sah er, daß der Otter im Begriff war, zu den wilden Gänsen hinaufzuklettern. Aber im selben Augenblick ertönte ein wilder, gellender Schrei, der Otter stürzte rücklings ins Wasser und wurde von den Wellen mit fortgerissen, als sei er ein blindes junges Kätzchen. Gleich darauf ertönte abermals der harte Flügelschlag der wilden Gänse. Sie schwangen sich empor und flogen davon, um sich einen neuen Schlafplatz zu schaffen.
Читать дальше