Auf der Überfahrt kotzte ich mir die Seele aus dem Leib. Ich hatte fast zwei Tage gar nichts mehr gegessen, aber ich erbrach und war mir nicht sicher, ob es von der Seekrankheit oder vom Liebeskummer herrührte.
Drei Tage ließen meine verlässlichen Kumpels und ich uns Zeit für die Rückkehr nach Deutschland. Meine Freunde hatten mich vor fast drei Monaten noch halb betrunken nach durchzechter Nacht zum Bus gebracht. Nun kutschierten sie mich in dem alten R4 durch die Gegend, in dem ich auf der Rückbank vor mich hin starrte und schon zum ersten Frühstücksgang eine billige Flasche Rotwein durch meine Kehle laufen ließ. So überlebte ich die ersten Tage und schlief die Nächte durch. Meistens auf einer Luftmatratze neben dem R4 in einem Wald oder an einem Feldrand, nur einmal forderte uns die französische Polizei zum Abbruch unseres improvisierten Nachtlagers auf.
*
Im darauffolgenden Herbst nahm ich ein Betriebswirtschaftstudium in Hamburg auf. Ich verdrängte den Sommer mit Bridget, Broadstairs, England. Ich mied England wie die Pest und heiratete später meine heutige Frau.
Vor zweieinhalb Jahren erhielt ich einen Brief von der guten alten Mrs. Walker. Im Alter von nur 42 Jahren war Bridget wenige Wochen zuvor an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben. Sie hinterließ drei Kinder aus zweiter Ehe. Denn die mit ihrem Marinesoldaten war bereits vier Monate nach unserem gemeinsamen Sommer in Broadstairs in die Brüche gegangen.
Neben Bridgets Todesanzeige fand ich einen Brief, den sie mir am Tage meines Fortgangs aus der Sheffield Lane in den frühen Morgenstunden geschrieben und ihrer Mutter für mich gegeben hatte. Mrs. Walker hatte dann wohlweislich darauf verzichtet, ihn mir auszuhändigen.
Bridgets Brief lautete:
Lieber Thomas,
ich hätte dir längst etwas sagen müssen. Ich bin verheiratet, nicht glücklich, nicht unglücklich, aber ich kann meinem Mann, der Marinesoldat ist und heute von einem längeren Asienaufenthalt zurückkehrt, nicht einfach brüskieren und ihn damit konfrontieren, dass ich mich in einen 19-jährigen Englischschüler aus Deutschland verliebt habe!
Du willst mich heiraten, was Blödsinn ist, aber vielleicht kannst du mir mein kleines Geheimnis vergeben und wir können weitersehen, wenn du im Herbst wirklich wie geplant nach England zurückkehrst? Du musst doch auch erst mit deinem Vater sprechen und dann wird sich schon alles finden!
Wenn du es jetzt immer noch willst, können wir nächste Woche noch einmal etwas gemeinsam unternehmen, denn dann ist mein Mann bei seiner Familie in Glasgow, ich werde aber nicht mitfahren. Und dann sprechen wir in Ruhe über alles und vielleicht kann ich dich ja auch bald mal in Deutschland besuchen?
Überleg es dir, verzeih mir und erlaube mir Küsse...
Ich werde dich so vermissen!
Von ganzem Herzen, Bridget
Ich habe die alte Mrs. Walker nicht zur Rede gestellt. Mir war klar, dass sie nichts anderes versucht hatte, als die junge Ehe ihrer Tochter zu retten, indem sie mir Bridgets Abschiedsbrief vorenthielt. Und Bridget hatte sie aus dem gleichen Grund erzählt, ich sei wutentbrannt abgereist und wolle nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Manchmal trinke ich in einer kleinen Teestube bei uns um die Ecke ein Glas Darjeeling, den ich bis heute nicht mag. Und wenn meine Frau sich im Fernsehen sonntagabends englische Schmonzetten anschaut, könnte ich wahnsinnig werden.
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