Jene seltsame Verschwisterung scheint die Vorwelt wohl verstanden zu haben, wenn sie den Phallus oder dessen kolossales Sinnbild, die Pyramide, als Malzeichen auf Gräber gestellt, oder das geheime Fest der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges sinnlicher Lust der rohe Ausdruck auch noch eines anderen tieferen Verständnisses gewesen. Mitten unter den Todesfeierlichkeiten und Trauerklagen der Mysterien ertönte, wie in einer Shakespeareschen Tragödie, die Stimme des Lachens über Baubo (antike Fruchtbarkeitsgöttin) und Jacchus; mitten unter zum Teil komischen und heiteren Festlichkeiten blickte öfters ein sehr ernster und tragischer Sinn hervor.“ (Seite 38.)
Wir werden auch in unserem Traume nach tieferen Zusammenhängen forschen. Wir erfahren eine weitere Bedeutung des Traumes: Er ist eine Todesphantasie. Sie liegt im Grabe. Ein ihr gepflanzter Baum sinkt immer tiefer in die Erde, wie sie es auf Friedhöfen öfter gesehen hat. Der Raum, in dem sie liegt, der viereckig ist, ist das Grab ((26.) „Eine Dame träumt, sie gehe einer Dame ihrer wirklichen Bekanntschaft, welche sich an wirklicher langwieriger Krankheit dem Tode nahe befand, einen Krankenbesuch abstatten; wie sie hinkommt, erstaunt sie nicht wenig, dieselbe im Wochenbett zu finden, worüber sie im Hinblick auf das Alter der Patientin und ihres daneben stehenden erwachsenen Sohnes sich gar nicht zu fassen vermag. (Hier ist der Zustand der Bettlägerigkeit bei Sterben und Gebären das Assoziationsmoment.)“ (Das Leben des Traumes von Karl Albert Scherner. Berlin. Verlag von Heinrich Schindler, 1861. Seite 147).
Wie der Erdgeist im Faust verkündet:
„Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd‘ Weben,
Ein glühend‘ Leben."
Sie liegt also im geschlossenen Grabe, am Friedhofe, wo Blumen blühen (Garten) und Bäume zum Gedenken gepflanzt werden und versinken.
Beim jüngsten Gericht öffnen sich die Gräber und die Toten steigen wieder auf. Wehe! Wie hat sie ihr Leben verbracht? War es nicht eine Kette von sündigen Gedanken? Hier sehen wir das tiefe Schuldbewusstsein, das sich am Schluss des Traumes als Angst entladen muss.
Damit ist die Deutung dieses Traumes noch nicht erschöpft. Das Wichtigste soll noch kommen. Die Angst am Schluss deutet auf unterdrückte Sexualität; auf Wünsche, die als unerreichbare, unerfüllbare, verbrecherische sich in Angst gewandelt haben. Wir erfahren, dass ihr Mann aus Angst vor dem Kindersegen viele Jahre den „Coitus interruptus“ gepflegt hat. Diese Angst vor der Gravidität drückt sich auch in diesem Traumbilde aus. Auch Befürchtungen, ihr Mann, der ein so gesunder kräftiger Mensch ist, könnte ihr plötzlich sterben, er könnte ihr untreu werden usw. (Die Angst, der Mann könnte sterben, verrät ihren geheimen Wunsch. Der Mann ist ein Gefangener und darf sie keinen Moment lang allein lassen. Wir können die Motive verstehen: Er soll nicht von ihr gehen d. h. sterben).
Hier führt eine Brücke zu den wichtigsten Traumgedanken. Sie hat ein einziges Kind, einen Sohn, der in den nächsten Monaten heiraten soll. Am Vorabend des Traumes kam ihre künftige Schwiegertochter zu ihr, und sie sprachen über die Ausstattung. Man legte Modelle verschiedener Hemden vor und das Mädchen meinte zu einem Modell, das vorne zu schließen war: „Das ist ja sehr bequem. Wenn ich einmal Amme sein werde, kann ich solche Hemden brauchen“. Sie staunte über die Freiheit, mit der die modernen Mädchen über diese Dinge sprechen können. Sie war als Mädchen ganz anders. Einen Moment lang durchzuckte sie der Hass gegen das blühende, junge, reiche Mädchen, das ihr das Herz ihres einzigen Sohnes geraubt hatte.
Jetzt verstehen wir die dritte Bedeutung des Traumes. Der Baum, der im Wasser versinkt, das ist ihr Sohn (Sie hat ihn gepflanzt, ihn aufgezogen, ihn gepflegt. Er sollte ihre Stütze sein!). Sie sieht ihn im Geiste in der Brautnacht, sie sieht die Gravidität ihrer Schwiegertochter voraus. Sie ist eifersüchtig und leidet schwer unter dieser Eifersucht. Der kleine Sohn, dessen Amme sie gewesen, hat häufig im Traum die Bedeutung eines Penis. Hier steht er für beides. Der Traum lautet also: Ich sehe das Ende meiner Liebe voraus. Mein Sohn wird bald heiraten. Immer mehr verschwindet er für mich. Ich bedeute ihm immer weniger. Er geht ganz in seiner Liebe auf. (Der versinkende Baum!) Er wird seine Frau gravid machen, er wird Vater werden. So ändern sich die Zeiten.
Nun wäre es sehr interessant, zu erfahren, was die Fortsetzung des Traumes besagt. Wie sie sich aus diesen Schwierigkeiten befreit. Das ist das wichtigste Stück des Traumes und deshalb vollkommen unterdrückt.
Wir können nur aus anderen Analogien schließen, aus früheren Träumen der Patientin — um eine solche handelt es sich — dass das fehlende Stück vom Tode der jungen Rivalin handelt. Eine solche Rivalin starb ihr einmal vor 4 Jahren, und da brach infolge der Vorwürfe, die sie sich im Unbewussten machte, die Neurose aus. Jetzt treiben ihre Gedanken dasselbe Spiel und reagieren auf diese Schuld mit der Sühne der Angst.
Die Angst ist in letzter Linie immer die Angst vor sich selber. (Vergleiche die Worte, die Richard III. nach dem furchtbaren Traume vor der Schlacht spricht: „Was fürcht‘ ich denn! Mich selbst? Sonst ist hier niemand. Richard liebt Richard: das heißt: Ich bin ich. Ist hier ein Mörder! Nein. — Ja — ich bin hier. So flieh! — Wie? Vor dir selbst? Mit gutem Grund: Ich möchte rächen. Wie? Mich an mir selbst? loh liebe mich ja selbst. Wofür, für gutes, Das ich je selbst hätt‘ an mir selbst getan? O leider nein! Vielmehr hass‘ ich mich selbst!“)
Der wichtigste Gedanke ist hier der verdrängteste. Es ist der Todesgedanke. Bevor sie ihrer Schwiegertochter den eigenen Sohn gönnt, möchte sie ihn lieber sterben sehen. Er soll sterben, er soll verschwinden. Man gräbt ein Grab und legt einen Menschen hinein. Das sind für sie die wichtigsten Veränderungen der Erdoberfläche.
Solche böse Gedanken müssen eine Hemmung erfahren und sich als Angst äußern. Denn sie liebt ja ihren Sohn, sie will ihn nicht verlieren.
In jeden Traum spielt das Problem des Todes hinein.
Es gibt keinen Traum, hinter dem nicht das Gespenst des Todes steht.
Unsere Patientin lebt nur mit den Toten. Sie ist reich an Geistern (geistreich).
Weitere Beziehungen des Traumes gehen auf die Onanie (Schaukelbewegungen) und auf die Bisexualität. (Auch die sogenannte Mutterleibsphantasie, d. h. die Vorstellung im Leibe (Sarg!) der Mutter zu sein und alle Vorgänge des ehelichen Lebens zu beobachten, kommt in diesem Traume zum Durchbruch. Sie leidet an der Angst „lebendig begraben zu werden“.) Doch ich würde meine Leser verwirren. Der Traum ist schon zu schwer geworden. Es gibt eben keine einfachen Träume!
* * *
Die Traumentstellung
(Zwei Träume vom Nachlaufen. Mein politischer Bismarcktraum.
Der Traum der prächtigen Villa. Der Traum vom Zuckerbäcker.)
„Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn
wird ihm im Traume aufgetan.“ Richard Wagner
Wir haben an zahlreichen Beispielen gesehen, dass der Traum eine symbolische Sprache spricht, dass mit der Auflösung der Symbolismen eine teilweise Erklärung des Traumes möglich ist. Ich betone es noch einmal: nur eine teilweise Erklärung, weil außer den Symbolismen noch verschiedene Vorgänge der Traumentstellung eine Rolle spielen, die ich hier erwähnen muss. Eine der wichtigsten Formen der Traumentstellung ist die Verkehrung in das Gegenteil. Dies ist schon den ältesten Traumdeutern bekannt gewesen, und auch vom Volke in ähnlicher Weise aufgefasst worden. Träumte einer vom Tod, so weissagte das ägyptische Traumbuch Geburt; erlebte jemand im Traume ein großes Unglück, so hatte das nach Ansicht der alten Traumdeuter ein großes Glück zu bedeuten. Über diese Auslegungen des Volkes haben sich manche Gelehrte lustig gemacht; es scheint aber, dass, wie Freud sehr treffend bemerkt, das Volksbewusstsein der Wahrheit viel näher gekommen ist als die Weisheit der Gelehrten. Eine ganze Reihe von Träumen wird nur dadurch zu deuten sein, dass wir das Prinzip der Verkehrung ins Gegenteil anwenden. „Kot bedeutet Gold. Gold und Kot sind Gegensätze, daher sich das Teufelsgeld der Sage nach in Dreck verwandeln muss. Eine Eigentümlichkeit des Traumes ist es aber gerade, Gegenteil für Gegenteil zu setzen. So bedeutet es Krankheit, wenn man jemand geputzt sieht, Zank, wenn man sich lieb hat und so ist lebhafte sinnliche Freude im Traume nicht selten eine Vorbotin von Schmerzen: Vae tibi ridenti, quia mox post gaudia flebis.“ (Kleinpaul — Sprache ohne Worte.)
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