Er war im Traume ungeheuer erregt. Aber Kaiser und Bürgermeister lassen ihn im gewöhnlichen Leben kalt. Nur weil sie hier Symbole sind, weil der Kaiser sein größtes Hindernis, seinen Vater, und der Bürgermeister sein sehnlichstes Ziel, seine Geliebte, symbolisieren, verknüpfen sich mit diesen Traumgedanken so ungeheure Affekte. Sehr hübsch ist der Satz: Der Bürgermeister ruft erregt: Wo ist der Kaiser. Das ist gleichsam der Höhepunkt des kleinen Dramas, das sich vor uns abgespielt hat, die große Szene zwischen dem Vater und der Geliebten. Natürlich siegt sie. Wer jedoch glauben würde, dass diese Analyse einigermaßen erschöpfend ist, der würde sich einer argen Täuschung hingeben. Der Traum zeigt uns das Rätsel seiner Liebe. Er bat eine Identifizierung seiner Mutter mit der Geliebten vollzogen. Das Rathaus bedeutet ebenso die Mutter als die Geliebte; es bedeutet eben die geliebte Mutter oder die Geliebte, die die Mutter seiner Kinder werden soll. Die Mutter empfängt den Vater (Kaiser) — natürlich am Abend. Die tausendköpfige Menge bedeuten immer die rebellischen Wünsche, die unzähligen bösen Gedanken und infolgedessen natürlich auch auf dem Wege des Gegensatzes ein Geheimnis. Die drei Gestalten, die Wache halten, symbolisieren wie die meisten Drei den Penis und die beiden Hoden. Hier ist der Penis der „eiserne Mann mit der Lanze“; die Hoden (eigelb) sind durch goldene Gewänder („Die goldenen Kugeln“ als Testikel „Anthropophyteia. II, Bd. S. 142.) charakterisiert. Einer rechts, der andere links. Es entspricht einer uralten Traumsymbolik, dass der Vater auch den Gebärvater, d. h. den Penis bedeutet. Die Hoden sind natürlich „unbeweglich“, nur der Penis will, dass es ihm „kommen“ soll.
„Ich und einige andere haben das Glück eingelassen zu werden.“ (Er hat zwei Geschwister. Sie sind drei Kinder in der Familie.) Natürlich, es war ja im Mutterleibe drinnen. Nun macht er aus der Vergangenheit die Gegenwart. Er wird alle Vorgänge belauschen können. (Ein Thema, das uns noch oft beschäftigen wird: die Mutterleibsphantasie!)
Die Wünsche werden immer drängender. Die drei eines anderen — werden seine Dreieinigkeit (Interessantes Material zur Symbolik findet sich in dem Buche: „Ancient Pagan and Modern Christian Symbolism“ by Thomas Juman. M. D. Second Edition. New York. Pater Ecker, Publisher. Nach diesem Autor stellt das Kreuz die Vereinigung von 4 Phalli dar, ist phönizischen Ursprungs und hat von Haus aus nichts Christliches an sich. Der Cruxansatz repräsentiert die Kombination der Dreifaltigkeit mit der Einheit. Es ist dasjenige Symbol, das man in der ägyptischen Kunst am häufigsten antrifft.). Der Kaiser verlässt durch eine Seitentüre das Haus (d. h. er stirbt; sein Wagen verschwindet in der Volksmenge) die Situation wird immer mehr einem Coitus ähnlich (treppauf – treppab) und unser Träumer erwacht.
Natürlich mengt sich die Geburtsphantasie mit der Deflorations-Phantasie. Er will nicht so lange warten. Der „Eiserne Mann“ ist ungeduldig. –
Ein anderes Bild:
Der Traum vom zügellosen Leben
Der Traum vom zügellosen Leben
(23.) „Ich bin in einem Tramwaywaggon, der zur Franz-Josef-Bahn fährt. Ein Pferd ist vorgespannt mit einem Zügel aus einem dünnen Strick. Der Strick zerreißt...“
Diesen Traum träumte ich im Herbat nach Rückkehr meiner Frau aus einer Sommerfrische an der Franz- Josef-Bahn. Eine deutliche Wunscherfüllung, das zügellose Leben eines Strohwitwers fortzuführen; offenbar eine dunkle Unterströmung des Unbewussten. In Wirklichkeit war ich glücklich darüber, dass meine Frau die Zügel des Haushaltes wieder in die Hand genommen hatte und ich in geordneten Verhältnissen leben konnte. Meine Strohwitwerfreiheiten habe ich niemals ausgenützt. –
Aber ein geheimer Wunsch war doch vorhanden!
Das Zugpferd bin natürlich ich. Eine beliebte Symbolik für den Ehemann im Gegensatze zur Frau, die als Wächter erscheint. Die Bande, die mich an die Ehe knüpfen, sind in diesem Traume sehr dünne. Der Strick reißt. (Doppelsinnig: der Strick, d. h. der leichtsinnige Kerl reißt aus!) Auch der Todeswunsch dringt durch die Traumgedanken. Die Parzen (Schicksalsgöttinnen) durchschneiden den Lebensfaden (Der Lebensfaden heißt im Volksmunde auch der Penis. (Anthropophyteia. II. Bd. S. 112.) Das Schuldbewusstsein sich durch Onanie (Ziehen am Lebensfaden) das Leben verkürzt zu haben, ist ebenfalls ein latenter Traumgedanke. Die Vorwürfe, die man sich wegen der infantilen Onanie macht, spielen in den Neurosen eine große Rolle und finden sich als schwer aufzulösende Vexierbilder gleich den Todesgedanken in den meisten Träumen). Der Lebensfaden reißt.
Die infantile Schichte ist durch die Franz-Josef-Bahn — (Kaiser Franz Josef = Vater) bezeichnet. Ich komme wieder in das Jugendland, ich kehre zur Mutter zurück und... verlasse meine Frau.
Wir haben gesehen, wie der Traum unsere geheimen Wünsche erfüllt oder… unsere geheime Angst enthüllt. Angst und Wunsch sind Geschwister. Es gibt im Traume keine Angst, die nicht einmal ein Wunsch gewesen. Ich habe in meinem Buche „Nervöse Angstzustände“ (Urban und Schwarzenberg 1908) an einer großen Reihe von Angstträumen den Beweis erbracht, wie die geheimen Wünsche der Neurotiker im Traume als Angst auftreten.
Ich möchte dieses Kapitel mit einem kurzen, aber lehrreichen Traum beschließen, der die Beziehungen zur Angst in einwandfreier Weise klarlegt.
Ein ca. 80jähriger Mann leidet an einer schweren Perversion. Er begehrt nur Kinder unter 10 Jahren. Diese Leidenschaft hat er mit Energie und Erfolg bekämpft. Er wusste seine Bestie in Ketten zu halten. Eine seiner Lieblingsideen war es, sich eine Situation auszudenken, in der die Ausführung der Perversion für ihn keine Sünde wäre. Z. B., wenn ihn Räuber dazu zwingen würden… Dann wäre er ja unschuldig und könnte sich vor der irdischen und himmlischen Gerechtigkeit mit Hinweis auf die vis major (höhere Gewalt) verteidigen.
Dieser Mann träumte:
(24.) „Ich wurde auf freiem Felde von einem Pülcher (Ein Wiener Ausdruck für einen „Strolch“), einem sehr starken Burschen verfolgt. Dieser hatte ein kleines Mädchen mit. Ich fürchtete, dass er mich zwingen könnte, mit dem Mädchen den Geschlechtsakt auszuführen, dachte mir aber dann: schließlich würde ich mir heute schon nicht gar so starke Gewissensbisse daraus machen. Ich lief und traf dann Leute, so dass ich gerettet war.“
Der Träumer möchte also einen sündhaften Akt vollziehen unter Umständen, die ihn von der Sünde freisprechen. Er sucht die force majeure (höhere Gewalt) des Schicksals, in der Gestalt eines „Pülchers“ (Wiener Ausdruck für Strolch). Aber selbst dieser alte Wunsch ist jetzt infolge der Hemmung in Furcht verwandelt. (Vergleiche den Fall eines Rabbiners in „Nervöse Angstzustände“, Seite 165.)
Dieser Traum ist die Übertragung einer wachen Phantasie ins Traumleben. Er zeigt uns ein sonderbares Grenzgebiet, wo Wunsch und Angst in einen Affekt zusammenfließen.
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Der Traum vom versunkenen Baum
Der Traum vom versunkenen Baum
„Fürchterlich tief leuchtet der Traum in den uns gebauten
Epikurs- und Augiastall hinein, und wir sehen in der Nacht
alle die wilden Grabtiere und Abendwölfe
ledig umherstreifen, die am Tage die Vernunft
an der Kette hielt.“ Jan Paul
Wir haben an den Beispielen der Bibel und des Artemidoros und im vielen anderen Träumen gesehen, wie die Symbolik den Schlüssel zu einer Traumdeutung liefern kann. Man sollte also glauben, eine genaue Kenntnis aller Traumsymbole müsste uns eine glatte Erklärung des Traumes ermöglichen. So einfach ist die Sache nicht. Hie und da kann man freilich schon bei flüchtiger Durchsicht eines Traumes seinen Inhalt erkennen. Aber nur hie und da! Oft ist es nicht der Fall. Und wenn man wieder eine Deutung erkannt hat, was hat das zu sagen? Jeder Traum ist mehrdeutig. Der Traum ist entstellt durch verschiedene Mechanismen, die wir zum Teil schon kennen gelernt haben, zum Teil erst später besprechen werden. Wir müssen nach Freud zwei Begriffe scharf voneinander scheiden: den manifesten Trauminhalt und den latenten Trauminhalt. Der latente ist in vielen Fällen ohne Mithilfe des Träumers nicht zu erkennen. Denn die Symbole haben nur bedingt eine bestimmte Bedeutung. Und alles kann zum Symbol werden. Auch ist die Symbolik der verschiedenen Menschen verschieden. Ein Violinkünstler wird eine andere symbolische Sprache haben als ein Gewürzkrämer. Jeder bezieht seine Symbolismen aus seinem Wissen. So stellt sich im Traume der Vater immer als eine Autorität dar, den meisten Menschen als der Kaiser, dem Chorsänger der Oper als Operndirektor, dem ewigen Schüler als der „Herr Lehrer“, dem Politiker als der Ministerpräsident, dem Landbäuerlein als der Amtsrichter, dem Vagabunden als der Polizeibeamte, dem Wiener Spießer als der „Bürgermeister“, dem „geistliehen Herrn“ als der Papst, was nicht ausschließt, dass auch anderen der Papst (Papa!) den Vater bedeutet.
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