Lewis Wallace - Ben Hur
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Ben Hur
Lewis Wallace
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel
Zweiunddreißigstes Kapitel
Dreiunddreißigstes Kapitel
Vierunddreißigstes Kapitel
Fünfunddreißigstes Kapitel
Schluß
Impressum
Erstes Kapitel
Dschebel es Subleh heißt ein über fünfzig Meilen langer schmaler Gebirgszug, von dessen rotweißen Klippen man nach Osten auf die arabische Wüste blickt. Ungezählte Wadis, Rinnsale, haben sich in diesen Gebirgszug eingegraben, und zur Regenzeit füllen sie sich mit Wasser, um es dem Jordan oder dem Toten Meer zuzuführen.
Aus einem dieser Wadis, das vom äußersten Ende des Dschebel gegen Osten ausläuft und in das Bett des Jabbokflusses übergeht, kam ein Wanderer hervor, der dem Tafellande der Wüste zustrebte.
Dem Aussehen nach mochte er etwa fünfundfünfzig Jahre alt sein. Sein über die Brust herabwallender schwarzer Bart zeigte Spuren von Grau, sein Antlitz war tiefbraun und zum größten Teil durch ein rotes Tuch verdeckt. Er ritt ein großes, weißes Dromedar, das ein Zelt auf dem Rücken trug. Die Sonne war gerade aufgegangen, als das Tier sich aus dem Wadi herausarbeitete. Weithin erstreckte sich hier die Wüste, von einem Pfade oder Wege konnte hier keine Rede mehr sein. Aber das Kamel schien einer unsichtbaren Führung zu folgen und strebte in langen Schritten dem Osten zu. Genau um Mittag blieb es von selbst stehen und drückte durch einen klagenden Schrei seine Ermüdung aus.
Sein Reiter fuhr auf, als erwache er aus einem tiefen Schlafe. Sorgfältig prüfte er die Gegend nach allen Richtungen, wie um sich zu vergewissern, daß er am rechten Orte angelangt sei. Dann atmete er befriedigt tief auf und nickte, als wollte er sagen: Endlich! Er legte die Hände kreuzweise über die Brust, neigte das Haupt und verrichtete ein stilles Gebet. Nach Erfüllung dieser frommen Pflicht gab er dem Tiere das Zeichen zum Niederknien. Langsam und grunzend folgte es dem Rufe. Der Reiter setzte seinen Fuß auf den schlanken Hals und trat auf den sandigen Boden.
Wie es sich jetzt zeigte, war der Mann von wunderbar ebenmäßigem Körperbau, mehr kräftig als hochgewachsen. Der Schnitt seines fast schwarzen Gesichts, die breite Stirn mit der Adlernase und das herabwallende glänzende Haar verrieten seine ägyptische Abstammung.
Obschon allein in einer von Leoparden und Löwen wie auch halbwilden Menschen besuchten Wüste, trug er doch merkwürdigerweise keine Waffen, nicht einmal den zum Anspornen der Kamele dienenden gekrümmten Stab. Er befand sich also auf friedlichem Wege und war entweder sehr kühn oder stand unter einem außerordentlichen Schutze.
Der lange und ermüdende Ritt hatte seine Glieder steif gemacht, und daher umschritt er wiederholt sein treues Kamel, wobei sein Blick immer wieder den Horizont musterte. Jedesmal glitt dann ein leichter Schatten von Enttäuschung über sein Gesicht, der verriet, daß er Gesellschaft erwartete, vielleicht nach vorangegangener Verabredung. Allein, was konnte das für ein Geschäft sein, das an einem so abgelegenen Orte verhandelt werden mußte?
Er mußte wohl sicher sein, daß die erwartete Gesellschaft kommen würde, denn nachdem er sein Kamel gefüttert hatte, errichtete er mit Stäben aus seinem Gepäck und mitgebrachtem Tuch ein Zelt. Den mitgenommenen Vorräten entnahm er die Bestandteile eines Mahles: Wein in kleinen Lederschläuchen, getrocknetes und geräuchertes Hammelfleisch, syrische Granatäpfel, arabische Datteln, dazu Käse und gesäuertes Brot. Alles dieses stellte er in schöner Ordnung auf den Teppich unter dem Zelte, und legte zum Schlusse drei seidene Tücher als Servietten daneben. Hieraus konnte man auf die Anzahl der Personen schließen, die er als Gäste erwartete.
Alles war nun fertig. Er trat wieder hinaus, und sieh! fern im Osten war ein dunkler Punkt auf der Wüstenfläche zu bemerken. Wie festgewurzelt blieb er stehen; sein Auge erweiterte sich, ein heiliger Schauer durchrieselte seinen Leib.
Der Punkt wurde größer, endlich nahm er bestimmte Formen an. Etwas später erkannte er darin ein großes, weißes Dromedar, das genaue Seitenstück seines eigenen, mit der Reisesänfte eines Inders auf dem Rücken. Der Ägypter kreuzte seine Arme auf der Brust und blickte zum Himmel. »Gott allein ist groß!« rief er aus, während seine Augen mit Tränen sich füllten und Ehrfurcht seine Seele durchschauerte.
Der Fremde kam näher und näher, endlich machte er Halt. Auch er schien wie aus dem Schlafe erwacht. Er erblickte das kniende Kamel, das Zelt, und an seinem Eingange den Mann in betender Stellung. Er kreuzte ebenfalls die Arme, neigte das Haupt und betete schweigend. Nach einigen Augenblicken stieg er vom Kamele ab und ging dem Ägypter entgegen und dieser ihm. Einen Augenblick sahen beide einander an, dann umarmten sie sich.
»Friede sei mit dir, o Diener des wahren Gottes!« sagte der Fremde.
»Auch dir, o Bruder im wahren Glauben,« entgegnete mit Wärme der Ägypter, »auch dir Friede und Willkomm!«
Der Ankömmling war von schlanker, hagerer Gestalt, die Augen lagen tief in den Höhlen. Haar und Bart waren weiß, die Gesichtsfarbe rötlichbraun. Auch er war unbewaffnet. Seine Kleidung war die eines Inders, um das Haupt gewunden trug er einen Turban mit reichen Falten.
»Gesegnet sind die, die dem Herrn dienen!« sagte nach einer Weile der Ägypter. »Aber warten wir ab, denn sieh, schon kommt dort auch der andere!« Sie blickten gegen Norden, von wo gerade, dem Auge schon deutlich sichtbar, ein drittes Kamel, das ebenfalls von weißer Farbe war, wie ein Schiff herankam. Sie warteten, nebeneinander stehend, bis der Ankömmling nahe und abgestiegen war und ihnen entgegenging.
»Friede sei mit dir!« sagte er, den Inder umarmend.
»Gottes Wille geschehe!« erwiderte dieser.
Der neue Ankömmling war seinen Freunden ganz unähnlich. Er war zarter gebaut und hatte weiße Gesichtsfarbe. Reiches, wogendes Haar von lichter Farbe bildete die Krone seines kleinen, aber schönen Hauptes. Das warmblickende tiefblaue Auge offenbarte ein zartes Gemüt und einen herzlichen, edlen Charakter. Er war unbedeckt und unbewaffnet, und an seiner Kleidung sah man, daß er ein Grieche war.
Nachdem er auch den Ägypter umarmt hatte, sagte dieser: »Der Geist hat mich zuerst hierhergeführt, daraus erkenne ich, daß ich zum Diener meiner Brüder erwählt bin. Das Zelt ist aufgerichtet, das Brot zum Brechen bereit, laßt mich meines Amtes walten!«
Sie bei der Hand nehmend, führte er beide hinein, band ihnen die Sandalen los, wusch ihnen die Füße, goß Wasser über ihre Hände und trocknete sie mit Tüchern ab.
Und als er sich selbst die Hände gewaschen hatte, sprach er: »Laßt uns nun für uns selbst sorgen, Brüder, wie unsere Aufgabe es erheischt, und uns stärken zur Verrichtung dessen, was uns heute noch obliegt. Während wir essen, können wir einander kennen lernen.«
Er führte sie zum Mahle und wies ihnen die Plätze so an, daß sie alle sich gegenseitig anblickten. Sie neigten nun gleichzeitig das Haupt, kreuzten die Arme über der Brust und sprachen gemeinsam und laut folgendes einfache Tischgebet: »O Gott und Vater aller! Was wir hier haben, ist von dir; nimm hin unsern Dank und segne uns, daß wir auch fürderhin stets deinen Willen tun.« Beim letzten Worte erhoben sie die Augen und blickten einander verwundert an. Jeder hatte in seiner Sprache gesprochen, die die anderen noch nicht gehört hatten, und doch verstanden sie sich gegenseitig vollkommen. Ehrfurchtsschauer durchbebte ihr Inneres; denn das Wunder ließ sie Gottes Gegenwart fühlen.
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