Es versteht sich fast von selbst, dass aus bloßen Erscheinungen keine realen Kausalitäten abgeleitet werden können. Die logische Schlussfolgerung daraus ist, dass ultimative Ursachen des Weltgeschehens unerkennbar sind und es immer bleiben. Kausalität ist somit eine hypothetische Annahme, eine regulative Idee oder ein gedankliches Hilfskonstrukt, wie Hume und Kant schrieben. Auch andere Forscher haben darüber sinniert, wie Ernst Mach, der die Ursache-Wirkungs-Relation als Funktionalität im mathematischen Sinn verstand. In der mathematischen Funktion oder Gleichung steht die Wirkung auf der linken Seite und die Ursachen als Variable auf der rechten Seite. Auch Raum und Zeit können darin als Variable auftreten, weil die Funktionalität über die strukturelle Kausalität hinaus die dynamische Kausalität beschreibt. Der Physiologe Max Verworn (1863-1921) hat Ursachen als erfüllbare Bedingungen ihrer Wirkung verstanden, die Kausalität als Konditionalität. Bemerkenswert dabei ist, dass viele Ursachen in der realen und komplexen Welt latent immer vorhanden sind, wie die erwähnte Schwerkraft, aber einen Auslöser benötigen, um tatsächlich wirksam oder wahrnehmbar zu werden. Ein Gebäude bricht zusammen, wenn ein Erdbeben als auslösende Bedingung die Schwerkraft zur Wirkung kommen lässt. Bedingungen allein sind jedoch nicht hinreichend, weil sie nur die Möglichkeit eines Ereignisses bestimmen können. In der Gesamtheit aller Bedingungen steckt die universelle Multikausalität allen Weltgeschehens, wie im Zusammenwirken aller physikalischen Kräfte, die durch antagonistische Wirkungen scheinbar und temporär stabile Gleichgewichtszustände entstehen lassen. Die Konditionalität ist charakteristisch für die biologische Welt.
Eine Erscheinung kann als physikalisch oder als natürlich gedeutet werden, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Die Erscheinung muss von mehreren Personen wiederholt, regelmäßig oder auf Abruf in ähnlicher oder gleicher Form wahrgenommen werden.
Die Erscheinung muss prinzipiell für alle gesunden Menschen wahrnehmbar sein.
Die Erscheinung tritt nicht spontan und zufällig, sondern nur in bestimmten Situationen, unter bestimmten Bedingungen oder als Folge eines bestimmten Ereignisses auf.
Die Erscheinung muss mit bekannten Gegenständen, Ereignissen und Gesetzen der Natur vergleichbar oder verträglich sein.
Ob die Erscheinung mit den Sinnen direkt oder über technische Hilfsmittel wahrgenommen werden kann, ist dabei unerheblich. Neuartige Phänomene, insbesondere in der Folge neuartiger technischer Hilfsmittel, können die Naturwissenschaft zu neuen Erkenntnissen bringen, oder können bisherige Erkenntnisse korrigieren. Über der gesamten Naturwissenschaft schweben die Erhaltungssätze der Physik, ohne deren fundamentale Gültigkeit die Erscheinungen der Natur nur Zufallscharakter und das Weltgeschehen keine Menschen und kein Bewusstsein hervorgebracht hätte. Ohne die Erhaltungssätze hätten mathematische Gleichungen zur Beschreibung der Natur keine Aussagekraft und wären gar nicht erst entstanden.
Weißes Licht ist ein alltägliches und universell bekanntes Phänomen. Das phänomenale Verstehen von Farben gehört zu den ersten Erfahrungen des Lebens und die zugehörigen Begriffe zu den ersten Wörtern im Verlauf des kindlichen Spracherwerbs. In der Schule lernt man, dass weißes Licht durch Mischung aller Regenbogenfarben entsteht. Licht wird von den Sinnesnerven der Augen aufgenommen und im Nervensystem verarbeitet. Farben existieren als irreduzibles Phänomen allein in unserer Innenwelt. Sie sind entscheidend für das Erkennen von Objekten anhand von unterschiedlich farbigen Konturen und Flächen. Sicher kann man herausfinden, welche Areale des Gehirns aktiv sind, welche Vorgänge sich abspielen im Verlauf der Wahrnehmung einer roten Tomate, bzw. Licht eines bestimmten Spektralbereichs. Im orbitofrontalen Kortex des Gehirns über den Augenhöhlen laufen alle Sinnesmodalitäten aus vorgeschalteten Sinnesarealen sowie aus der Amygdala, dem emotionalen Zentrum, zusammen. Somit ist der orbitofrontale Kortex der erste Kandidat für den Sitz von Bewusstseinsfunktionen. Warum das Licht eines Gegenstandes aber als spezifische Farbe empfunden wird, das zeigt sich nicht in elektrischen, chemischen oder physikalischen Objekten, Signalen oder Messwerten, sondern ist das ungelöste Rätsel des Bewusstseins.
Im Gegensatz zu Farben ist ein Auto ein Objekt in der Außenwelt, das aus Einzelteilen oder Bauelementen zusammengesetzt ist und entsprechend wieder in die Einzelteile zerlegt und darauf reduziert werden kann, indem das Auto nicht als aggregiertes, komplexes Objekt, sondern als Struktur der Einzelteile mit geringerer Komplexität beschrieben wird. Als menschgemachtes Objekt sollen die Einzelteile bestimmte Funktionen erfüllen, so dass die Zweckmäßigkeit des Gesamtobjektes erreicht wird. Natürliche Objekte dagegen unterliegen keiner Zwecksetzung, ihre Einzelteile gehorchen allein den physikalischen Kausalitäten. Das gilt auch für lebende Organismen einschließlich des menschlichen Gehirns als Träger des Bewusstseins. Die Segregation und die Reduktion auf Einzelteile oder Bauelemente kann beliebig fortgeführt werden, über mehrere Aggregationsstufen, jedoch ist die Reduktion einer Metallschraube auf ihre ununterscheidbaren Moleküle oder Atome nicht mehr sinnvoll, weil sie zum funktionalen Verstehen der Schraube und des Autos nichts mehr beiträgt. Spezifische Form und Verhalten des Bauelements verschwinden bzw. entstehen als Emergenz auf dieser Ebene der Komplexität. Natürlich könnte die Wahl eines anderen Metalls, eventuell einer Legierung, bei gleicher Funktion die Verhaltenseigenschaften verändern. Das wäre für die Synthese oder Konstruktion verbesserter Objekte von Bedeutung.
Gegen eine rein reduktionistische und nomothetische Naturwissenschaft, die jedem funktionalen Verstehen vorausgeht, wendet sich auch die Wissenschaftstheoretikerin Nancy Cartwright (*1943), eine Vertreterin des Entitätenrealismus . Ihrer Meinung nach gibt es keine absoluten oder starren Ordnungsstrukturen, wie sie in Naturgesetzen angenommen und beschrieben werden. Vielmehr sei die Welt "gefleckt", also vielfältig in ihren kausalen Beziehungen und ihren Phänomenen. Naturgesetze sind immer ceteris-paribus-Gesetze, gelten nur unter Beachtung bestimmter "Reinheitsbedingungen", auch in der Physik, wo das gerne unterschlagen wird. Der wesentliche Aspekt dabei ist, dass Naturgesetze schon unter ceteris-paribus-Bedingungen zustande kommen, weil die zu Grunde liegenden Beobachtungstatsachen nur unter solchen Bedingungen gewonnen werden können.
Beispielsweise ist die Uhr als Zeitmesser selbst ein technisch-physikalisches System, das nicht über der Physik schwebt, sondern als Generator von Referenzereignissen – das Uhrwerk - rekursiv in sie eingebunden ist und nur sich selbst messen kann. Cartwright unterscheidet fundamentale Gesetze mit Erklärungswert, aber zu ungunsten empirischer Adäquatheit, von phänomenologischen, beschreibenden Gesetzen ohne Erklärungsinhalt. Fundamentale Gesetze haben annähernd Gültigkeit für Modelle von Laborphänomenen oder extremen Phänomenen, wie sie in der Sonne singulär vorkommen, aber nicht in der Lebenswelt. Die phänomenale Realität ist immer eine Überlagerung verschiedener fundamentaler Naturgesetze, die sich in ihren Wirkungen verstärken oder auch neutralisieren können. Schwerkraft und Trägheitskraft können ein dynamisches Gleichgewicht bilden und somit andere Phänomene hervorbringen als bei Einzelbetrachtung. Deshalb haben phänomenologische Gesetze den Charakter von Naturregeln, die auch Abweichungen und Ausnahmen zulassen. Die fundamentalen Naturgesetze können also weder die phänomenale Realität noch die Realität als „wahre Natur“ beschreiben, denn die Natur dieser Naturgesetze existiert einfach nicht. Dennoch haben Naturgesetze die unverzichtbare Eigenschaft, innerhalb ihres Gültigkeitsbereiches gegenüber Raum und Zeit, oder besser der Raumzeit, invariant zu sein.
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