1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 Wie Ameisen aus ihrem bedrohten Bau, so krochen aus dem engen Eingangsloche jetzt die schlaftrunkenen Passagiere eilfertig hervor, stellten sich vorn ans Bugspriet hin, rissen die verschlafenen Augen auf und schrien: „Land!“ Natürlich konnte unten vom Verdeck aus noch niemand etwas erkennen.
Auch der lange Schneider kam, in einer Hand seinen Butterteller, in der anderen einen Schiffszwieback, aufs Verdeck gesprungen, als er Land rufen hörte, setzte beides schnell auf einen der Hühnerkästen, die von ihrem gewöhnlichen Stande weggenommen und erst den Tag vorher vor die Winde hingestellt worden waren, und eilte mit den anderen vorn hin, das ersehnte Land zu erspähen.
Wilhelm, der wahrscheinlich dachte, dass er Amerika noch früh genug zu sehen bekommen würde, ließ sich ruhig auf einem der Hühnerkästen nieder, und natürlich nirgends anderswo als gerade in die Butter, welche die Nacht hindurch unten im warmen Zwischendeck weich geworden war. Mit den Fersen dabei gemütlich gegen die Latten klopfend, saß er da, pfiff, die Hände im Schoß gefaltet, und sah träumend ins Blaue. Der Schneider, nicht unnützerweise um seine Butter besorgt, die er, vertrauend auf allgemeine Redlichkeit, gewissermaßen auf offener Straße hingesetzt hatte, kehrte zurück und blieb starr vor Verwunderung mit offenem Munde stehen, als er dieses Bild unschuldiger Gemütlichkeit und Seelenruhe in seiner Butter sitzen sah. Wilhelm, nichts Böses ahnend und von dem Erstaunen des Schneiders ergötzt, verzog das Gesicht zu einem breiten Lächeln, wobei er immer noch zu pfeifen versuchte.
Endlich löste sich die Zunge des Erstaunten. „Nee, der Unglücksmensch“, rief er aus, sprang auf den sich dessen nicht versehenden Wilhelm zu, riss ihn übers Knie, und die Kehrseite desselben mit tiefer Betrübnis den Umstehenden zeigend, rief er aus: „Do hat er se.“
Näher und näher kamen wir jetzt der so lange ersehnten Küste. Schon konnte man das waldige Land, schon grüne Felder erkennen, jetzt die einzeln vorstehenden Bäume, jetzt Häuser, Farmerwohnungen und Leuchttürme; es war ein wundervoller Anblick. Doch nicht lange genossen wir ihn, denn der Kapitän getraute sich nicht, näher zum Ufer zu laufen; wir lavierten daher wieder ab, so dass wir gegen Abend das Land kaum noch vom Wasser unterscheiden konnten.
Am 19. Juli fuhren wir wieder mit vollen Segeln darauf zu. Um elf Uhr ungefähr kam ein kleiner Kutter uns entgegen; die nordamerikanische Flagge flatterte an seiner Segelstange; wir hissten die Bremer Flagge auf. Es war der Lotse.
Jetzt kam neues Leben an Bord. So nahe vor dem Hafen wurde frisches Wasser ausgeteilt, da das Seewasser, mit dem wir uns bis jetzt abgerieben hatten, keine Seife annimmt, und das ganze Schiff glich eher einer Reinigungsanstalt als etwas anderem. Überall wurde geputzt und blank gemacht. Hier schmückte sich eine junge israelitische Dame vor einem Stückchen Spiegelglas mit falschen Ohrringen, dort wusch sich ein armer Teufel noch in der Geschwindigkeit ein Hemde aus; an jener Seite saßen mehrere Frauen und kämmten und bürsteten die Kinder, und an dieser stiegen ein halbes Dutzend, schon fix und fertig, in ihrem schönsten Sonntagsstaat stolz einher. Dort, an der Winde, ach ja, da lagst du, lieber Seiler, auf dem Bauche, du besaßest nur das eine Paar Beinkleider, du Armer, und hattest diese auf der langen Überfahrt durchgesessen; aber mit erbarmendem Mitleiden im Blick bog sich der lange Schneider über dich und setzte dir einen großen schwarzen Flicken auf den defekten Teil, – eine Träne glänzte in seinen großen blauen Augen – es verdunkelte sich, die Nadel stach zu tief, und mit gewaltigem Satze sprangst du, lieber Seiler, in die Höhe und hieltest die Hand auf den Flicken.
Der Lotse, ein schöner, großer Mann, der, wie alle amerikanischen Lotsen, ganz unähnlich den unseren, die in ihrem groben blauen Pilotenzeuge einhergehen, höchst geschniegelt und modern mit schwarzem Frack und Zylinder angezogen war, brachte uns bald in die Einfahrt des New-Yorker Hafens nach Staten Island.
Wo nehme ich jetzt die Feder her, das zu beschreiben, was wir sahen, das zu schildern, was wir fühlten? Der Anblick des im lieblichsten Grün prangenden, mit üppigen Feldern und köstlichen Gebäuden besäten Landes, zwischen denen hier und da wieder der dunkelgrüne herrliche Urwald durchschimmerte, der rechts und links zur Beschützung des Hafens angelegten Forts, des freundlichen, blauen Himmels über uns, der nur leise plätschernden Wogen unter uns, machte mir das Herz aufgehen, und mich trieb es, allein zu sein. Ich stieg hinauf in den Mastkorb und schaute von dort mit entzückten, warum soll ich's leugnen, mit nassen Augen das wundervolle Land, das uns hier mit liebenden Armen zu umfangen schien, und unwillkürlich drängte sich mir die Frage auf: „Warum ist das nicht die Heimat, warum musste ich alles, alles verlassen, an dem das Herz hing, um diesen Anblick zu erkaufen?“
Die Matrosen, die wie Katzen die Strickleitern heraufliefen, störten mich in meinen Betrachtungen; die Segel wurden befestigt, und in wenigen Minuten rauschte der schwere Anker in die Tiefe.
Unter gelber Flagge kam jetzt ein kleines Schiff von Staten Island; es brachte einen Arzt an Bord, der die Mannschaft und die Passagiere untersuchen musste, um sich zu überzeugen, ob sie alle gesund seien. Glücklicherweise waren unsere drei Pockenkranken genesen; die Leutchen sahen alle wohl und frisch aus, so dass der gute Doktor trotz seiner sechseckigen Brille keine Spur vergangener Krankheit finden konnte und mit einem „All well“ das Schiff verließ. Gegen Abend sprangen H., unser Doktor und ich wieder über Bord, uns zu baden.
Diese Nacht durften wir das Schiff noch nicht verlassen. Erst am 20. Juli wurden wir mit unserem Gepäck durch einen kleinen Schoner in ein großes viereckiges Blockhaus gebracht, das einige hundert Schritte vom Lande ablag. Dort mussten wir gewissermaßen eine kleine Quarantäne aushalten und nachsehen lassen, ob unsere Koffer entweder etwas Steuerbares oder schmutzige Wäsche enthielten, das erstere zu versteuern, die letztere zu waschen.
Mit den steuerbaren Sachen wurde es übrigens nicht streng genommen, und keiner von allen bezahlte etwas. Strenger wurde die Wäsche nachgesehen, wobei einige wirklich schaudererregende Stücke entdeckt wurden, welche einzelne des liederlichen, faulen Zwischendecks-Gesindels unter ihre reinen Sachen versteckt hatten. Große Kübel wurden jetzt herbeigeschafft, und die guten Leute mussten das Versäumte nachholen. Wir fünfe hatten nichts Schmutziges, weil wir stets auf dem Schiffe unsere Wäsche gereinigt hatten, d. h. die getragenen Gegenstände, an ein Tau gebunden, etwa vierundzwanzig Stunden lag vom Schiffe hatten nachziehen lassen, was die Wäsche, wenn auch nicht sehr weiß, doch tragbar macht und, wie jeder gestehen muss, sehr bequem ist.
Als wir die „KONSTITUTION“, in der wir nun vierundsechzig Tage in Freud und Leid zugebracht, verließen und von der Mannschaft Abschied nahmen, war es uns, wenigstens mir, fast, als wenn wir alte, liebe Bekannte zurückließen. Wir brachten ihnen auch, als die Bootsleute abstießen, ein donnerndes Hoch, das lauttönend von den Matrosen mit dem gebräuchlichen englischen „Hip, hip, hip, Hurra!“ dreimal zurückgegeben wurde. So gut es übrigens gemeint war, so fand es bei dem israelitischen Teil unserer Passagiere doch wenig Anklang. Diese, obschon sie tüchtig ihre englischen Gespräche durchstudiert haben mochten, hatten doch dieses „hip, hip, hip“ noch nicht in ihrem Wörterbuche gefunden, und einer von ihnen bemerkte ganz treuherzig: „Na, se hätten uns aach nicht gebraucht auszeuzen, ze guter letzt.“
Obgleich das Blockhaus, wohin man uns brachte, das „Quarantänegebäude“ genannt wurde, hielt man es mit der Quarantäne doch nicht sehr streng, und ein großer Teil von uns fuhr noch denselben Abend auf einem Kahne an Land. Zum ersten Mal betraten wir die neue Welt, für uns wahrlich eine wunderschöne, herrliche, aber doch eine neue und deshalb fremde Welt.
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