Benimm dich! , ermahnte sie sich selbst und schaltete auf gepflegte Konversation um. Vorrang vor ihrem Bedürfnis nach einem Flirt mit dem faszinierenden Mann, dessen geschmeidige Bewegungen sie sich auch sehr gut in anderen Situationen vorstellen konnte, hatte Fionas geheimnisvolle Einladung ins Penthouse von Ryan Kerrigan.
»Seit wann ist Ryan denn zurück in London?«, versuchte Elena in Erfahrung zu bringen, und hatte augenblicklich das Gefühl, an einer Mauer abzuprallen. Der Gentleman, der ihr so galant die Autotür aufhielt, bedachte sie mit einem abschätzenden Blick, der noch lange nachhallte. Sprachlos glitt Elena in den Sitz und folgte seiner Umrundung des Fahrzeugs aus den Augenwinkeln.
Lass dir nicht die Butter vom Brot nehmen!, meldete sich ihre Ungeduld zu Wort und riet ihr, die weggesperrte Verführerin doch ganz kurz aus dem Käfig zu lassen, um wenigstens zwei erprobte Nahkampfwaffen in Stellung zu bringen: Sie lüftete den Po und zog den Saum ihres Kleids unauffällig höher. Es musste doch möglich sein, diesen Eisblock zumindest anzutauen!
Nachdem der Israeli sich elegant in seinen Sitz geschwungen hatte, ließ er sich überraschend doch noch herab, zu antworten. »Wir sind mittags eingetroffen.«
»Du bist ein langjähriger Freund von Ryan?«, versuchte Elena, die Kommunikation am Leben zu halten, und stellte die Handtasche auf dem Boden ab, um den Blick auf ihre wohlgeformten Beine freizugeben.
»Das ist korrekt.«
Nicht gerade eine erschöpfende Auskunft und in keiner Weise dazu geeignet, ihren Wissensdurst zu stillen. Er hüllte sich genauso in Schweigen, wie Fiona es am Telefon getan hatte. Wenn Elena Bilanz zog, musste sie sich eingestehen, dass die Ausbeute an Informationen mehr als mager war: Nach drei zermürbend langen Monaten im Auslandseinsatz war Ryan wohlbehalten nach London zurückgekehrt. Das war die Nachricht des Tages und musste zweifelsfrei gebührend gefeiert werden. Aber warum wollte Fiona diesen besonderen Abend nicht mit ihm alleine genießen? Wäre unter diesen besonderen Umständen nicht eine Privatparty für das Liebespaar angemessen? Warum wurde sie dazu gebeten? Die Tasche mit Kleidung, die sie auf die Bitte ihrer Mitbewohnerin hin gepackt hatte, hätte auch ein Taxi abholen können. Aber Fiona hatte darauf bestanden, dass dieser Freund von Ryan sie mitsamt dem Gepäck abholte.
» Zieh dir was Nettes an und komm rüber « , mehr hatte ihre Freundin nicht gesagt.
Fragen über Fragen, aber Elena war nicht bereit, klein beizugeben, denn wenn es etwas gab, das sie hasste, waren es Geheimnisse. Vor allem die von anderen Leuten. Die Unwissenheit aktivierte augenblicklich weitere Facetten ihres weiblichen Forschergens.
»Weißt du, was es mit der Einladung ins Penthouse auf sich hat?«, flötete sie ihrem Chauffeur zu.
»Ja.«
»Ja?«, fragte sie lachend nach.
Als David wieder nur bestätigte, war klar, dass er nicht scherzte. Und über diesen Affront hinaus, entpuppte sich der arrogante Typ auch noch als absolut immun gegen ihre weiblichen Reize. Nicht eine Sekunde nahm er die Augen von der Straße. Auf die Ausrede, dass ihn als Ausländer Probleme mit dem Linksverkehr davon abhalten könnten, die verführerischen Nebensächlichkeiten zu genießen, konnte er sich nicht berufen. Entweder war der schwarzhaarige Lockenkopf an diese Fahrweise gewöhnt oder er gehörte zu den Menschen, die sich schnell auf neue Umstände einstellen konnten. Und da er in Ryans Aston Martin vorgefahren war, musste der wirklich große Stücke auf die Fahrkünste seines Freundes halten. Denn Elena hatte eines gelernt: Zwei Dinge teilten Männer nicht, ihre Autos und ihre Frauen. Und das genau in der Reihenfolge.
Teilen und Energieverschwendung waren für die pragmatische Australierin ebenfalls lästige Attribute, derer man sich so schnell wie möglich entledigen sollte. Höchste Zeit, eine weitere Frage zu klären: Unauffällig sah sie auf die schlanken Finger, die das Sportlenkrad fast liebevoll umschlossen. Doch leider konnte sie von ihrer Position aus nur Davids linke Hand sehen. Auf dieser Seite war alles im grünen Bereich. Aber trugen Israelis die Eheringe links oder rechts? Das konnte auf die Schnelle nur das Internet beantworten.
»Probleme mit dem Smartphone?«, erkundigte sich David, als das Licht ihres Handydisplays kurz als Spiegelung in der Seitenscheibe aufflackerte und sofort wieder erlosch.
Klar, wenn er auch sonst nichts zu sagen hat, bei Technikfragen werden Männer gesprächig!
»Nein, alles gut«, murmelte sie genervt. Warum musste der Akku immer in den unpassendsten Momenten den Geist aufgeben? Noch eine zusätzliche Fragestellung, die ungeklärt im Raum stand. Tiefe Falten pflügten sich als sichtbare Beweise des intensiven Nachdenkens quer über ihre Stirn: Auf dem Treppenabsatz hatte er das Gepäck mit der Rechten entgegengenommen und mit der auch die Autotür geöffnet. Doch so sehr Elena sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, die dazugehörigen Bilder wieder abzurufen. Mädel, du lässt nach! , tadelte sie sich selbst. Aber es half nichts, sie musste einen Weg finden, um unauffällig einen Blick auf seine rechte Hand werfen zu können. Jetzt war Kreativität gefragt – und die Lösung für ihr Problem offenbarte sich gänzlich unerwartet, als sie ihr Handy in die Handtasche zurücksteckte.
Kurz entschlossen ergriff Elena den Verbündeten, richtete ihn schräg nach oben in Richtung Cabrioverdeck und drückte kräftig zu. Schneller als sie gucken konnte, schoss der Kaugummi aus der Verpackung direkt gegen die Frontscheibe, um dann in den dunklen Tiefen des Wageninneren zu verschwinden.
»Huch!«, schrie sie auf, um ihrer Überraschung Ausdruck zu verleihen, und tat so, als würde sie versuchen, das Geschoss aufzufangen. Als sie die Arme hochriss, krachte ihr Handgelenk wie unbeabsichtigt gegen den Rückspiegel. Nicht einen Gedanken verschwendete sie an die Gefahr, in die sie David, die 200.000 Pfund teure Edelkarosse und auch sich selbst mit der hektischen Aktion brachte: Ein Verreißen des Lenkrads der 500-PS-Schleuder hätte maximal ein paar Gramm Gummiabrieb gekostet – dafür sorgte die rote Ampel.
David kommentierte den Vorfall mit keiner Silbe und befriedigte exakt Elenas Wunschdenken: Beim Anfahren wanderte seine rechte Hand in aller Seelenruhe mittig nach oben auf das Lenkrad, während die linke den Spiegel richtete.
Mit einem zufriedenen Lächeln sank die Hobbydetektivin in ihren Sitz zurück. Gutes Timing war alles und eine Recherche über die Tragegewohnheiten von Eheringen im Nahen Osten nicht mehr nötig: Das Täubchen war gänzlich unberingt.
Plötzlich durchdrang die Stimme des Fahrers ihre Selbstzufriedenheit. »Wenn du den Kaugummi suchst, der ist zwischen meinen Beinen gelandet!« Zusätzlich zu seinem Kommentar öffnete er auch gleich bereitwillig die Schenkel ein Stück weit.
Erwartete er jetzt etwa, dass sie zulangen würde? Obwohl sie zugeben musste, dass es ihr höllisch in den Fingern juckte, entschied Elena sich für damenhafte Zurückhaltung und antwortete cool: »Deinem Maßanzug und den Ledersitzen wird es nicht schaden, zum Glück ist der Kaugummi dragiert und wir sind ja auch sofort da.«
Im Aufzug fand sich endlich die Gelegenheit, den Israeli bei guter Beleuchtung einer gleichsam eingehenden wie diskreten Inspektion zu unterziehen. Da Elena es offensichtlich mit einem harten Brocken zu tun hatte, wollte sie lieber jetzt abschließend klären, ob sich ein weiterer Aufwand überhaupt lohnte. In der verspiegelten Wand musterte sie ihr dunkelrotes Minikleid und strich demonstrativ die kleinen Sitzfalten glatt, während ihr Blick bereits verstohlen weiter von den handgenähten Lederschuhen, die Hose hinauf über die dunkelgrüne Krawatte bis zum Hemdkragen wanderte. Der Mann hatte nicht nur einen ausgezeichneten und ebenso exklusiven Geschmack, was seine Kleidung betraf. Er verstand sich auch auf die Betonung seiner körperlichen Vorzüge: Der Henriquatre war korrekt ausrasiert und auf eine Länge getrimmt, die seinem Gesicht einen sexy verwegenen Touch verlieh, ohne übermäßig aggressiv zu wirken. Wenn Elena auch nicht den Eindruck hatte, dass David die kleinen Lachfältchen in den Augenwinkeln übermäßig häufig beanspruchte, ließen sie aber zumindest eine Einschätzung seines Alters zu: um die Mitte dreißig so wie Ryan. Aber der war im Gegensatz zu dieser wortkarg verschlossenen Auster eloquent und sehr weltmännisch. Doch sie war sicher, dass sich hinter der rauen Schale dieser Spaßbremse eine edle Perle verbarg – sie musste halt nur mit den Waffen einer Frau geknackt werden.
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