„Wie kann ich das je gut machen?“, hatte Khan zum Abschied gefragt und Lando antwortete: „Du brauchst nichts gut zu machen, aber wer weiß, vielleicht bist du einmal in der Nähe, wenn ich Hilfe nötig habe.“
Nun stiegen Lando beinahe Tränen in die Augen, als er den Riesen sah, der sich durch die Menge schob, vorsichtig aber stetig, so als hätte er Angst, jemanden zu zerquetschen, aber als befürchte er auch, zu spät zu kommen.
„Ich melde mich“, sagte er mit seiner tiefen Bassstimme und zwinkerte Lando zu. Rubion knurrte ungehalten. Er war sich seiner Sache schon so sicher gewesen, wie Lando seinem Untergang.
„Nun denn“, sagte Dimetrios wenig begeistert.
„Dann hast du wohl die Wahl Ayda.“
Ayda war noch benommen. Sie fühlte sich, wie in einem Traum, so als würde dies alles nicht wirklich geschehen. Sie meinte, neben sich zu stehen und sich selbst zu betrachten, wie sie grübelnd da stand.
Warum wurde sie bereits jetzt dazu gezwungen, sich einen neuen Mann zu suchen? Jaron war doch noch nicht einmal zwei Monate fort! Hatte ihn jemand gefunden? War er tot? Vor Angst krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen, dann wurde ihr jedoch bewusst, dass das nicht sein konnte. Wäre ihr Mann gefunden worden, hätte man ihn zurück nach Endora gebracht, damit alle die Möglichkeit hätten, ihn zu sehen und sich zu verabschieden. Außerdem wäre ihr die Todesnachricht vor der Zusammenkunft mitgeteilt worden, damit sie sich in Schwarz hätte kleiden können und nicht in dem Grau, das den Frauen vorbehalten war, die auf die Rückkehr ihrer Männer warteten.
Warum also?
Dimetrios trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das hölzerne Geländer, während er von oben auf die Frau herab starrte. Ayda dämmerte schließlich, dass sie leider nicht träumte und dass sie sich bald entscheiden musste, sonst würde der Rat das für sie tun. Banja klammerte sich an ihren Rock, als sie sich zu den drei Anwärtern umwandte, die nebeneinander aufgereiht auf ihre Entscheidung warteten.
Da war Rubion, den sie seit ihrer Kindheit kannte. Er hatte ihr schon damals Angst eingejagt, aber es hatte auch eine Zeit gegeben, in der sie ihn anders kennen gelernt hatte.
Ihre Mutter arbeitete früher in dem Haushalt von Rubions Familie, und zwar in der Küche. Sie nahm ihre kleine Tochter manchmal mit, damit diese aushalf. Natürlich hätte Rubion sich niemals in die Küche verirrt, aber der Zufall wollte es, dass Ayda in den Garten geschickt wurde, um Kräuter zu holen. Dieser Garten befand sich dicht an der Stadtmauer, allerdings auf der Seite, die in das offene Gelände führte. Rubions Haus besaß als einziges im Ort einen Zugang durch die Mauer ins Ödland.
Ayda hatte Angst. Die vielen Geschichten über wilde Tiere und verschollene Jäger hatten sie das Gebiet außerhalb der Mauer fürchten gelehrt. Als sie damals vor dem Tor innehielt und nicht wusste, was sie tun sollte, war Rubion aufgetaucht. Er war etwas älter als sie und damals sehr feist, mit auffällig runden Wangen, was zu seinem Stand gehörte. Wenn sich jemand gutes Essen leisten konnte, sollte das auch jeder sehen. Ayda kannte nur die Jungen aus ihrer Nachbarschaft, und die waren dünn wie Bohnenstangen.
Rubion machte ihr Angst, weil er anders war, und das spürte sie sofort.
Wahrscheinlich war er von ihrem Anblick genauso irritiert, denn er blieb stehen, musterte sie ausgiebig und wusste nicht so recht etwas mit ihr anzufangen. Schließlich klagte sie ihm ihr Leid und gab sogar zu, sich zu fürchten in den Garten zu gehen. Rubion übernahm das für sie, was ihn zu ihrem Helden machte und wofür sie ihm sehr dankbar war. Als sie die Kräuter entgegen nahm, gab sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Dass diese Geste einen bleibenden Eindruck bei dem Jungen hinterlassen würde, ahnte sie damals noch nicht. So wie er heute vor ihr stand, hatte er nichts mehr mit dem Kind von einst gemeinsam, zumindest nicht äußerlich.
Rubions ganze Erscheinung war düster, was er mit seiner schwarzen Kleidung noch unterstrich. Einzig das Schwert glänzte silbern an dem, reich mit funkelnden Steinen verzierten Gürtel. Sogar seine Gesten wirkten auf sie bedrohlich. Wie er die Hände in die Hüften stemmte, immer eine Hand in der Nähe seiner Waffe, als müsse er bereit sein zu kämpfen. Wie er den Kopf steif aufrecht hielt, das Kinn vorgereckt. Die Beine streckte er voll durch, um sich in seiner ganzen Größe zu präsentieren und er stand breitbeinig, als dürfe er nicht schwanken, damit niemand ihn von diesem Platz vertreiben konnte. Rubions pechschwarze Haare bekamen durch die Sonne einen violetten Schimmer. Sein ebenso schwarzer Bart bedeckte das halbe Gesicht und leider auch seinen Mund, was sie bedauerte, denn er besaß schön geschwungene Lippen, wie sie von früher wusste. Die Augen, ehemals von einem warmen braun, waren nun schwarz wie die Nacht, so dass Ayda kaum die Pupillen erkennen konnte. Alles, was an Rubions Körper früher rund und weich gewesen war, wurde heute durch straffe Muskeln ersetzt. Sie betrachtete seine Hand, die sie manchmal gehalten hatte. Die dicken, kurzen Kinderfinger waren schmal und knochig geworden. Jetzt lächelte er auch noch, wobei sein Bart sich teilte und den Blick auf kleine gelbe Zähne frei gab, was ihr eine Gänsehaut zusammen mit weiteren Erinnerungen bescherte.
Rubion hatte es nach ihrer ersten Begegnung darauf abgesehen, sie zu treffen, sobald sie sich in seinem Haus befand. Er sprach kaum, was Ayda verunsicherte. Oft starrte er sie lange Zeit einfach nur an. Weiterhin half er ihr, die Kräuter zu besorgen, obwohl sie das selbst gekonnt hätte, zumindest als sie älter war und nicht mehr so ängstlich, wie als kleines Mädchen. Ihr wurde allmählich bewusst, dass Rubion sich in sie verguckt hatte. Eigentlich war das nicht verwunderlich, denn in seinem Haus gab es keine anderen weiblichen Wesen, die auch nur annähernd in seinem Alter waren. Seine Mutter lud immer nur die Jungen des Dorfes ein, damit sie mit ihrem Sohn spielten. Als Dank erhielten sie dafür etwas zu essen.
Lando und Jaron gehörten zu Rubions damaligen Spielgefährten. Sie hatten Ayda einige Male von diesen Treffen berichtet und es hörte sich immer so an, als würden sie sich über Rubion lustig machen, der auf Grund seiner Körperfülle nicht mit ihnen mithalten konnte. Aydas Gefühle schwankten bei diesen Berichten meistens zwischen Mitgefühl für Rubion und dem Drang, mit ihren Freunden zu lachen.
„Macht euch nicht über ihn lustig!“, wies sie die Jungen oft zurecht und fügte dann etwas leiser hinzu: „Wenn er davon erfährt, lässt er euch die Köpfe abschlagen.“
Doch die beiden lachten dann nur und alberten weiter herum.
Das Einzige, das heute für Rubion sprach, war sein Reichtum. Er besaß ein großes Haus mit Angestellten, die er allerdings schlecht behandelte, wie ihr zu Ohren gekommen war. Rubions Jähzorn war gefürchtet. Geschichten machten die Runde, von verletzten Dienstmägden und schwer verwundeten Stalljungen. Ayda konnte sich nicht vorstellen, wie er sich gegenüber ihren Kindern verhalten würde. Bale war nicht immer folgsam und Rubion hatte keine Erfahrung mit der Erziehung von Kindern. Das machte ihr Sorgen.
Ihr Blick wanderte weiter zu Lando, und sie konnte sich eines winzigen Lächelns nicht erwehren, das sie aber sofort unterdrückte. Er war ihr fast so vertraut wie Jaron und sie verknüpfte mit ihm schöne Erinnerungen an Ausflüge und Abende am Feuer. Lando war geduldig und verstand sich gut mit ihren Kindern. Außerdem war er schon immer hilfsbereit und tierlieb gewesen. Als sie Kinder waren, versuchte Lando immer, verletzten Wildtieren zu helfen. Meist schaffte er es nicht, da Tiere in Endora als Nahrungsquelle angesehen wurden. Landos Vater schlachtete die armen Kreaturen, die er in seinem Schuppen fand. Trotzdem hörte sein Sohn nicht auf, die Verletzten zu pflegen, nur dass er sich dafür einen anderen Ort suchte.
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