„Wollt ihr nicht mehr nach Deutschland zurückkehren?“
Während mein Schwager sein Fleisch auf dem Teller geräuschvoll zerteilte, antwortete er mir auf seine knappe Art, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen:
„Es macht keinen Sinn. Ich weiß nicht, wo die nächste Baustelle sein wird. Mein Job erfordert Flexibilität.“
Er steckte sich genüsslich einen Bissen in den Mund und ich konnte sehen, wie er das Fleisch buchstäblich mit den Zähnen zermalmte. Dabei hob er den Kopf und grinste mich herausfordernd an. Ich wusste von unseren früheren Besuchen, dass für ihn damit das Thema beendet war. Manchmal pflegte er bei solch einem Anlass auch zu sagen: „Aus, Schluss, Ende“, wobei er heute darauf verzichtete. Wir kannten seine blöden Sprüche, doch Otto wollte anscheinend nicht darauf eingehen und widmete sich seinem Essen. Mein Mann war nicht so impulsiv wie ich und taktierte klüger. Ich hielt jetzt den Mund, da ich verhindern wollte, dass die Kinder sonst den Streit der Erwachsenen mitbekommen würden.
Mein Neffe Thomas saß mir gegenüber und warf mir einen gelangweilten Blick zu. Waren die Kinder an diese Art der Unterhaltung gewöhnt? Während ich nach meinem Weinglas griff, ging mir durch den Kopf, was sie wohl über ihre Eltern dachten.
Lilli hatte eine weitere Schüssel aus der Küche geholt und stellte den Salat auf den Tisch. Die Jungs griffen übermütig nach dem Grünzeug und alberten dabei herum. Ottos warnender Blick traf mich diesmal wie ein Stoppschild. Ich verzichtete auf weitere Konversation und aß schweigend weiter. Dabei beobachtete ich Lilli und bemerkte, dass sie sich kaum etwas auf den Teller getan hatte. Sie schob das
Gemüse vom Tellerrand zur Mitte, ohne auch nur einen Bissen in den Mund zu stecken.
Otto fing mit unserem Schwager ein Gespräch über die Baustelle an. Es war ein Thema für Männer, kein vermintes Gebiet, und wir Frauen würden mit Sicherheit den Mund halten.
Nach dem Essen half ich Lilli beim Abräumen, drehte mich zu den Kindern um und forderte sie freundlich auf: „Kommt, tragt auch etwas in die Küche.“
„Das ist Lillis Arbeit“, belehrte mich Thomas wie aus der Pistole geschossen. Ich hätte um ein Haar die Teller fallen lassen, die ich in der Hand hielt. Es war kaum zu glauben, aber dieses kleine Monster redete wie sein Vater. Lilli räumte derweilen, ohne ein Wort zu sagen, die Spülmaschine ein. Die allgemeine Stimmung in diesem Haus war schlecht und deshalb zog ich es vor, mich nicht in die Erziehung der Kinder einzumischen. Ich hielt den Mund, verschwand aus der Küche und schlenderte nachdenklich durch den Flur ins Wohnzimmer.
Wigand stand vor der Anrichte und schenkte Cognac ein. Seit Lilli ihn kannte, trug sie nur noch flache Schuhe, um nicht größer als ihr kleiner Ehemann zu erscheinen. Warum ließ sie zu, dass er sie so klein machte? Ich ging zum Wohnzimmerfenster und blickte traurig auf die grandiose Landschaft von Afrika. Mir fiel auf, dass der zum Haus gehörende Garten von schmalen Wasserschläuchen durchzogen war, um die Pflanzen zu wässern.
„Möchtest du einen Drink?“
Erschrocken drehte ich mich zu meinem Schwager um und sagte „Ja, bitte“ und beobachtete ihn dabei, wie er die Gläser füllte. Er war gebräunt, trug einen hellen Anzug und wirkte männlicher als früher. Ohne ein Wort zu sagen, reichte er mir das Glas. Ich setzte mich aufs Sofa zu Otto und nippte an dem Cognacglas.
Die Kinder waren nach dem Essen nach draußen verschwunden und ich wollte nicht länger warten, sondern endlich wissen, was in diesem Hause vorging.
„Lilli sieht krank aus“, begann ich betont vorsichtig das Gespräch.
Wiegand lachte laut auf, sah mich an und aus seinen Augen blitzte mir Spott entgegen:
„Wenn ich so viel rauchen würde wie Lilli, sähe ich genauso grau aus. Sie ist doch nur noch ein Gerippe aus Haut und Knochen. Einfach scheußlich.“
Mir verschlug es die Sprache. Wie redete dieser Kerl über seine Frau? Türen klappten und Schritte waren zu hören. Lilli war mit der Küchenarbeit fertig und kam zu uns ins Wohnzimmer. Hatte sie die abfälligen Äußerungen ihres Mannes gehört? Sie setzte sich schweigend in den Schaukelstuhl, der am Fenster stand, und begann hin und her zu wippen. Es wirkte auf mich wie ein Ritual. Überging sie bewusst das üble Geschwätz ihres Mannes? Ich spürte die Spannung zwischen den beiden und es fiel mir schwer, dabei ruhig zu bleiben. Das Ehepaar schien nicht mehr miteinander zu reden. Es fühlte sich an, als ob Strom durch die Luft fließen würde. Jeder wusste, was los war, aber keiner fand den Mut, ein offenes Gespräch zu führen. Ich hatte schon bei früheren Gelegenheiten beobachtet, dass Wigand durch seine Art andere Menschen verblüffen und gleichzeitig mundtot machen konnte. Die Stille wirkte unangenehm. Otto zündete sich umständlich seine Pfeife an. Lilli schaukelte vor sich hin.
Plötzlich trank mein Schwager mit einem Ruck sein Glas aus, stand von einer Minute zur anderen auf und meinte knapp:
„Ich muss noch mal auf die Baustelle. Ihr habt euch bestimmt viel zu erzählen. Wir sehen uns morgen zum Frühstück, dann gute Nacht.“
Er verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal nach uns oder seiner Frau umgesehen zu haben. Sein plötzlicher Aufbruch fühlte sich wie eine kalte Dusche an. Nachdem die Haustür hinter ihm ins Schloß gefallen war, konnte ich nicht länger den Mund halten.
„Lilli, so kann das nicht weitergehen“, ich stand auf und hielt den Schaukelstuhl fest.
Sie drehte sich zu mir um und sah mich an: „Er hasst mich.“
„Ihr müsst miteinander reden“, erwiderte ich.
„Wiegand redet nicht, er ordnet an“, sie verschluckte sich und musste husten.
Ich fühlte mich auf einmal müde, machtlos und sagte leise:
„Aber ihr könnt doch nicht so miteinander leben, schon der Kinder wegen nicht.“
Lilli antwortete schnell und entgegen ihrer sonstigen Äußerungen sehr präzise: „Die Jungs halten zu ihm.“
Mir verschlug es die Sprache, aber gleichzeitig wurde mir auch mit einem Schlag klar, was das für sie zu bedeuten hatte. Wenn es so war, warum dann länger um den heißen Brei herumreden? Ich sah ihr direkt in die Augen und sagte betont ruhig:
„Wenn Du in Kapstadt nicht gebraucht wirst, dann kommst Du mit uns nach Deutschland.“
Dann stand ich auf, ging auf sie zu und nahm ihren Kopf in meine Hände. Ich zwang sie mich anzusehen. Otto warf mir einen warnenden Blick zu und schüttelte stumm den Kopf.
„Wovon, ich habe kein Geld?“, meinte sie nervös und befreite sich aus meinem Griff. Dann drehte sie sich von mir weg und schaute in eine andere Richtung.
„Ach Unsinn, Du kannst bei uns wohnen“, versuchte ich es wieder.
Anstatt zu antworten, fischte sie ihre Zigaretten aus der Hosentasche, zündete sich einen Glimmstängel an und lächelte mich plötzlich an. Ich hielt verwundert inne. Sie blies kleine Ringe in die Luft und meinte freundlich:
„Wir reden morgen darüber, ihr seid bestimmt müde von der langen Reise, ok?“
Ich spürte, dass sie niemanden an sich heranlassen wollte. Otto erhob sich umständlich und klopfte seine Pfeife aus. Ich konnte ihm ansehen, dass er froh war, den Rückzug antreten zu können.
„Wir sind wirklich von der langen Reise kaputt, es ist besser, morgen über alles zu reden“, bemerkte er kleinlaut.
Ich warf meinem Mann einen wütenden Blick zu. Lilli sah weiter zum Fenster hinaus, rauchte und kleine Wölkchen stiegen auf. Ihr braunes Haar lag in Locken auf ihren Schultern. Sie sah von hinten wie unsere Tochter aus. Otto ging auf sie zu, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und ließ mich dann mit dieser unglücklichen Frau allein. Ich wollte mich nicht geschlagen geben und wagte noch einen letzten Versuch:
„Lilli, was ist mit dir und Wigand?“
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