Auch Bernd Makowski kannte den Hai nun schon seit mehr als zehn Jahren, aber dennoch hätte er sich beinahe verwundert die Augen gerieben. Der meint, was er sagt, stellte er verwundert fest.
»Ich wünsche, dass Sie sich mit ihr in Verbindung setzen«, sagte Heinen schroff. »Ich will, dass sie gut versorgt wird!«
»Wie Sie wünschen«, meinte Volprecht.
Heinen richtete den Blick erneut auf Makowski. »Warum erfahre ich nicht von dir, was mit Nelles passiert ist? Im Untersuchungsgefängnis wussten sie alle Bescheid. Nur ich nicht.«
Makowski rollte unbehaglich die Schultern. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, Chef«, sagte er. »Es hätte ihn beinahe erwischt ...«
Heinen nickte ungeduldig. »Das weiß ich! Ich will wissen, wie das passieren konnte!«
Makowski hob die Schultern. »Er traut keinem«, sagte er vorsichtig. »Deshalb besteht er darauf, sich seinen Unterschlupf jeweils selbst auszusuchen.«
»Wem traut er nicht?«, fragte Heinen. »Dir nicht?«
»Mag sein. Er will Sie sprechen. Sie persönlich.«
»Er wird also ebenfalls zu einem Problem«, stellte Volprecht, der Anwalt, beinahe zufrieden fest. Er sah Heinen an, sein zerfurchtes Gesicht mit dem sorgfältig frisierten weißen Haar glich einer zersplitterten Tonmaske.
»Was ist los, Konrad?«, fragte Heinen.
Volprecht zog überrascht die Brauen hoch. Es geschah nur selten, dass Heinen ihn mit dem Vornamen anredete. Volprecht war nie dahintergekommen, wann der Hai zu der vertraulichen Anredeform überging. Ob er damit eine menschliche Beziehung herstellen wollte oder eine neue Teufelei plante.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, antwortete er deshalb reserviert.
»Irgendetwas bereitet Ihnen Sorgen«, stellte Heinen fest. »Sehen Sie mich schon hinter Gittern? Endgültig, meine ich?«
»Da ist noch die Freundin des Journalisten«, sagte Volprecht.
»Nelles bildet sich ein, dass sie ihn erkannt hätte«, ergänzte Makowski.
»Sowie die Polizei Nelles einsackt, wird sie ihn ihr gegenüberstellen«, fuhr der Anwalt fort. Heinen ließ sich langsam hinter seinem Schreibtisch nieder, wobei er Volprecht unentwegt anstarrte. Der Anwalt hielt dem Blick der kleinen scharfen Augen nur mit Mühe stand.
»Ich dachte, das Problem sei längst erledigt?« Heinens Stimme klang jetzt flach.
»Ein gelöstes Problem reißt meistens ein oder mehrere neue auf«, sagte Volprecht.
»Verschonen Sie mich mit Ihrer Philosophie! Was für Probleme denn noch? Himmel, Blume hat es längst erwischt, und die Frau hat nie ein Sterbenswörtchen davon gesagt, dass sie jemanden gesehen hätte! Oder haben Sie etwas übersehen, Herr Volprecht?«
»Nein, ich habe nichts übersehen. Aber die Freundin ist untergetaucht.«
»Na und?«
»Warum wohl?«
»Warum, warum!«, grollte Heinen. »Machen wir hier ein Quiz?«
»Die Tatsache, dass sie untergetaucht ist und ihre Spuren sehr sorgfältig verwischt hat, beweist doch, dass sie mehr weiß, als sie bisher zugegeben hat. Und dass ihr bewusst ist, was dieses Wissen bedeutet. Schließlich hat sie lange genug mit Blume zusammengelebt. Niemand kann mit Sicherheit sagen, dass er nicht doch noch über Aufzeichnungen verfügte, von denen wir nichts wissen. Es geht doch nicht um Nelles«, schloss der Anwalt. »Begreifen Sie das denn nicht?«
Dumpfes Schweigen breitete sich aus, das nur von einem schrillen Quietschen unterbrochen wurde, als Makowski eins der Fenster öffnete. Er musste an das Aufsehen zurückdenken, das der brutale Mord an dem angesehenen Journalisten erregt hatte.
Hilmar Blume war ein leidenschaftlicher Segler gewesen. Nelles hatte ihn in dem kleinen Jachthafen oben bei Ovelgönne ertränkt, kurz bevor Blume mit Sigrid Wolf, seiner Freundin, zu einem zweitägigen Segeltörn in die Nordsee aufbrechen konnte. Sigrid war noch einmal zum Clubparkplatz zurückgegangen, weil sie ihre Sonnencreme in Blumes Wagen vergessen hatte. Ihre Aussage war klar und nicht zu erschüttern gewesen - sie habe nichts und niemanden in der Nähe des Bootes gesehen.
Und jetzt hatte es plötzlich den Anschein, als sei sie ein raffiniertes Luder, das genau wusste, wann es zu schweigen hatte - und warum.
Jahrelang war Blume verbissen der Frage nachgegangen, weshalb Polizei und Justiz nie ernsthaft etwas gegen Heinen ausrichten konnten. Seine anklagenden Berichte hatten wie Stachel gewirkt, die sich tiefer und tiefer in Heinens Fleisch gruben. Bis Heinen keine Wahl mehr blieb, als sich durch einen Gewaltakt von dem hartnäckig bohrenden Schmerz zu befreien.
Dank der besonderen Verbindungen, über die Heinen verfügte und deren Vorhandensein Blume so verbissen nachzuweisen versucht hatte, waren keinerlei Aufzeichnungen, die dem Hai hätten gefährlich werden können, im Nachlass des Journalisten gefunden worden. Es war, als hätte Blume niemals Material besessen, um seine Anklagen zu untermauern.
Langsam schwang Heinen mit seinem Sessel herum. Er sah Makowski an, der am offenen Fenster stand und gierig die Luft einatmete, die hier oben kühl war und frisch schmeckte.
»Was meinst du, Bernd?«, fragte Heinen.
Makowski wusste, dass der Hai jetzt eine ernstgemeinte Antwort von ihm erwartete, auch wenn er seinen Vorschlag, wie immer er lauten mochte, später zurückweisen würde, weil er Entscheidungen nur akzeptierte, wenn sie von ihm selbst kamen.
»Ich meine, dass Nelles überflüssig ist«, sagte er. »Er wird irgendwann durchdrehen. Dann ist er gefährlich.«
Heinen befeuchtete die aufgeworfenen Lippen, und seine Augen begannen zu glitzern. »Bist du bereit, den Job zu übernehmen?«, fragte er.
Makowski hielt dem Blick der glitzernden Augen stand. Er spürte einen kurzen Krampf zwischen den Schulterblättern, der jedoch sofort wieder wich. Er hatte immer gewusst, dass diese Frage einmal an ihn gerichtet werden würde, und er wusste auch, dass er dieser Frage eines Tages nicht mehr ausweichen konnte.
War dieser Tag jetzt gekommen?
Er stellte sich Nelles vor, wie er sich auf dem neuen Bett breitmachte, wie er die schmutzigen Füße auf die Tagesdecke stellte oder die Wände ruinierte. Die Einrichtung der Wohnung hatte ihn lockere 60000 gekostet. Die mussten erst mal wieder reingeholt werden. Und dann machte sich dieses Vieh darin breit ...
»Ja«, sagte er. Seine Stimme klang fest.
Heinen grinste kurz, bevor er den Blick von Makowski ließ und sich Volprecht zuwandte.
»Was schlagen Sie vor, Konrad?«, fragte er.
»Das ist nicht meine Abteilung, Herr Heinen«, antwortete er kühl.
»Aber Rechnungen schreiben, das fällt in Ihr Ressort.«
»Dafür bekommen Sie Gegenleistungen«, konterte der Anwalt. »Unternehmen Sie etwas wegen der Frau. Dieser Rat ist kostenlos. Und schieben Sie es nicht auf die lange Bank. Irgendeine Anklage wird zusammenkommen, die Staatsanwaltschaft kann nicht sämtliche Anklagepunkte fallen lassen, wenn sie nicht Gefahr laufen will, die Rechtsprechung in dieser Stadt auf den Kopf zu stellen. Ich möchte dann nicht mit Überraschungen rechnen müssen.«
Volprecht nahm seinen Aktenkoffer und wandte sich zum Gehen. An der Tür blieb er stehen und wandte sich noch einmal um.
»Verhalten Sie sich absolut unauffällig. Denken Sie an die Auflagen. Wenn man Sie nur beim Falschparken erwischt, sitzen Sie sofort wieder im Loch.«
»Ist das alles, Konrad?«, fragte Heinen sanft, weil der Anwalt immer noch zögerte. »Brauchen Sie etwas? Bares? Oder ein Mädchen?«
Volprecht schüttelte angewidert den Kopf. »Die beiden Beamten, die Nelles beinahe festgenommen hätten, gehören der Sonderkommission an, die gegen die organisierte Kriminalität eingerichtet wurde.«
»Die Soko Heinen«, sagte Heinen amüsiert. »Reden Sie doch Klartext!«
»So wird sie nur inoffiziell genannt«, beschwichtigte Volprecht.
»Ja, und?«
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