Je nachdem was Max Berger vom Tag erwartete, schlug er zwei oder drei Eier in die Pfanne. An diesem Montag nahm er vier, ließ reichlich Speck aus und stand mit geblähten Nüstern über dem Rührei. Ab heute war Kraft vonnöten und Umsicht und Gelassenheit, aggressive Gelassenheit. Es kam darauf an der neuen Assistentin den Job madigzumachen, ganz schnell zu vermiesen, allerdings ohne Hollerkoop vor den Kopf zu stoßen.
„Kann ich nicht gebrauchen“, hatte Max den Chef vor einem Monat angeblafft. Die Kollegen lagen über ihren Schreibtischen. „Wie alt, sagen Sie? Das ist Wahnsinn! Sie sind verantwortlich für die Folgen! Man lässt keinen Zug in einen Tunnel fahren, hinter dem ein Abgrund wartet.“
„Berger, nun kommen Sie mir nicht wieder poetisch. Bei wem sonst könnte unser Nachwuchs mehr lernen als bei Ihnen?“, fragte Hollerkoop.
Nur Fritz Zippel lag nicht über einer dringenden Scheinarbeit, sondern saß kerzengerade und lauschte mit Spaß in den Backen der Vorstellung seiner Vorgesetzten.
„Was denn, wie denn, heiße ich denn Humbert Humbert? Die ist mir zu jung! Wie soll das denn enden? Oh, ich weiß das, alle wissen das. Schauen Sie, wie sie grinsen!“
Die Kollegen blickten stumm auf ihren Tischen herum, ein humorloses Bulldoggengesicht war auch darunter. „Wie das endet, ist doch wohl klar! Ich bin ganz tief im Süden aufgewachsen. Wissen Sie, was das bedeutet, wenn die heilige Biene von Ephesoszum Bestäuben fliegt? Ich zieh die Hosen gar nicht mehr an. Ihre Verantwortung!“
„Berger, Sie sind der richtige Mann, den Nachwuchs zu...“
„...einzuführen, wie? Soll ich auch noch ermitteln, was meint ihr?“, rief Max den Kollegen zu, „was werde ich wohl ermitteln, na? Jeden Quadratzentimeter werde ich untersuchen, von der Stirn bis zu den Zehen. Jeden Quadratzentimeter Haut genauestens befingern und, und ...“
Max beugte sich vor, drückte die Brust vors Lenkrad. Wenn der Einbeinige schon am Kiosk lehnte, dann lag am Ende seiner Pünktlichkeit noch viel zu viel Weg vor ihm. Näher als sonst musste Max heute heranfahren, bevor die Kanten und Konturen des Kiosks aus dem Wasser auftauchten. Ihre Schultern an den Kiosk gedrückt versuchten Wind und Regen die Bude wegzuschieben, war aber bis jetzt gescheitert. Dass er so nah ran musste, schob Max auf die Wassergüsse gegen die Windschutzscheibe, nicht auf seine Augen. Er war zu spät. Ein einbeiniges Regencape an der Theke schwenkte eine Bierflasche und prostete ihm zu.
Max beschleunigte den Takt der Scheibenwischer und fuhr langsamer. Ihm lag nichts daran möglichst schnell in die Wilhelmstraße zu kommen. Eine Verkehrsstockung hier im platschenden Regen, wäre ihm jetzt willkommen, um seine Ankunft zu verzögern.
Vergewaltiger kotzten ihn an. Hollerkoop hatte ihm nicht nur das feuchte Früchtchen, sondern auch noch diesen unappetitlichen Fall angehängt. Der Beschuldigte ein aaliges Arschloch der ärgsten Art. Ein Rechtsanwalt. Einfach ein geiler Rohling. Dem die Eier abzureißen, wäre eine Wonne, selbst wenn er als Vergewaltiger unschuldig wäre. Dieses Gör, diese Clarissa, würde er gleich mit dem Kerl konfrontieren.
Wenn Hollerkoop sich so dafür einsetzte, ihm die Frau an die Füße und den freien Flug der Gedanken zu hängen, dann gab es dafür nur eine Erklärung. Max musste also herausfinden, in wessen Schuld Hollerkoop stand, dass er ihm diese feuchte Frucht an den Hals hängte. Wenn er das hatte, war es leichter sie wieder loszuwerden.
Max liebte, was die Täter hassten: Spuren und Zeugen, aber Opfer von Vergewaltigungen taugten als Zeugen noch weniger als unbeteiligte Zeugen. Ein vorbildlich exekutierter Mord, die Leiche nicht zu sehr zerstückelt, war ganz okay, aber Vergewaltigungen. Überhaupt waren ihm diese Wischiwaschifälle ein Gräuel. Entsetzlich die Gespräche mit dem Opfer. Die Aussagen sahen objektiv aus, waren es aber nicht. Die Opfer hatten ihr Wissen im Leib, wie sollten sie es mitteilen?
Keine enge Zusammenarbeit auf tagtäglicher Basis mit einer Frau war sein Leitsatz gewesen, aber gegen Hollerkoop hatte er sich nicht durchsetzen können. Wenn die auch noch attraktiv war! Die Zeiten eine Frau ablehnen zu können, hatten sich verschlechtert und seine Argumente waren auch nicht besser geworden. Politisch korrekt waren sie nie gewesen. Von seinem Augenhintergrund her stand er dem Playboy eigentlich doch etwas näher als den Zielen der Frauenbewegung (Phosphoreszierende Strumpfbänder – Arschzeigehosen – Tittenspitzen steif wie Radiergummis).
Clarissa war so jung, dass sie fast noch unter den Jugendschutz fiel. Eine Zumutung und Versuchung. Hollerkoop setzte seine Karriere leichtfertig aufs Spiel. Ihn würden sie am Ende verantwortlich machen, sexuelle Belästigung oder so. Hatte er sich etwa seine Testosteronschübe ausgesucht? Er war auch ein Opfer, alle Täter waren auch Opfer.
Dass in jedem Manne ein potenzieller Vergewaltiger stecke, war natürlich ein emanzipationsideologischer Trick, um den Kerlen permanent ein schlechtes Gewissen zu machen. So arbeiteten alle Religionsstifter um Macht zu erlangen. Und was war dabei herausgekommen am Ende? Der Belauerungskrampf zwischen Männlein und Weiblein. Wo nichts mehr selbstverständlich war, fanden Krankheit und Frustration ihre Brutstätten.
„Wo lässt man die Hände, wenn man neben einer Frau im Wagen sitzt? Raucht ihr beidhändig oder was?“ Aber die Kollegen hatten nur gelacht. „Legt ihr euch Handschellen an? Was habt ihr es doch weit gebracht! Mit einer Frau observieren!? Wie soll das gehen? Ich wüsste, was ich sehr, sehr exakt observieren würde. In diesen tropfnassen Oktobernächten, wenn hohle Winde um die Häuser johlen.“
Sie hatten ihn nicht ernst genommen als potenziellen Lusttäter. Ein guter Bulle aber muss etwas ahnen, wenn nicht wissen von der Lust am Laster - sämtlicher Laster. Wie sonst soll er sich in die Knallköpfe versetzen können? Sonst würde das nichts. Gelacht hatten sie. Gleiche fallen unter Gleichen eben nicht auf: der Lustmolch kaum unter den Machos. Sein Pech!
Als Max in sein Büro trat, war eine Sturmböe gerade dabei mithilfe des klatschenden Regens das Fenster einzudrücken, scheiterte aber. Von einem Stapel glitt ein Blatt Papier hinter Max her und flog von ihm unbemerkt gegen seinen Unterschenkel. Eine Dienstanweisung, die aufgeschlagen bei Kapitel fünf auf einem Aktenschrank lag, blätterte mehrere Seiten weiter. Dass Dinge sich nicht bewegen, wüssten Kinder schon in allerzartestem Alter, hatte Max gelesen. Dass jedes Ding seinen Platz hatte, hatte er den Sachen beigebracht und nach anfänglichem Protest hielten sie sich nun daran. Mit einem Wort, im Büro von Max herrschte Ordnung, vielleicht nicht für jeden unmittelbar sichtbar, doch für ihn schon.
Ein Schrei des Kollegen Fritz Zippel: „Du sollst 365 anrufen“, rief Fritz Zippel.
Ein Blick nur in Zippels Büro und schon war klar, wer dort das Sagen hatte, eindeutig die Dinge. Wo keine besudelten Kaffeebecher standen, stanken volle Aschenbecher. Wo keine Aschenbecher stanken, türmte sich Papier. Der Turm da hatte eines Tages keine Lust mehr am Balancieren gehabt und es sich bequem gemacht. Faxe und Fetzen mit Notizen, Tatmotive auf rote Schnipsel gekritzelt, Unausgegorenes auf grüne Zettel. Die grünen Zettel machten das Rennen. Anders als Max ließ Zippel den Dingen ihren Willen und so konnte es geschehen, dass eine Mappe mit Bildern vom Tatort heute links auf seinem Schreibtisch lag und morgen verschwunden war und übermorgen im Aktenschrank steckte. Ganz von allein.
„Was wollte er?“, fragte Max.
„Eh, Max, hast du den schon gehört, Fritz erzähl noch mal, wie ging er noch?“, sagte August Aulbur.
„Den versteht doch keiner“, sagte Fritz.
„Sogar August hat ihn verstanden“, sagte Max.
„Vielen Dank!“, sagte August
„Neinnein“, sagte Fritz, „nicht den Witz, ich meine Hubert versteht keiner. Immer nur Andeutungen.“
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