Smila Spielmann - Und wirklich versteht man sich nur wenn man nichts sagt
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Vor zwei Tagen ist die Kathrin zurück in die Stadt gefahren. Sie hat gemeint, dass sie auf der Uni schon viel zu viel versäumt hat. Ich glaube, ihr ist einfach langweilig geworden auf dem Hof, mit der alten Mutter und dem toten Vater. Ich wünschte ich könnte auch weg fahren. Das Haus ist zu groß für mich allein und der Hof macht so viel Arbeit, dass ich am Abend zu erschöpft bin um mir ein Nachtbrot zu bereiten. Ich hab schon abgenommen. So geht’s nicht weiter.
Ich denke oft an die Frau aus Marlene Haushofers Roman. Die Frau, die ganz allein ist. Nur mit einer Kuh und einem Hund. Ich habe keinen Hund, dafür viele Kühe. Die Gesellschaft von vielen Kühen kann die von einem Hund nicht ersetzen. Der Hof hat früher Richards Eltern gehört und als wir geheiratet haben bin ich her gezogen. Es ist ein alter Hof, der am Rand des Dorfes liegt. Genauer gesagt: hinter dem Rand. Hügel und Felder, ein Fluss und Wälder trennen uns vom Dorf. Eine Stunde zu Fuß und fünfzehn Minuten mit dem Auto sind es in die Kirche. Ich bin den Weg oft gegangen. Im Winter wenn es verschneit ist und man über die steile Wiese vorm Haus mehr rutscht als wirklich geht. Im Sommer wenn der Weizen hoch steht und man Umwege gehen muss um ihn nicht niederzudrücken. Ich bin den Weg auch oft gefahren. Das letzte Stück durch den Wald ist erst vor ein paar Jahren asphaltiert worden. Davor war es manchmal mühsam. Vor allem im Winter, wenn es glatt war. Vor allem im Herbst, wenn der Regen die Straße weggespült hat.
Ich sitze in der Küche und lausche dem Ticken der Wanduhr. Sie gehört mir nicht. Eigentlich gehört mir hier nichts. Ich habe die Bank nicht ausgesucht und die Stühle nicht und den Ofen nicht. Nur die Spüle war meine Idee und ich hab sie von meinem Geld gekauft um nicht mehr so viel Arbeit zu haben, mit dem Geschirr. Ich weiß nicht, wer die Küche eingerichtet hat. Richards Mutter vielleicht oder die Mutter von Richards Mutter. Es ist mir nie so wichtig erschienen.
Wie kann es nicht wichtig sein, wo ich wohne? Die Vorhänge gefallen mir nicht und die altbackenen Tapeten mit ihrem großen Muster drücken den Raum, machen ihn klein und dunkel.
Ich glaub, ich werd die Wiesen verpachten und den Wald auch. Wozu soll ich mich abrackern? Die Kathrin wird den Hof nicht übernehmen. Sie studiert ja und wird einmal Lehrerin. Das ist nichts für sie, hat sie immer gesagt. Die viele Arbeit und das wenige Geld. Und gescheit ist sie ja, da soll sie ruhig was lernen. Da waren wir uns immer einig, der Richard und ich. Ich wünschte meinen Eltern wäre das auch eingefallen.
In Wahrheit wär’s das gescheiteste wenn ich den Hof verkaufen würde und irgendwo hinziehen würde wo mich keiner kennt und wo keiner den Richard gekannt hat. Wo ich nicht eine Witwe bin und eine Mutter. Natürlich mach ich’s nicht. Ich kenne ja meine Pflicht. Und hab ich nicht immer getan, was alle von mir erwartet haben? Gedacht, ja gedacht hab ich mir manchmal was – aber das hat ohnehin keinen interessiert, solang die Kühe gemolken waren und das Essen auf dem Tisch. Trotzdem kommt es mir heuchlerisch vor, dass ich jetzt in seinem Haus wohne. Dass ich lebe und er tot ist und wir uns nie geliebt haben. Ich ihn nicht, weil ich immer einen Anderen geliebt hab und er mich nicht, weil er nicht gewusst hat, wie man das macht, was das überhaupt für ein Gefühl ist und wozu es gut ein soll. Er hat mich sicher sehr gern gehabt und was er geben konnte, hat er mir gegeben. Das hab ich nicht gemacht. Ich hätte mehr geben können, doch nicht ihm. Vermutlich ist es in den meisten Ehen so, dass man sich respektiert und gut Freund ist mit dem Anderen. Ich glaube das geht ganz gut, wenn man nicht wirklich weiß, was die Liebe ist. Doch das hab ich immer gewusst und wie hätte ich da mit dem Richard glücklich sein können?
Das Ticken macht mich ganz wahnsinnig.
Vielleicht wäre es besser ich hätte es nie gewusst. Das hätte weniger weh getan. Auf dem Tisch vor mir liegen meine Tagebücher. Ich hab schon lange nichts mehr geschrieben. Und was soll ich auch schreiben: „ Der Richard ist tot. Ein Herzinfarkt. Ganz plötzlich, bei der Arbeit auf dem Feld und als die Rettung da war, da war er schon tot.“ Ich glaub, das letzte Mal hab ich vom Richard geschrieben, als er mir einen Antrag gemacht hat. Tagebuchschreiben hat mir nie geholfen irgendwas zu verstehen. Doch ich hab immer so gern geschrieben. Meine Gedichte hat der Richard nie gelesen. Ich glaub, ich hab ihm auch nie erzählt, dass ich welche schreib.
Wie wäre es, von einer Frau zu schreiben, die so ist wie ich und doch anders? Wenn ich von einer Anderen schreibe, vielleicht verstehe ich mich dann? Ich kann es zumindest versuchen, finde ich.
Miriam.
Mein Name.
Ein Name, wie ein Versprechen, wie eine Erinnerung an eine alte Zeit. Ich denke an Zypressen, wenn ich ihn mir sage. An Frauen mit hohen Brüsten und braunem Haar. Ich rieche Gewürze, Safran und Koriander. Ich spüre den Wind der Wüste auf meiner Haut.
Das Lied der Lieder könnte für eine Miriam geschrieben sein. „Eine Rose Sharons..“
Nicht genug damit, habe ich über den Golem gelesen. Über Pernaths Miriam. Ihre Kinder, ihren Tod – den Lustmörder. Ja, so ein Name ist das. Der Männer inspiriert, zu ihrem Guten und zu ihrem Schlechtesten. Aber immerhin: inspiriert.
Und der Schnee ist in meine Wiege gefallen. Der Schnee der unerfüllten Hoffnung, der Schnee der Einsamkeit die in meiner Mutter war und die ich mit mir nicht heilen konnte, der Schnee der Bitternis. Und ich bezwinge die Welt im Traum und bin mir fremd und die anderen sind mir fremder und ich kann nur vergessen was ich sein sollte, sein könnte um wirklich ich zu sein.
Wie soll man einem solchen Namen gerecht werden? Den Erwartungen, die er in sich birgt?
Ich habe es gar nicht erst versucht.
Ich nenne es nicht feig. Proaktiver Umgang mit der Geschichte. Man muss ja nicht immer alle Fakten parat haben. Wir sind ohnehin so behangen mit der Vergangenheit, dass sich Vergessen manchmal lohnt. Also kein Vorbild in der Geschichte oder in Geschichten suchen.
Nur ich.
Miriam.
Tim.
Sein Name.
Ein Name, unbeschrieben wie ein leeres Blatt, zu füllen mit Wünschen und Träumen. Meine Vorstellungen, die groß werden in mir. Die Freiheit, um die ich ihn beneide, die Unbeschwertheit, die Fülle an Möglichkeiten. Alles zu sein, sein zu können. Fehlen von, nicht zuviel… Das war es. Das, was mich aufmerksam gemacht hat. Ein Gegenstück, eine zweite Hälfte, eine gedachte – doch zu welchem Ganzen? Das war der Reiz. Der Reiz an ihm. Das Fehlen der Bindungen, der Vorstellungen, die mich so fest im Griff hatten.
Tim.
Ein Name. Mutterlos.
Herbst, 1967
„Johanna, geh lauf schnell zu den Birnkers und frag ob wir nicht ihre Schiebtruhe ausborgen können.“ Mein Vater hat seine Mütze vom Kopf genommen und streicht sich mit dem Handrücken die Haare aus dem Gesicht.
Ich lasse den Rechen fallen. Zu den Birkners ist es weit, eine Stunde wenn ich mich beeile, aber ich gehe lieber spazieren, als dass ich auf den Feldern helfe. Es ist kurz nach Mittag. Ich nehme den Weg durch den Wald anstatt den über die Felder. Zurück muss ich ohnehin über die Felder gehen, denke ich. Wenn ich denn die Schiebtruhe bekomme. Bei den Birkners kann man da nie so sicher sein. Ihr Hof liegt abgeschieden und als vor zwei Jahren ein Feuer in ihrer Scheune ausbrach, hat ihnen keiner rechtzeitig helfen können. Zwei Mädchen sind gestorben. Nur ein Bub ist ihnen geblieben. Der Hans. Er ist in meiner Schule, doch ich kenne ihn kaum. Er redet nicht viel. Ich glaub, er ist lieber allein. Ich beneide ihn nicht. Seine Eltern waren schon alt, als sie ihn bekommen haben. Hans Mutter schaut aus wie meine Oma. Mit faltiger Haut und fleckigen Händen.
Ich pflücke Walderdbeeren auf dem Weg. Sie sind so klein, dass man mehrere in den Mund stopfen muss, um überhaupt irgendwas zu schmecken.
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