Außerdem hatte er schon so lange nicht mehr an einem Tisch gegessen. Hierzulande waren überwiegend die niedrigen Tische üblich, an denen man auf dem Boden sitzend aß. Er dankte in Gedanken seiner Großmutter, dass sie darauf bestanden hatte, ihm die Tischmanieren aus Deutschland beizubringen, wenn er sie besuchte. Clara hatte ihm versichert, dass die amerikanischen Tischgewohnheiten ähnlich waren, jedoch nicht ohne dabei spitzbübisch zu grinsen. „Na toll“, hatte er gedacht, „das wird ja eine schöne Blamage.“
Ein Bediensteter des Generals öffnete ihm die Tür, er wurde eingelassen und in den Salon gebracht.
„Da ist er ja, unser ‚Sohn der Wüste‘.“ Mit einem breiten Lächeln im Gesicht kam der General auf ihn zu. Er war Rayan von Anfang an sympathisch.
Breitschultrig, 52, wie Clara ihm heimlich verraten hatte und mit einem bereits leicht angegrauten Oberlippenbart ragte er durch seine Körpergröße von 1,94 m über die meisten Menschen hinaus. Gegen seinen Willen musste er feststellen, dass der General ihn ein wenig an seinen Vater erinnerte. Auch er hatte die ihm angeborene Eigenschaft, die Menschen zu beeindrucken, ohne viel aktiv dazu tun zu müssen.
Selbst wenn Claras Vater sich ohne Rangabzeichen in einen Raum begab, zog er sofort alle Aufmerksamkeit auf sich. Bei den Männern war er als besonnen und gerecht bekannt und sie blickten gerne zu ihm auf.
Selbst Rayan, der inzwischen auf stolze 1,89 m kam, fühlte sich klein neben ihm. Jack Tanners dunkelgraue Augen standen nie still und wenn er Rayan direkt in die Augen blickte, schien er prüfend bis in die Seele hinunter sehen zu können.
Hinter seinem Rücken munkelte man, er könne Gedanken lesen und Rayan verstand nun, wieso.
Auch Julie, die Mutter von Clara, war eine wundervolle Frau. Sie lächelte oft und die Art, wie sie ihren Mann ansah, verriet ihre tiefe Zuneigung zu ihm. Ihre Haare hatten den gleichen rotbraunen Ton wie Clara, doch bei ihr war schon die ein oder andere graue Strähne zu finden, was sie aber eher noch attraktiver machte. Sie war einige Jahre jünger als ihr Mann und Rayan schätze sie auf Mitte vierzig.
Auch ihre Augenfarbe hatte sie an Clara vererbt, das gleiche helle Blau, allerdings ohne Claras meist spöttisches Funkeln. Sie sagte nicht viel, aber wenn, dann sprach sie mit ruhiger, sanfter Stimme.
Rayan erwischte sich bei dem Gedanken, dass aus Clara, wenn sie sich noch mehr wie ihre Mutter entwickelte, eine durchaus schöne Frau werden konnte.
Der General dagegen sprach viel und oft mit kräftiger, melodischer Stimme und er lachte gerne.
Das Essen verlief ohne die befürchteten peinlichen Situationen, die sich Rayan vorab ausgemalt hatte, was vor allem an der entspannten Stimmung lag, die beide Tanners verbreiteten.
Nur einmal wurde Rayan rot bis über beide Ohren, als Claras Mutter ihn fragte, ob er eine Freundin hatte. Derartiges Interesse an seiner Person war ihm überhaupt nicht recht, vor allem, weil der General seinen forschenden Blick ebenfalls auf ihn richtete. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Clara rettete ihn: „Mama. Sei nicht so neugierig. Yasin hat ständig irgendwelche Freundinnen, ich kann sie schon kaum noch auseinanderhalten.“ Dazu verdrehte sie so verzweifelt die Augen, dass alle laut loslachen mussten.
Gegen Abend machte Rayan sich auf den Heimweg. Die Stunden waren im Fluge vergangen.
Zum Abschied nahm ihn der General zur Seite und sagte mit ernstem Blick. „Halten Sie bitte etwas die Augen auf, wir haben eine Drohung erhalten. Wir wissen noch nicht genau, wie ernst diese Nachricht zu nehmen ist. Könnte von irgendwelchen Irren stammen, die meinen, damit einen tollen Witz gemacht zu haben. Aber Sie wissen ja sicher auch, dass die Anwesenheit der amerikanischen Armee einigen Leuten ein Dorn im Auge ist. Es könnte also auch tatsächlich zu Anschlägen kommen.
Passen Sie auf Clara auf, ja?“
Rayan nickte kurz, sagte aber nichts. Er ging nachdenklich nach Hause und nahm sich vor, Augen und Ohren offen zu halten.
2014 - Rub’al Khali, Oase Wahi - Treffen in der Oase
Nach 4 Tagen hatte die Karawane endlich die Oase namens Wahi im Süden von Dubai erreicht.
Je näher sie kamen, desto schweigsamer waren Carina und Hatem geworden. Die Reiterschar hatte einen Tag Vorsprung und es war fraglich, wie viel schneller die Pferde vorankamen im Vergleich zu den Kamelen? Was, wenn in der Oase keiner mehr wäre? Dann würden sie wochenlang in der Oase festsitzen. Denn die Karawane würde weiterziehen und ein Umkehren alleine wäre zu gefährlich.
So atmeten sie auf, als sie neben den kleinen Häusern der Oasenbewohner auf der anderen Seite der Oase die Zelte der Tarmanen erkannten. Wie es üblich war, hatten sie ihre Flaggen mit dem Stammesemblem deutlich sichtbar gehisst, das Zeichen von Zarifa, sodass ein Irrtum ausgeschlossen war.
Hatem wurde zusehends nervöser, denn er wusste nicht, wie er diese ganze Geschichte erklären sollte. Er selbst hatte noch nie persönlich mit dem Scheich zu tun gehabt, aber schon von Männern gehört, die der angeblich selbst für weniger eigenhändig getötet hatte. Auch für seine Strafen war der Scheich gefürchtet, schon so mancher Mann musste auf seinen Befehl hin die Peitsche erleiden.
Der Schweiß stand ihm also nicht nur aufgrund der unerträglichen Hitze auf der Stirn.
Sie verabschiedeten sich vom Karawanenführer und bedankten sich nochmals für sein gutes Geleit, verkauften ihm wie versprochen ihre Kamele und gingen zu Fuß auf das Lager auf der anderen Seite des kleinen Gewässers und den Palmen zu.
Die Zelte waren in ihrer Ausführung recht unterschiedlich.
In der Mitte der kleinen Ansammlung gab es größere Zelte, Zelte, in denen ein Mann locker stehen und umhergehen konnte. Weiter außen standen kleinere Zelte, die für einen oder wenige Männer zu sein schienen.
Als sie sich näherten, trat ihnen ein Mann in den Weg, der ein Gewehr über der Schulter trug.
Carina konnte den Wortwechsel nicht verstehen, doch schien der Fremde nicht sehr freundlich und keinesfalls erfreut, sie zu sehen. Sie war froh, dass sie auf Hatems Anraten noch immer wie ein Mann gekleidet war, denn irgendwie spürte sie, es wäre als Frau erst recht undenkbar gewesen, hier einfach aufzutauchen.
Was, wenn die Männer sich nun einfach weigern würden, sie mitzunehmen? Und hier in der Oase ließen? Sie hatte Hatem gegenüber noch so keck argumentiert, dass das nicht in Frage käme, da sich der Scheich stets an die Regeln der Wüste hielt und die gebot Gastfreundschaft gegenüber Fremden in Not. Doch waren sie hier wirklich in Not? Sie waren immerhin in einer Oase!
Auch Carina fühlte sich längst nicht mehr so sicher und fragte sich zum hundertsten Mal, ob das nicht wieder einmal eine ihrer Kurzschluss-Ideen war, die sie schon öfter in Schwierigkeiten gebracht hatte.
Endlich rief der Wachposten einen anderen Mann herbei, sprach halblaut mit ihm und schickte ihn dann … wohin?
Sie standen eine kleine Weile einfach so herum, der Wachposten sagte kein Wort, machte aber alleine durch seine Körpersprache deutlich klar, dass er an keinerlei Konversation interessiert war und sie außerdem keinen Schritt weiterlassen würde.
Die Minuten kamen Carina unendlich lange vor, dann kam schließlich der zweite Mann zurück. Er bedeutete ihnen, ihm zu folgen.
Carina verstand zwar nicht, was er sagte, konnte jedoch seiner Gestik entnehmen, dass er sie hinführen würde … zu wem? Sie fand es furchtbar nichts zu verstehen, aber Hatem konnte schlecht mit ihr Englisch sprechen, denn offiziell war sie sein Neffe Hassan.
Der Mann brachte sie in eines der größeren Zelte und wie schon von außen vermutet, war es so groß, dass man bequem darin stehen konnte.
Carinas Herz klopfte bis in ihre Ohren, als sie durch den Vorhang ins Innere schlüpfte. Wer oder was würde sie erwarten?
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