Einer der Sholo ’Sa fuhr herum. Chan hieb ihm den Kopf von den Schultern. Er sackte in sich zusammen. Nun schrie auch Meren.
Chan k ämpfte verbissen. Einer der Sholo’Sa wandte sich ab, um sich die Mädchen zu holen. Meren konnte sich nicht regen. Sie war starr vor Angst. Aëlan ging es nicht anders.
Chan st ürzte sich mit einem Schrei auf den Sholo’Sa und spießte ihn auf. Die Schwertspitze drang aus seinem Hals. Die breite Klinge trennte schließlich das Haupt vom Rumpf.
Meren schrie abermals.
Einer der Sholo ’Sa rammte der Kriegerin seinen Dolch in die Seite. Sie keuchte auf. Fuhr herum und köpfte ihn mit einem Hieb.
Der letzte der Seelenvampire versetzte ihr einen Sto ß in den Bauch. Er zog ein Kasanschwert heraus. Blutig. Triefend. Chan fiel auf die Knie.
A ëlan schrie. Schrie, bis sie keine Luft mehr in den Lungen hatte. Der bösartig grinsende Sholo’Sa ließ sich auf alle Viere herab und kroch auf Meren und Aëlan zu. Die Augen gierig. Eine gespaltene Zunge fuhr aus seinem Maul. Er zischte. “Jetzt sind eure Seelen mein.” Meren kroch fort. Weg von dem Scheusal. Aëlan saß reglos da. Große Augen. Sie zitterte. Die sterbende Chan drückte Meren, die an ihr vorbeikriechen wollte, etwas in die Hand. Es war ein Dolch. Der Dolch den einer der Sholo’Sa geführt hatte. Sie sah in Merens Augen. Flehend. Meren nahm sich zusammen. Sie nickte. Sie durfte ihre Freundin nicht im Stich lassen. Sie war es Chan schuldig. Obwohl sie ihr übel den Hintern versohlt hatte. Das war in einem anderen Leben. Es zählte nicht.
Mit einem Aufschrei warf sich Meren, die nie zuvor eine Klinge anger ührt hatte, auf das blassgesichtige Scheusal, das die linke Hand erhoben hatte, als wollte es Aëlan eine Backpfeife verpassen. Ein Stachel ragte aus der Handfläche. Zielte auf den Hals des Mädchens. Sein Kopf ruckte herum. Er hielt Meren nicht für eine ernstzunehmende Bedrohung. Diese Fehleinschätzung beendete sein untotes Leben. Meren stieß mit aller Kraft zu. Der Dolch drang in seinen Nacken. Der Sholo'Sa brach zusammen. Er regte sich nicht mehr. Meren zog die zitternde Aëlan unter dem Tisch hervor. Beide Mädchen krochen zu Chan, die sterbend auf dem Rücken lag. Neben ihrem toten Mann. Inmitten weißer Scherben. Es roch nach Pfefferminz und Blut. Die Füße der Kriegerin blutige Fetzen. Die Sohlen zerschnitten von den Scherben der Teekanne.
Ohne die Sholo'Sa w ürde Chan jetzt lächelnd neben ihnen sitzen. Die Teller wären rot verschmiert vom Johannisbeerkuchen, der ihre Bäuche füllte. Nicht der Bauch Chans wäre es, der rot verschmiert war. Leer. Ohne Johannisbeerkuchen. Chan schloss die Arme um ihre Tochter, die quer über ihrer Brust lag. Das Gesicht der Kriegerin war weiß. Blutleer. Fast wie die Fratzen der Sholo'Sa. “Du musst tapfer sein, Aëlan. Geh mit Meren. Ihr Vater wird für dich sorgen. Schau nicht zurück.” Chan nahm noch einmal alle Kraft zusammen. “Denke an die guten Stunden. Und jetzt geht. Rasch.” Aëlan warf einen Blick auf ihren toten Vater. Dann sah sie in das Gesicht ihrer Mutter. Ihr tränennasses Gesicht war trotzig. “Ich bleibe bei dir.” Chan seufzte. “Ich bin dir so dankbar.” Die sterbende Kriegerin weinte. “Ich bin so stolz auf dich.” Aëlan wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
Diesen Moment w ürde Meren nie wieder vergessen. Die kleine zarte Aëlan hielt ihre Mutter in den Armen, dicht über sie gebeugt und tröstete sie. “Ich werde dich immer lieben.” Die Kriegerin begann zu zucken. Krämpfe schüttelten ihren Körper. Ihr Atem ging stoßweise. Alle wussten, was dies bedeutete. Aëlan sah ihrer Mutter fest in die Augen. Meren war stumme Zeugin. “Ich schwöre dir, Mutter, die erste Tochter, der ich das Leben schenke, wirst du sein. Deine Seele wird zu mir zurückkehren. Meine Erstgeborene wird Chan heißen.”
Mit einem tiefen Seufzer ging A ëlans Mutter zu Borin. Sie konnte voller Stolz vor den Urdrachen des Lebens treten und auf ihre Wiedergeburt warten.
Gemeinsam machten sich die M ädchen auf den Weg zu Merens Vater, nachdem Aëlan die Augen ihrer Eltern geschlossen hatte. Seit diesem Tag war ihre Freundin nicht mehr dieselbe. Sie war stolzer. Zielstrebiger. Viel erwachsener als Meren. Von diesem Tag an, hatte Meren immer zu Aëlan aufgeschaut.
Ihre Freundschaft war mehr als das. A ëlan und Meren waren unzertrennlich. Meren hatte Aëlan das Leben gerettet. Chan hatte beiden Mädchen das Leben gerettet. Meren wollte Aëlan helfen, ihren Schwur zu erfüllen. Ihre Freundin sollte eine Tochter bekommen. Chan.
Meren löste sich von der Brüstung. Sie überquerte den Rasen des Anwesens und öffnete das kleine Tor, das den Weg zur Steintreppe freigab. Sie schritt die Stufen zum Strand hinab. Dort unten fühlte sie sich Aëlan nahe. Unzählige Male hatten sie als Kinder und in ihrer Jugend dort unten gesessen und aufs Meer geschaut. Aëlan mit traurigem Blick. Schulter an Schulter mit ihrer besten Freundin. Meren.
Eine vierundzwanzig Jahre alte Meren ritt in Begleitung zweier Schwertk ämpfer. Padhoro und Araneon. Meren und Araneon waren im gleichen Alter. Padhoro war ein Schwerenöter, der alles mit einer anzüglichen Bemerkung quittierte. Meren wusste nicht genau, wie alt er war, sie schätzte ihn auf Mitte dreißig. Sein streichholzkurzes Haar stand ab, wie die Stacheln eines Igels. Der gutaussehende Araneon hatte sein Haar mit dem Kopftuch der Schwertgesellen zurückgebunden. Das schwarze Band passte gut zu seinem dunklen Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel.
Merens k örperliche Attribute waren ebenso Ziel von Padhoros Spott, wie ihre Beziehung zu Araneon, die sie offiziell nicht führen durfte. Er war ein Schwertbruder. Der Sohn Rethorns, des Leibwächters ihres Vaters. Gleichzeitig wurde er immer wieder von Meren zum persönlichen Schutz angefordert. Er sollte später in Rethorns Fußstapfen treten. Araneon verstieß gegen eine der Regeln des Schwertmeisterordens: Fange nie ein Verhältnis mit deinem Auftraggeber an.
Immer wieder stritt Araneon mit Padhoro. Verteidigte die Ehre Merens. “Siehst du, Araneon”, hob der Schwertmeister an, “Du bist in sie verliebt. Warum sonst sollte es dich stören, wenn ich auf ihren Hintern starre?” Meren wandte sich um. “Du alter Spanner. Kümmer dich um Frauen, die zu dir passen. Hafendirnen zum Beispiel.” “Wieso?”, Padhoro zwinkerte anzüglich, “du bist viel hübscher. Wenn wir angekommen sind, könntest du mir vielleicht...” Weiter kam er nicht, weil Araneon ihn mit einem Tritt von seinem Reitluchs beförderte. Der Kämpe stürzte sich auf den ranghöheren Mann. “Hört auf”, schrie Meren. “Gefahr!” Augenblicklich stellten die Beiden ihre Kampfhandlungen ein. Sie zogen ihre Schwerter und standen Rücken an Rücken. “Wo?”, fragten beide unisono. Meren zeigte auf den Horizont. Ihr Magen zog sich zusammen. Rauchwolken. Dort, wo sich der Fuchshof befand. Eine düstere Ahnung beschlich sie. Sie sollte sich bestätigen.
Meren hockte vor dem Bett ihrer besten Freundin. Sie war tot. Neben ihr lag ihr Mann. Merric. Seine Kehle war durchschnitten, ebenso wie die von A ëlan. Meren weinte hemmungslos, die Augen geschlossen. Sie hatte beide geliebt. Merric war ein aufrechter junger Mann. Ein gerechter Gutsverwalter an der Seite Aëlans. Sie hatten sich so sehr Kinder gewünscht. Doch es hatte nicht sein sollen. Manche hatten gemunkelt, die Ehe stünde nicht unter Borins Segen. Ein Medicus, der in den Diensten ihres Vaters stand, hatte Meren versichert, dass es Frauen gab, die unfruchtbar waren. Und auch Männer, die keine Kinder zeugen konnten. Es hatte ausgerechnet Aëlan getroffen. Die Frau, die ihrer Mutter geschworen hatte, dass sie in ihrem Schoß wiedergeboren würde. Aëlan war vierundzwanzig Jahre alt gewesen. Sie hätte sich einen anderen Mann nehmen können. Heimlich. Meren hatte es ihr geraten. Merric war einverstanden, als Meren ihm ihre Idee vorgestellt hatte. Er hätte alles getan, um seine Frau glücklich zu sehen. Auch wenn es schmerzhaft für ihn war. Doch Aëlan hatte abgelehnt. Hin- und hergerissen zwischen der Erfüllung ihres Schwurs und der Treue zu ihrem Mann. Letztlich hatte ihre Treue gesiegt. Meren, die Pragmatikerin, seufzte. Vermutlich waren die Ideale ihrer Freundin die weitaus bessere Lösung. Meren hatte sie immer beneidet. Sie wusste immer, was richtig war, und was falsch. Sie hatte Meren gedrängt, Araneon zu heiraten. Auch wenn dies bedeutete, dass ihr Vater sie vielleicht enterbte. Meren hatte einen anderen Weg gewählt. Den der Pflicht ihrem Vater und ihrer verstorbenen Mutter gegenüber. Dem Handelshaus treu ergeben. Sie wischte die Tränen weg und seufzte. “Ach Aëlan. Wenn ich den Schwur nur für dich übernehmen könnte. Wenn du eine Tochter hättest. Ich würde sie großziehen. Ich würde für sie sorgen. Ich würde mein Leben für sie geben.”
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