Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. Brachte ihre Lippen ganz nah an das Ohr der gefesselten Wache.
“Sie haben seit Fort Fox nichts mehr zu fressen bekommen. Ich nehme an, die Jagd auf Euch und das anschließende Mahl wäre ihnen ein Fest.”
Vendira nahm wieder etwas Abstand zu der Wache ein. Der Mann war leichenblass. Er sagte nichts. Zitterte leicht. Hielt die Augen starr nach vorn gerichtet.
“Verdammt man. Ich habe Euch ausgebildet. Ihr solltet wissen, wann Schluss ist. Mir ist es ernst. Dies ist nicht Euer Kampf. Ihr solltet der Obersten R ätin dienen, nicht dem verkommenen Rest, der sich gegen sie stellt.”
“Gardist Cano, Danior. Drittes Regiment von Moran. Palastgarde.”
“Das weiß ich Gardist Cano, seufzte Vendira. Ich habe Euch selbst beigebracht, Euren Namen und Rang zu nennen, wenn Ihr verhört werdet. Ich kann mir nicht leisten, meine Freunde zu verlieren. Sie sind mir leider wichtiger, als Ihr.”
Sie zuckte mit den Schultern. “Ich hoffe, ihr denkt an meine Entschuldigung, wenn ihr den Katzen als Mahlzeit dient. Zeit für die Fütterung. Wir suchen uns einen anderen.”
Vendira wandte sich um und lief los. Die fünf Schwertgesellen packten den Mann.
“ Wartet! ” Die Halbelfe blieb stehen und lächelte. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert . “Ich weiß, ich kann mich auf Euer Wort verlassen, Sei-Djin. Sie ist in den Zellen der Peredas. Bitte lasst mich schnell sterben.” Sein Ruf war voller Flehen. “Werft mich nicht den Raubtieren vor.” Vendira wandte sich um. “Das lässt sich machen, Gardist Cano. Ich ziehe es allerdings vor, Euch gehen zu lassen. Moran braucht Leute, die richtige Entscheidungen treffen. Die Katzen jagen lieber andere Beute.” Sie schnitt den Strick, der seine Hände band, mit einem Hieb entzwei. “Es tut mir leid, wenn ich Euch Angst eingejagt habe. Aber ein Mensch, für den ich durchs Feuer gehen würde, schwebt in großer Gefahr.” Der Gardist nickte. “Eines noch, Gardist Cano. Ich gehe ein großes Risiko ein, indem ich Euch laufen lasse. Bedenkt das, bevor ihr geradewegs zum Rat lauft und mich dort verratet.” Der Wachsoldat nickte abermals. “Ladri Sei-Djin Vendira”, sprach er nun ruhiger, “ich habe zwei Kinder. Ich würde für sie das tun, was ihr getan habt. Ohne zu zögern. Ich werde Euch nicht verraten.”
Die Tür flog auf. Vendira betrat die Wachstube. Die beiden Wachen griffen zu ihren Handarmbrüsten. Eine Frau und ein Mann.
“Wollt ihr Eure eigenen Sei-Djarim töten?” Die Wachen legten an und entsperrten die Sicherungshebel ihrer Schusswaffen . Hinter Vendira betraten fünf Schwertgesellen die Wachstube. Dann betrat Sei-Djahar Chai den Raum. “ Sei-Djahar. ” Ehrfurchtsvoll verneigte sich die männliche Wache. “Wir haben Anweisung, die Gefangenen um jeden Preis hier drin zu halten.” “Schließt dieser Preis auch ein, sich mir zu widersetzen?” fragte der Oberste Schwertmeister. Die Augen des Gardisten zuckten hin und her. Schließlich senkte er die Waffe. “Nein”, antwortete er. “Kylea, senke deine Waffe. Wir werden dem Sei-Djahar gehorchen.”
Chan ließ die Luft aus ihren Lungen. Sie hatte nicht zu atmen gewagt. Jetzt entlud sich ihre Spannung.
“Vendira”, rief sie erfreut.
“Keine Ursache”. Die Halbelfe winkte ab. Sie drehte den Schlüssel im Schloss. Das schwere Eisentor quietschte, als sie es aufzog.
“Und ich?” rief Ladhar.
“Ladhar, wie weit bist du mit den Waffenrunen?”, erkundigte sich Vendira.
“So gut wie fertig.” Ladhar schlug sich vor die Stirn. “Die Aufzeichnungen sind bei meinen Sachen. In den Quartieren.”
“Das können wir vergessen.” Die Halbelfe verschränkte ihre Arme vor der Brust. “Unsere Waffen werden gut bewacht sein. Ich glaube nicht, dass der Rat die Quartiere unbewacht...”
“Der Rat ist Geschichte.”
Finola Meda betrat den Raum. Sie hatte ihre Amtstracht gegen erdfarbene Lederkleidung getauscht. Sie trug eine der seltenen Repetier-Sardinas am Gürtel. Adriël hatte Chan davon erzählt. Er hatte versucht, eine zu erstehen. Der Preis lag bei 500 Goldstücken. Daneben hing ein Rapier. Ein Kapuzenumhang verstärkte den verwegenen Eindruck, der im starken Gegensatz zu ihrem vorherigen Auftreten in Amtsroben stand.
Die Schwertgesellen nahmen die Wachen in ihre Mitte. Die Munition und ihre Fechtwaffen hatte man ihnen abgenommen.
“Ihr solltet Euch fürs Erste fern vom Clan der Peredas halten”, hob Finola Meda an. “Die Dæmonen werden nach unseren Informationen bald angreifen. Deshalb werden wir Euch nicht entwaffnen.”
Sie wies auf die Wachen. “Gebt Ihnen Ihre Waffen wieder. Sie werden sie bald für andere Gegner brauchen.”
Vendira umarmte die Oberste R ätin . “Du hattest schon immer einen Sinn für das Praktische, Finola.” “Wenn es stimmt, was ihr sagt”, Finola Meda schürzte die Lippen, “und daran zweifle ich nicht, ist müssen wir die Verteidigung der Stadt gegen die Dæmonen organisieren. Das wird schwer genug, auch ohne die Querelen des Rates. Die Bewohner Morans sind uneins. Es ist unwahrscheinlich, dass sich das kurzfristig ändern lässt.”
“Ladri Meda”, meldete sich der Oberste Schwertmeister zu Wort. “Ihr seid wohlauf. Das ist eine gute Nachricht.”
“ Sei-Djahar ”, die Rätin verbeugte sich kurz. “Eure Fürsorge ehrt mich.” “ihr wollt sicher eure Waffen wieder haben”, Finola legte Chan freundschaftlich eine Hand auf den Arm. “In den allgemeinen Wirren sollte es uns möglich sein, die Gästequartiere im Palast unbemerkt aufzusuchen.”
“Seht ihr, Ladri Halbelfe, Ihr müsst positiver in die Zukunft blicken. Nicht alles schwarz sehen.”
Vendira drehte sich zu Ladhar um. “War das eben Ironie?” Sie zog eine Augenbraue hoch.
“Wir begleiten euch. Sollten wir auf Widerstand treffen, besitzt mein Wort sicherlich noch einiges an Gewicht.” Chai band sich das goldene Tuch um den Kopf. Das Abzeichen der Sei-Djahar. Diese Insignien erhielten nur die sechs Leiter der Schwertgilden. Niemand sonst. “Und wenn nicht”, Schwertmeister Chai legte die Hand an den Griff seines Zweihand-Kasans, “dann mein Schwert.” Die fünf Schwertgesellen, die Sei-Djarim, traten an seine Seite.
Chan räusperte sich. “Wo ist eigentlich Toshi?”
Vendira zuckte mit den Schultern. Vermutlich bei den anderen. Sie sind im Zellentrakt neben dem Palast eingesperrt. Die nächste Station unserer Reiseroute.”
“In Ordnung”, Chan seufzte.
“Wir sollten uns beeilen. Navar hat mir eben ein Bild einer Gruppe Dæmonen übermittelt. Das Fort war im Hintergrund zu sehen. Vielleicht zehn Meilen entfernt.”
Toshira erwachte schweißgebadet. Wo bin ich? Nachdem sie sich im Zimmer umgesehen hatte, fiel es ihr wieder ein. In Sicherheit. In den Gästequartieren von Moran. Moment . Die Mitglieder der Gruppe wollten sich nach fünf Minuten im Vorraum treffen. Ich bin nicht einmal umgezogen . Sie musste den anderen Bescheid geben.
Toshira riss die Tür zum Vorraum auf. Niemand befand sich dort.
Was ist hier los? Sie überlegte fieberhaft. Sie schlüpfte in das Gehänge mit den Schwertscheiden. Sie machte sich nicht die Mühe, sich umzuziehen. Wo ist Chan?
Die Schwertmeisterin zuckte vor Schmerz zusammen. Ihr Kopf schien zu explodieren. Die Erinnerungen kehrten zurück. Alpträume. Kurze blitzartige Szenen. Ein Urdrache hatte sie gerufen. Sie konnte sich nicht erinnern, welcher. Ein Gehörnter stand vor ihr. Er hatte drei Arme und einen Stumpf. Ein Schwert zuckte auf ihren Arm nieder. Blut pumpte aus ihrem Körper auf die abgetrennte Gliedmaße des Dæmons. Ein Spiegel. Sie sah hinein. Hatte Augen wie Chan. Orange. Gewaltige Hörner sprossen aus ihrem Schädel. Sie trug eine schwarze Panzerrüstung, wie die Dæmonen kurz vor Moran. Brauner Nebel senkte sich über sie.
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