1 ...7 8 9 11 12 13 ...36 Der letzte 1.000er auf dem Laufband war endlich zu Ende, jetzt musste ich nur noch einmal 500 Meter schaffen, dann hätte ich die schnellste Tempolaufeinheit seit mehr als einem halben Jahr hinter mich gebracht. Ich fühlte mich gut, wenngleich ich natürlich die Anstrengung spürte. Nach 1:30 Minuten Trabpause tippte ich auf dem Touch-Screen 20,5 km/h ein. Das Laufband beschleunigte und hatte nach ca. 20 Sekunden die von mir eingetippte Geschwindigkeit erreicht. Ich blickte auf die Anzeige und sah, dass das Laufband bei Erreichen der von mir eingestellten Geschwindigkeit 10,12 Kilometer anzeigte. Ich musste also bis 10,62 Kilometer laufen. Doch bereits nach 250 Metern merkte ich, dass ich den Lauf verlängern würde, denn meine Beine fühlten sich kraftvoll und locker an. Als auf dem Bildschirm 10,62 Kilometer stand, setzte ich meinen Lauf fort. Euphorisiert von der Leichtigkeit meiner Beine lief ich weiter, drückte aber bei 10,72 Kilometern die Stopp-Taste des Laufbands. Ich hätte sicherlich noch weiter laufen können, doch ich wollte es nicht übertreiben. Schließlich hatte ich mein geplantes Soll erfüllt und wollte mir für die nächsten Wochen weitere Steigerungsmöglichkeiten offen lassen.
Ich war für diesen Tag mit dem Laufen fertig und verbrachte die folgenden Stunden mit meiner Frau in München. Doch kaum dort angekommen, wurde ich von meinem Handy gleich wieder in die wunderbare Welt des Laufsports zurückgeholt. Es hatte vibriert, folgende SMS strahlte mir entgegen:
„Hey Markus, die Anmeldung für den Andechs Trail ist seit heute freigeschaltet. Ich hab‘ mich angemeldet. Der ist am 22.04. Vielleicht hast du oder einer vom TSV auch Lust? Ist genau eine Woche nach dem Trainingslager.“
Das konnte doch kein Zufall sein. Kaum hatte ich mich entschieden, bei meinem ersten offiziellen Traillauf teilzunehmen, kam keine 48 Stunden später eine SMS von Paul, einem Athleten von mir, den ich seit mittlerweile sechs Jahren betreue, ob ich mit ihm beim Andechs Trail laufen möchte. Mich hatte bislang nie jemand gefragt, ob ich bei einem Traillauf teilnehmen möchte. Straßenläufe, Crossläufe, Bahnwettkämpfe, Teamläufe, solche Wettbewerbe waren bislang Inhalte von Gesprächen, E-Mails oder SMS. Aber Trailläufe? Ich wusste, dass der Andechs Trail vor ein paar Jahren ins Leben gerufen wurde. Rund um das Kloster Andechs, wunderschön gelegen zwischen dem Ammersee und dem Starnberger See, werden verschiedene Streckenlängen angeboten, diverse Höhenmeter vom Kloster hinunter in Richtung Ammersee natürlich inklusive. Meist hatte ich bislang immer erst im Nachhinein von dieser Veranstaltung aus der Lokalzeitung erfahren, denn ich hatte mich nie ernsthaft mit diesem Wettbewerb befasst. Mir war bekannt, dass der Andechs Trail knapp 15 Kilometer lang ist und zwischen dem niedrigsten und höchsten Punkt der Strecke fast 100 Höhenmeter liegen. Es gibt auch einen „Beginner Trail“ mit etwas mehr als acht Kilometern, die Höhendifferenz beträgt ungefähr 50 Meter. Als ich mir die Homepage der Veranstaltung etwas genauer anschaute, sah ich, dass der Wettkampf 2016 ein Sichtungswettkampf für die Berglauf-EM in Italien war. Der Trainer der deutschen Berglauf-Nationalmannschaft hatte sich diesen Wettkampf ausgesucht, da die Berglauf-EM 2016 ein Bergab-Bergauf-Kurs war, so wie dies auch in Andechs der Fall ist. Diese Kursführung erfordert von den Bergläufern spezielle Anforderungen, denn das Bergablaufen ist nicht jedes Bergläufers Sache. Es gibt nicht wenige Bergläufer, die eine Teilnahme an solchen Bergläufen bereits im Vorfeld ausschließen, da das Bergablaufen nicht nur eine besondere Technik erfordert, sondern natürlich den Bewegungsapparat belastet, vor allem die Knie, aber auch Hüft- und Fußgelenke, in besonderem (ungesunden) Maße. Aus diesem Grund werden Berglauf-Weltmeisterschaften und Europameisterschaften turnusmäßig auf einem reinen Bergaufkurs oder eben auf einem Bergauf-Bergab-Kurs angeboten. Kein Wunder also, dass 2016 einige der besten deutschen Bergläufer am Andechs Trail teilgenommen hatten. So war die Siegerzeit von Maximilian Zeus mit 1:00:16 Stunden Extraklasse, aber auch die Teilnehmer auf den weiteren Plätzen waren alles namhafte Läufer, wobei diese nicht nur Berglaufspezialisten waren, sondern auch im Flachen schnelle Zeiten vorweisen konnten. Wenn 2017 dieser Wettkampf ähnlich gut besetzt sein würde, wäre dies sicherlich eine gute Möglichkeit um herauszufinden, ob ich ein wirklich so guter Trailläufer bin wie ich dachte. Im Augenblick gab es auf der Internetseite keine Hinweise darauf, doch eigentlich passte mir dieser Lauf überhaupt nicht in meine Saisonplanung. Für dieses Wochenende im April gab es sowieso schon eine Terminkollision, die bayerische Halbmarathonmeisterschaft in Augsburg und den Schaftlacher Waldlauf (im Rahmen der Oberland Challenge). Ich antwortete also Paul, der genauso wie ich in der Woche zuvor beim Silvesterlauf München teilgenommen hatte und dort mit 34:22 Minuten nicht nur eine neue Bestzeit gelaufen, sondern auch nur eine Minute langsamer als ich war. Ich schrieb, dass ich den Andechs Trail sehr interessant finde, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen kann, ob ich teilnehmen würde oder nicht, da ich erst mit unseren Vereinskameraden abklären müsse, ob wir möglicherweise bei den bayerischen Halbmarathonmeisterschaften eine Mannschaft stellen wollen oder nicht. Paul antwortete prompt und ärgerte sich ein wenig, sich so vorschnell angemeldet zu haben, denn er wäre auch gerne in Augsburg als Teil der Mannschaft gestartet. Ein Interessenskonflikt schien sich anzubahnen.
Trailschuhe, Trailsocken und blaue Zehennägel
Die nächste Woche stand ganz klar unter dem Motto „Laufen bei Schnee und Eis“. Bei den Dauerläufen ging es entweder immer durch knöcheltiefen Schnee oder man musste bei jedem Schritt aufpassen, nicht auszurutschen, da der Schnee entweder festgetreten war oder sich bereits Eis unter dem Neuschnee gebildet hatte. Für die Tempoläufe wichen meine Vereinskollegen und ich auf einen 1.200 Meter langen, schnurgeraden Rad- und Fußweg am Ortsrand aus, der nicht neben einer Straße entlangführt und von der Gemeinde fast immer geräumt und gestreut wird. Hier konnte ich gemeinsam mit meinen Vereinskameraden Nick und Lucas 6 x 1.200 m in ansprechendem Tempo (3:12 – 3:18 Min. / km) mit zwei Minuten Pause laufen. Leider taute es am Mittwoch und Donnerstag, ja es regnete sogar, sodass sich die 30 Zentimeter Pulverschnee in ekligen Matschschnee verwandelten. Man kann sich als Läufer fast keine widrigeren Bedingungen vorstellen, als in dieser zweiten Januarwoche im Jahr 2017: 2 °C, Regen, Wind mit Böen bis 80 km/h, knöcheltiefer Schneematsch. Den altbekannten Spruch mit den unpassenden Klamotten spare ich mir an dieser Stelle. Ich war für alle Wetterlagen ausgestattet, mehrere Handschuhe, Mützen, diverse Laufjacken, Wintertights, dicke und dünne Laufsocken, enganliegende Funktions-Thermo-Unterhemden, Laufshirts- und Pullis. Ja sogar mehrere Buffs (so etwas Ähnliches wie ein Schal, eben nur für Läufer und ohne Ende und Anfang) waren mein Eigentum. Einzig bei den Laufschuhen war ich für einen ambitionierten Leistungsläufer relativ, nennen wir es „eindimensional“ ausgestattet. Ich besaß zwar mindestens 6 – 7 Paar Laufschuhe, doch fast alle waren ganz normale Neutralschuhe, und natürlich war ein schneller Wettkampf- bzw. Trainingsschuh darunter. Seit diesem Sommer besaß ich aber immerhin einen Trailschuh. 37 Jahre lang hatte ich mich erfolgreich dagegen gewehrt, einen speziellen Laufschuh für das Laufen im Gelände zu kaufen. Ich war (und bin) nach wie vor der festen Überzeugung, dass man mit jedem normalen Laufschuh – mit „normal“ meine ich einen durchschnittlich gedämpften Laufschuh, mit dem man im Training einen Dauerlauf auf Asphalt oder Feldwegen macht – im Gelände laufen kann. Natürlich gibt es einige Läuferinnen und Läufer, die „schmerzfrei“ sind und sogar barfuß oder mit Barfußschuhen jeden Singletrail bewältigen. Spätestens seit „Born to run“ von Christopher McDougall wissen wir, dass man auch ohne Schuhe mit einfachen Ledersandalen ohne Probleme durch die Berge Mexikos laufen kann. Dies ist das eine Ende der Skala. Das andere Ende sind die vielen Traillauf-Schuhe, zunächst von Firmen auf den Markt gebracht, die aus dem Bereich Bergsport kommen, welche aber mittlerweile auch von den etablierten Laufschuhherstellern produziert werden. Diese Schuhe besitzen ein auffallend grobes Profil, sollen mit ihren Sohlen besseren Halt geben und sind sehr stabil. Manche Exemplare punkten zusätzlich mit verstärkten Nähten oder Schnürsenkeln und anderem Schnick-Schnack, um den anspruchsvollen Bedingungen im Gelände länger widerstehen zu können.
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