Karen Erbs
Kapitäne ohne Kurs
13 nordische Kurzkrimis und Love Stories
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Karen Erbs Kapitäne ohne Kurs 13 nordische Kurzkrimis und Love Stories Dieses ebook wurde erstellt bei
Der Schrei der Schleiereule
Auf dem Weg nach Friedrichstadt
Kapitäne ohne Kurs
Das Fräulein von Bornholm
Lisas Schweigen
Recherche für einen Küstenkrimi
Der dritte Zyklus
Ohne Suppe abserviert
Hausfrauenflohmarkt in Westerland
Laras erster Tag
Marianne und der schöne Kunde
Zwei Schwestern vor dem Swinger-Club
Kino der Windschutzscheibe
Impressum neobooks
Der Schrei der Schleiereule
Jenny fühlte sich schmutzig. Ein klebriger Schweißfilm bedeckte ihren Körper. Überall kribbelte und juckte es, als habe sich eine Großkolonie von winzigen Insekten auf ihr niedergelassen, um sie in den Wahnsinn zu treiben.
Erschöpft schloss sie für einige Sekunden die Augen. Jede kleine Luftbewegung trug den süßen Duft des wuchernden Geißblattes mit sich.
Durch den dünnen Stoff ihres Baumwollkleides spürten Jennys Hände an ihrem hochschwangeren Bauch den Bewegungen ihres Babys nach. Obwohl es schon nach 22 Uhr war, und die untergehende Sonne den Himmel bereits dunkelblau und lila-rosa eingefärbt hatte, hielt sich das Thermometer auf der Terrasse noch bei 25 Grad.
An Jennys Ohr surrte eine angriffslustige Mücke, die sie mit einer trägen Handbewegung verscheuchte. Danach zirpten nur noch die Grillen, bis weit entfernt ein Käuzchen mit seinem melancholischen Rufen in das Nachtkonzert einfiel.
Für einen kurzen Moment empfand Jenny eine friedliche Entspannung. Atmete tief durch und war vielleicht schon am Einschlummern, als plötzlich die sexy Stimme von Brian Adams zu hören war, der unbedingt mit seiner Angebeteten eine unvergessliche Nacht erleben wollte, die von Januar bis Dezember andauern sollte. Auch der Ausruf ihrer Freundin Fiona durchbrach die Stille: „Yeah! - Das wurde aber auch Zeit, mein Süßer. Ich war ja schon am Einschlafen. Nun machen wir mal Butter bei die Fische.“
Jenny schüttelte langsam ihren Kopf und suchte im schwachen Licht der Dämmerung den Augenkontakt zu ihrer Freundin, die sie nur kurz breit angrinste und die Augenbrauen mehrmals hochzog. Dann wandte sie sich dem Display ihres Handys zu, um die SMS zu lesen.
Den ganzen Abend hatte Jenny versucht, Fiona das Blind Date in Schleswig auszureden. Als es immer später wurde, hatte sie eigentlich gehofft, der Typ würde sich nicht mehr melden. Nun wollte sie noch einen letzten Versuch starten, um Fiona zu warnen, doch ihre Freundin kam ihr zuvor: „Punkt Mitternacht erwartet er mich im Hotel. Dann bleibt ja gerade noch Zeit, um zu duschen.“
„Oh, nein! Das kann nicht wirklich dein Ernst sein. Willst du unbedingt ein Fall für Stefan werden, wenn …“
Fiona unterbrach sie gnadenlos. „Komm Jenny, lass mir doch meinen Spaß. Du weißt ja überhaupt nicht, wie aufregend und sympathisch der Typ klingt. Nur weil dein Göttergatte bei der Kripo ist, musst du doch nicht hinter jedem Mann, der Lust auf einen One-Night-Stand hat, gleich einen Mörder vermuten.“
„Fiona, du weißt nicht mal, wie der Typ aussieht!“
„Ja, geil, nicht wahr? Und wenn es klappt, weiß ich es auch nicht, wenn ich dort wieder abhaue. Ist das nicht spannend? Ich verschwinde mal kurz unter der Dusche.“
Jenny fiel dazu nichts ein. Seit Fionas langjähriger Freund sie plötzlich verlassen hatte, weil er mit einer anderen zusammen ein Kind erwartete, schien ihre Freundin auf einem ganz seltsamen Trip der Selbstzerrstörung. Zunächst hatte sie wieder mit dem Rauchen begonnen. Sport betrieb Fiona exzessiver als zuvor und irgendwann fing sie an, in schrägen Foren zu surfen und einen Haufen wildfremder Männer zu treffen. Zum Glück, bisher, hintereinander. Aber woher konnte Jenny wissen, ob Fiona ihr alles erzählte. War ja wirklich nicht ihre Pflicht und manchmal war es Jenny auch eher unangenehm. Auf sie machte das alles den Eindruck, als wolle Fiona krampfhaft beweisen, sie brauche niemanden.
In ihrer jetzigen Situation hatte Jenny manchmal sogar ein schlechtes Gewissen ihrer Freundin gegenüber, weil bei ihr alles so gut und harmonisch lief. Auch die anstrengenden Dienstzeiten Stefans hatten ihre perfekte Partnerschaft nie aus dem Gleichgewicht gebracht. Das erste Baby krönte eine glückliche Ehe, die sie seit Jahren hier in Silberstedt an der engsten Stelle zwischen Nord- und Ostsee auf dem Lande verbrachte. Sie hatte ihren Meister geschafft und würde irgendwann den Betrieb ihres Vaters übernehmen. Das alte Bauernhaus war fast fertig renoviert und das neue Kinderzimmer ein kleiner Traum in Grüngelb und mit vielen kleinen Holzmöbeln, die Jenny in der Tischlerei ihres Vaters, selbst angefertigt hatte. Wenn sie einen Labrador hätten und nicht nur drei Katzen, wären sie die perfekte Familie für einen TV-Werbespot.
Als eine Schleiereule weiß und lautlos, wie ein kleines Gespenst über sie hinweg schwebte, um in einer der beiden riesigen Eichen zu landen, die an der Einfahrt auf das Grundstück wachten, schloss Jenny wieder die Augen.
Natürlich musste sie sich nicht wirklich Sorgen um Fiona machen. Sie war eine erwachsene Frau und niemandem Rechenschaft schuldig über ihre Abenteuer. Aber es wäre schön gewesen, wenn sie die Nacht nicht hätte allein verbringen müssen. Ihre Stimmungsschwankungen waren in den letzten Tagen doch stärker geworden. Mal fürchtete sie sich vor der Geburt. Dann war sie sicher, Stefan könnte etwas bei seiner Arbeit passieren, und sie würde dann das Kind allein durchbringen müssen. Dabei hatte sie doch ihre Eltern! Aber ihr Nervenkostüm schwächelte in den Monaten der Schwangerschaft zunehmend. Auch Stefan zog sich oft genervt zurück.
Manchmal kamen ihr sogar Befürchtungen, sie könnten nie wieder so wunderbar entspannten Sex haben wie in den ersten Jahren, wenn das kleine neue Zauberwesen erst einmal im Kinderzimmer war.
Jenny seufzte und streichelte wieder behutsam ihren Kugelbauch: „Alles wird gut Baby. Deine Mutti ist nur etwas seltsam drauf, das macht vielleicht auch die Hitze.
„Natürlich wird alles gut mit meinem Patenkind.“ Fiona baute sich vor ihr auf und drehte sich um ihre eigene Achse. „Na, sehe ich zum Anbeißen aus oder bin ich nur einfach wunderbar?“
Jenny runzelte ihre Stirn. „Äh, warum ist das wichtig! Ich denke, ihr seht euch vorher nicht und trefft euch im völlig abgedunkelten Hotelzimmer?“
„Och, Jenny! Sei keine Spielverderberin!“
„Okay, das Kleid sieht natürlich sexy aus. Höhere Absätze konntest du ja wohl kaum finden. Und dein Top ist absolut der Hammer. So wirst du eine wunderschöne Leiche abgeben.“
Gnadenlos schlug Jenny eine Mücke auf ihrem linken Unterarm tot und beseitigte die verschmierten Leichenreste.
„Die einzige eiskalte Mörderin, die heute Nacht unterwegs ist, sitzt hier vor mir und killt arme kleine Viecher, die auch nur ums Überleben kämpfen.“
„Du hast gut reden. Dein Blut mögen sie ja nicht. Du bist nicht so begehrenswert, wie du denkst. Außerdem bist du völlig herzlos und verlässt deine beste Freundin in einer ihrer schwersten Nächte, damit sie allein gelassen von der ganzen ... äh … weiten Welt mit geschwollenen Füßen und geschwollenem Bauch … äh … ihrer einsamen Niederkunft entgegen brüten kann!“
Fiona prustete los: „So ein Glück, dass du keine Romane schreibst. Dein Baby kommt erst in zwei Wochen, und dann hat Stefan doch einige Tage frei - also erzähle mir nichts! Du gönnst mir nur nicht meinen Spaß. Ich muss jetzt los, Süße. Halt die Ohren steif, was anderes haben wir Mädels ja nicht! Aber ich hoffe ja, dass mein Überraschungsmann heute Abend …“
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