Stefan Zweig - Marie Antionette

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Marie-Antoinette (* 2. November 1755 in Wien; † 16. Oktober 1793 in Paris) wurde als Erzherzogin Maria Antonia von Österreich geboren. Durch Heirat mit dem Thronfolger Ludwig August wurde sie am 16. Mai 1770 Dauphine von Frankreich. Nach der Thronbesteigung ihres Gatten als Ludwig XVI. war sie vom 10. Mai 1774 an Königin von Frankreich und Navarra, nach der Französischen Revolution vom 4. September 1791 bis zum 10. August 1792 Königin der Franzosen. Anfänglich beliebt, wurde sie schon unter dem Ancien Régime Zielscheibe gehässiger Propaganda, die sich nicht nur gegen den Aufwand des Hofes, sondern auch gegen das Bündnis Frankreichs mit Österreich und gegen Reformversuche im Geist des aufgeklärten Absolutismus richtete. Neun Monate nach ihrem Gatten starb sie auf dem Schafott.

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Als Kind schon schenkt sie ihr einen Kaiserhof als Haus, der Halbwüchsigen eine Krone, der jungen Frau häuft sie verschwenderisch alle Gaben der Anmut, des Reichtums zu und gibt ihr überdies ein leichtes Herz, das nicht fragt nach Preis und Wert dieser Gaben. Jahrelang verwöhnt sie, verzärtelt sie dieses unbedachte Herz, bis ihm die Sinne schwinden und es immer sorgloser wird. Aber so rasch und leicht das Schicksal diese Frau auf die höchsten Höhen des Glücks emporreißt: um so raffiniert grausamer, um so langsamer läßt es sie dann fallen. Mit melodramatischer Kraßheit stellt dieses Drama die äußersten Gegensätze Stirn an Stirn; es stößt sie aus einem hundertzimmerigen Kaiserhause in ein erbärmliches Gefängnisgelaß, vom Königsthron auf das Schafott, aus der gläsern-goldenen Karosse auf den Schinderkarren, aus dem Luxus in die Entbehrung, aus Weltbeliebtheit in den Haß, aus Triumph in die Verleumdung, immer tiefer und tiefer und unerbittlich bis in die letzte Tiefe hinab. Und dieser kleine, dieser mittlere Mensch, plötzlich inmitten seiner Verwöhntheit überfallen, dieses unverständige Herz, es begreift nicht, was die fremde Macht mit ihm vorhat, es spürt nur eine harte Faust an sich kneten, eine glühende Kralle im gemarterten Fleisch; dieser ahnungslose Mensch, unwillig und ungewohnt alles Leidens, wehrt sich und will nicht, er stöhnt, er flüchtet, er sucht zu entkommen. Aber mit der Unerbittlichkeit eines Künstlers, der nicht abläßt, ehe er nicht seinem Stoff die höchste Spannung, die letzte Möglichkeit entrungen, läßt die wissende Hand des Unglücks nicht von Marie Antoinette, ehe sie diese weiche und unkräftige Seele nicht zu Härte und Haltung gehämmert, ehe sie nicht alles, was von Eltern und Urahnen an Größe in ihrer Seele verschüttet lag, plastisch herausgezwungen hat. Aufschreckend in ihrer Qual erkennt endlich die geprüfte Frau, die nie nach sich gefragt, die Verwandlung; sie spürt, gerade da ihre äußere Macht zu Ende geht, daß in ihr innen etwas Neues und Großes beginnt, das ohne jene Prüfung nicht möglich gewesen wäre. »Erst im Unglück weiß man wahrhaft, wer man ist«, diese halb stolzen, halb erschütterten Worte springen ihr plötzlich vom staunenden Munde: eine Ahnung überkommt sie, daß eben durch dieses Leiden ihr kleines mittleres Leben als Beispiel für die Nachwelt lebt. Und an diesem Bewußtsein höherer Verpflichtung wächst ihr Charakter über sich selber hinaus. Kurz bevor die sterbliche Form zerbricht, ist das Kunstwerk, das überdauernde, gelungen, denn in der letzten, der allerletzten Lebensstunde erreicht Marie Antoinette, der mittlere Mensch, endlich tragödisches Maß und wird so groß wie sein Schicksal.

Ein Kind wird verheiratet

Jahrhunderte lang haben Habsburg und Bourbon auf Dutzenden deutscher, italienischer, flandrischer Schlachtfelder um die Vorherrschaft Europas gerungen; endlich sind sie müde, alle beide. In zwölfter Stunde erkennen die alten Rivalen, daß ihre unersättliche Eifersucht nur andern Herrscherhäusern den Weg freigekämpft hat; schon greift von der englischen Insel ein Ketzervolk nach dem Imperium der Welt, schon wächst die protestantische Mark Brandenburg zu mächtigem Königtum, schon bereitet sich das halbheidnische Rußland vor, seine Machtsphäre ins Unermeßliche auszudehnen; wäre es nicht besser, so beginnen sich – wie immer zu spät – die Herrscher und ihre Diplomaten zu fragen, man hielte miteinander Frieden, statt abermals und abermals zugunsten ungläubiger Emporkömmlinge das verhängnisvolle Kriegsspiel zu erneuern? Choiseul am Hofe Ludwigs XV., Kaunitz als Berater Maria Theresias schmieden ein Bündnis, und damit es sich dauerhaft und nicht bloß als Atempause zwischen zwei Kriegen bewähre, schlagen sie vor, die beiden Dynastieen Habsburg und Bourbon sollten sich durch Blut binden. An heiratsfähigen Prinzessinnen hat es im Hause Habsburg zu keiner Zeit gefehlt; auch diesmal steht eine reichhaltige Auswahl aller Alterslagen bereit. Zuerst erwägen die Minister, Ludwig XV. trotz seines großväterlichen Standes und seiner mehr als zweifelhaften Sitten mit einer habsburgischen Prinzessin zu vermählen, aber der Allerchristlichste König flüchtet rasch aus dem Bett der Pompadour in das einer andern Favoritin, der Dubarry. Auch Kaiser Joseph, zum zweitenmal verwitwet, zeigt keine rechte Neigung, sich mit einer der drei altbackenen Töchter Ludwigs XV. verkuppeln zu lassen – so bleibt als natürlichste Verknüpfung die dritte, den heranwachsenden Dauphin, den Enkel Ludwigs XV. und zukünftigen Träger der französischen Krone, mit einer Tochter Maria Theresias zu verloben. 1766 kann die damals elfjährige Marie Antoinette bereits als ernstlich vorgeschlagen gelten; ausdrücklich schreibt der österreichische Botschafter am 24. Mai an die Kaiserin: »Der König hat sich in einer Art und Weise ausgesprochen, daß Eure Majestät das Projekt schon als gesichert und entschieden betrachten können.« Aber Diplomaten wären nicht Diplomaten, setzten sie nicht ihren Stolz daran, einfache Dinge schwierig zu machen, und vor allem, jede wichtige Angelegenheit kunstvoll zu verzögern. Intrigen von Hof zu Hof werden eingeschaltet, ein Jahr, ein zweites, ein drittes, und Maria Theresia, nicht mit Unrecht argwöhnisch, fürchtet, ihr ungemütlicher Nachbar, Friedrich von Preußen, »le monstre«, wie sie ihn in herzhafter Erbitterung nennt, werde schließlich auch noch diesen für Österreichs Machtstellung so entscheidenden Plan mit einer seiner machiavellistischen Teufeleien durchkreuzen; so wendet sie alle Liebenswürdigkeit, Leidenschaft und List an, um den französischen Hof aus dem halben Versprechen nicht mehr herauszulassen. Mit der Unermüdlichkeit einer berufsmäßigen Heiratsvermittlerin, mit der zähen und unnachgiebigen Geduld ihrer Diplomatie läßt sie immer wieder die Vorzüge der Prinzessin nach Paris melden; sie überschüttet die Gesandten mit Höflichkeiten und Geschenken, damit sie endlich aus Versailles ein bindendes Eheangebot heimholen; mehr Kaiserin als Mutter, mehr auf die Mehrung der »Hausmacht« bedacht als auf das Glück ihres Kindes, läßt sie sich auch durch die warnende Mitteilung ihres Gesandten nicht abhalten, die Natur habe dem Dauphin alle Gaben versagt: er sei von sehr beschränktem Verstand, höchst ungeschlacht und völlig gefühllos. Aber wozu braucht eine Erzherzogin glücklich zu werden, wenn sie nur Königin wird? Je hitziger Maria Theresia auf Pakt und Brief drängt, desto überlegener hält der weltkluge König Ludwig XV. zurück; drei Jahre lang läßt er sich Bilder und Berichte über die kleine Erzherzogin schicken und erklärt sich grundsätzlich dem Heiratsplan geneigt. Aber er spricht nicht das erlösende Werbungswort, er bindet sich nicht.

Das ahnungslose Unterpfand dieses wichtigen Staatsgeschäftes, die elfjährige, die zwölfjährige, die dreizehnjährige Toinette, zart gewachsen, anmutig, schlank und unbezweifelbar hübsch, tollt und spielt unterdessen mit Schwestern und Brüdern und Freundinnen temperamentvoll in den Zimmern und Gärten von Schönbrunn; mit Studien, Büchern und Bildung befaßt sie sich wenig. Ihre Gouvernanten und die Abbés, die sie erziehen sollen, versteht sie mit ihrer natürlichen Liebenswürdigkeit und quecksilbernen Munterkeit so geschickt um den Finger zu wickeln, daß sie allen Schulstunden entwischen kann. Mit Schrecken bemerkt eines Tages Maria Theresia, die sich bei der Fülle der Staatsgeschäfte nie um ein einzelnes Stück ihrer Kinderherde sorgfältig bekümmern konnte, daß die zukünftige Königin von Frankreich mit dreizehn Jahren weder Deutsch noch Französisch richtig zu schreiben versteht und nicht einmal mit den oberflächlichsten Kenntnissen in Geschichte und allgemeiner Bildung behaftet ist; mit den musikalischen Leistungen steht es nicht viel besser, obwohl kein Geringerer als Gluck ihr Klavierunterricht gab. In zwölfter Stunde soll jetzt das Versäumnis nachgeholt, die verspielte und faule Toinette zur gebildeten Dame heranerzogen werden. Wichtig für eine zukünftige Königin von Frankreich ist vor allem, daß sie anständig tanzt und mit gutem Akzent Französisch spricht; zu diesem Zweck engagiert Maria Theresia eiligst den großen Tanzmeister Noverre und zwei Schauspieler einer in Wien gastierenden französischen Truppe, den einen für die Aussprache, den andern für Gesang. Aber kaum meldet dies der französische Gesandte dem bourbonischen Hof, als schon ein entrüsteter Wink aus Versailles kommt: eine zukünftige Königin von Frankreich dürfe nicht von Komödiantenpack unterrichtet werden. Hastig werden neue diplomatische Verhandlungen eingeleitet, denn Versailles betrachtet die Erziehung der vorgeschlagenen Braut des Dauphins bereits als eigene Angelegenheit, und nach langem Hin und Her wird auf Empfehlung des Bischofs von Orléans ein Abbé Vermond als Erzieher nach Wien gesandt; von ihm besitzen wir die ersten verläßlichen Berichte über die dreizehnjährige Erzherzogin. Er findet sie reizend und sympathisch: »Mit einem entzückenden Antlitz vereint sie alle erdenkbare Anmut der Haltung, und wenn sie, wie man hoffen darf, etwas wächst, wird sie alle Reize haben, die man für eine hohe Prinzessin wünschen kann. Ihr Charakter und ihr Gemüt sind ausgezeichnet.« Bedeutend vorsichtiger äußert sich jedoch der brave Abbé über die tatsächlichen Kenntnisse und die Lernfreude seiner Schülerin. Verspielt, unaufmerksam, ausgelassen, von einer quecksilberigen Munterkeit, hat die kleine Marie Antoinette trotz leichtester Auffassung nie die geringste Neigung gezeigt, sich mit irgendeinem ernsten Gegenstand zu beschäftigen. »Sie hat mehr Verstand, als man lange bei ihr vermutet hat, doch leider ist dieser Verstand bis zum zwölften Jahre an keine Konzentration gewöhnt worden. Ein wenig Faulheit und viel Leichtfertigkeit haben mir den Unterricht bei ihr noch erschwert. Ich begann während sechs Wochen mit den Grundzügen der schönen Literatur, sie faßte gut auf, urteilte richtig, aber ich konnte sie nicht dazu bringen, tiefer in die Gegenstände einzudringen, obwohl ich fühlte, daß sie die Fähigkeiten dazu hätte. So sah ich schließlich ein, daß man sie nur erziehen kann, indem man sie gleichzeitig unterhält.«

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