dort seine Braut zu holen. Das letztere war natürlich Lüge.
Es war alle Ursache vorhanden, anzunehmen, daß der Arzt seinen Patienten entführt habe, um sich in den
Besitz großer Summen zu setzen. William war den hervorragendsten Geldmännern seiner Branche
persönlich bekannt und konnte von ihnen erhalten, so viel ihm nur beliebte. Infolgedessen galt es, sich
des Verführers zu bemächtigen und den Kranken nach Hause zu bringen. Die Lösung dieser Aufgabe
wurde mir anvertraut. Ich erhielt die nötigen Vollmachten und Anweisungen, auch eine Photographie von
William Ohlert, und dampfte zunächst nach Cincinnati ab. Da Gibson mich kannte, so nahm ich auch
diejenigen Requisiten mit, deren ich bedurfte, wenn ich in die Lage kommen sollte, mich durch
Verkleidung unkenntlich zu machen.
In Cincinnati suchte ich den betreffenden Bankier auf und erfuhr von ihm, daß Gibson sich wirklich bei
William Ohlert befunden habe. Von da ging es nach Louisville, wo ich in Erfahrung brachte, daß die
beiden sich Billetts nach St. Louis genommen hatten. Natürlich reiste ich nach, fand aber erst nach
längerem und angestrengtem Suchen ihre Spur. Hierbei war mir mein alter Mr. Henry behilflich; denn es
versteht sich ganz von selbst, daß ich ihn sofort aufsuchte. Er war nicht wenig erstaunt, mich als
Detektive zu sehen, bedauerte den Verlust, den ich durch den Schiffbruch erlitten hatte, auf das
lebhafteste und nahm mir, als wir uns trennten, das Versprechen ab, nach Lösung meiner jetzigen
Aufgabe meine Stellung aufzugeben und nach dem wilden Westen zu gehen. Ich sollte dort sein neu
erfundenes Repetiergewehr probieren, und den Bärentöter wollte er mir auch aufheben.
Ohlert und Gibson waren auf einem Mississippidampfer nach New Orleans gefahren, wohin ich ihnen
folgen mußte. Ohlert sen. hatte mir ein Verzeichnis derjenigen Geschäftshäuser gegeben, mit denen er in
Verbindung stand. In Louisville und St. Louis war ich zu den Betreffenden gegangen und hatte erfahren,
daß William bei ihnen gewesen sei und Geld erhoben habe. Dasselbe hatte er auch in New Orleans bei
zwei Geschäftsfreunden getan; die übrigen warnte ich und bat sie, sofort zu mir zu schicken, falls er noch
kommen werde.
Das war alles, was ich erfahren hatte, und nun stak ich mitten in der Brandung der Menschenwogen,
welche die Straßen von New Orleans durchfluten. Wie sich ganz von selbst versteht, hatte ich mich an die
Polizei gewendet und konnte nun weiter nichts tun, als abwarten, welchen Erfolg die Hilfe dieser Leute
haben werde. Um nicht ganz untätig zu bleiben, trieb ich mich suchend in dem Gewühl herum. Vielleicht
kam mir ein günstiger Zufall zu statten.
New Orleans hat einen ganz entschieden südlichen Charakter, besonders in seinen älteren Teilen. Da gibt
es schmutzige, enge Straßen mit Häusern, die mit Laubenvorbauten und Balkons versehen sind. Dorthin
zieht sich dasjenige Leben zurück, welches das Licht des Tages zu scheuen hat. Da sind alle möglichen
Gesichtsfarben vom krankhaften gelblichen Weiß bis zum tiefsten Negerschwarz vertreten.
Leierkastenmänner, ambulante Sänger und Gitarrespieler produzieren ihre ohrenzerreißenden Leistungen.
Männer schreien, Frauen kreischen; hier zerrt ein zorniger Matrose einen scheltenden Chinesen am Zopfe
8
hinter sich her; dort balgen sich zwei Neger, von einem Kreise lachender Zuschauer umgeben. An jener
Ecke prallen zwei Packträger zusammen, werfen sofort ihre Lasten ab und schlagen wütend aufeinander
los. Ein dritter kommt dazu, will Frieden stiften und bekommt nun von beiden die Hiebe, welche
ursprünglich nicht für ihn bestimmt waren.
Einen bessern Eindruck machen die vielen kleinen Vorstädtchen, welche aus netten Landhäusern
bestehen, die sämtlich von sauberen Gärten umfriedet sind, in denen Rosen, Stechpalmen, Oleander,
Birnen, Feigen, Pfirsiche, Orangen und Zitronen wachsen. Dort findet der Bewohner die ersehnte Ruhe
und Beschaulichkeit, nachdem ihn der Lärm der Stadt umtobt hat.
Am Hafen geht es natürlich am regsten zu. Da wimmelt es förmlich von Schiffen und Fahrzeugen aller
Arten und Größen. Da hegen riesige Wollballen und Fässer aufgestapelt, zwischen denen sich Hunderte
von Arbeitern bewegen. Man könnte sich auf einen der Baumwollenmärkte Ostindiens versetzt denken.
So wanderte ich durch die Stadt und hielt die Augen offen - vergeblich. Es war Mittag und sehr heiß
geworden. Ich befand mich in der schönen, breiten Common-Street, als mir das Firmenschild einer
deutschen Bierstube in die Augen fiel. Ein Schluck Pilsener in dieser Hitze konnte nichts schaden. Ich
ging hinein.
Welcher Beliebtheit sich schon damals dieses Bier erfreute, konnte ich aus der Menge der Gäste ersehen,
welche in dem Lokale saßen. Erst nach langem Suchen sah ich einen leeren Stuhl, ganz hinten in der
Ecke. Es stand da ein kleines Tischchen mit nur zwei Sitzplätzen, deren einen ein Mann eingenommen
hatte, dessen Äußeres wohl geeignet gewesen war, die Besucher von der Benutzung des zweiten Platzes
abzuschrecken. Ich ging nichtsdestoweniger hin und bat um die Erlaubnis, mein Bier bei ihm trinken zu
dürfen.
Über sein Gesicht ging ein fast mitleidiges Lächeln. Er musterte mich mit prüfendem, beinahe
verächtlichem Blicke und fragte:
»Habt Ihr Geld bei Euch, Master?«
»Natürlich!« antwortete ich, mich über diese Frage wundernd.
»So könnt Ihr das Bier und auch den Platz, den Ihr einnehmen wollt, bezahlen?«
»Ich denke es. »
» Well, warum fragt Ihr da nach meiner Erlaubnis, Euch zu mir setzen zu können? Ich kalkuliere, daß Ihr
ein Dutchman seid, ein Greenhorn hierzulande. Der Teufel sollte einen jeden holen, der es wagen wollte,
mich zu verhindern, da Platz zu nehmen, wo es mir gefällt! Setzt Euch also nieder; legt Eure Beine dahin,
wo es Euch beliebt, und gebt demjenigen, der es Euch verbieten will, sofort eins hinter die Ohren!«
Ich gestehe aufrichtig, daß die Art und Weise dieses Mannes mir imponierte. Ich fühlte, daß meine
Wangen sich gerötet hatten. Streng genommen, waren seine Worte beleidigend für mich, und ich hatte
das dunkle Gefühl, daß ich sie mir nicht gefallen lassen dürfe und wenigstens einen Versuch der Abwehr
machen müsse. Darum antwortete ich, indem ich mich niedersetzte:
»Wenn Ihr mich für einen German haltet, so habt Ihr das Richtige getroffen, Master; die Bezeichnung
Dutchman aber muß ich mir verbitten, sonst sehe ich mich gezwungen, Euch zu beweisen, daß ich eben
kein Greenhorn bin. Man kann höflich und doch dabei ein alter Schlaukopf sein.«
» Pshaw!« meinte er gleichmütig. »Ihr seht mir just nicht so schlau aus. Gebt Euch keine Mühe, in Zorn
zu kommen; es würde zu nichts führen. Ich habe es nicht bös mit Euch gemeint und wüßte faktisch nicht,
wie Ihr es anfangen wolltet, Euch mir gegenüber ein Relief zu geben. Old Death ist nicht der Mann, der
sich durch eine Drohung aus seinem Gleichmute bringen läßt.«
9
Old Death! Ah, dieser Mann war Old Death! Ich hatte von diesem bekannten, ja berühmten Westmanne
oft gehört. Sein Ruf war an allen Lagerfeuern jenseits des Mississippi erklungen und auch bis in die
Städte des Ostens gedrungen. Wenn nur der zehnte, der zwanzigste Teil dessen, was man von ihm
erzählte, auf Wahrheit beruhte, so war er ein Jäger und Pfadfinder, vor welchem man den Hut ziehen
mußte. Er hatte sich ein ganzes Menschenalter lang im Westen umhergetrieben und war trotz der
Gefahren, denen er sich ausgesetzt hatte, niemals verwundet worden. Darum wurde er von denen, welche
Читать дальше