8. Kapitel - Die Straße
Plötzlich sprang Harry auf, seine Sachen, sie waren noch in ihrem Auto, der Whiskey, und was hatte sie noch gleich gesagt? Zweimal abgelehnt? Diese kleine Wichtigtuerin, die nehm ich mir vor. Hier stimmt etwas nicht. Er rannte auf die Straße. Leute vorbeischieben, drängeln, das konnte er selbst auch ganz gut, das aggressive Hupen überhörte er glatt, ihr Auto sah er schnell, nur nicht sie, als er sie dann fast umrannte und sie leicht aufschreiend die Arme hob, entfuhr ihm nur ein „Gottseidank, dass ich Sie noch antreffe. Bitte, so können wir doch nicht auseinander gehen, geben Sie mir noch eine Chance!“ Susan musste sich noch ein paarmal bitten lassen, aber seine Entschlossenheit zeigte ihr, dass sie ruhig ein wenig bockig und ärgerlich auf sich selbst sein durfte, bevor sie beide erneut im nächsten Café landeten - und richtig - als Harry schon glaubte, sein Bitten und Betteln würde nicht erhört, machte sie nur eine einzige Bewegung. Sie öffnete die Wagentür:
„Aber diesmal nehmen Sie Ihre Sachen lieber gleich mit!“
9. Kapitel - Das Lachen
Jeff Rebound war genau das Gegenteil von dem, was man sich unter einem Mann vorstellte, der eine solch große Firma leitet, mit dem Grundprinzip, dass man sich bei Krankheit innerhalb von 30 Tagen wieder erholen musste, um zur Verfügung zu stehen und damit am Leben zu bleiben. Jeff Rebound war fett und übergewichtig, was bei ihm zwei verschiedene Dinge zu sein schienen. Er trank gerne sehr viel und rauchte leidenschaftlich Zigarren. Er liebte Knopfwesten und seine flache Klappuhr, die er mit einem Kettchen immer bei sich trug. Wenn er das Ding in der Hand hatte, lobte er gerne auch nach dem hundertsten Mal den wundervoll gearbeiteten Mechanismus ihres Uhrwerks, so leidenschaftlich, als hätte er diesen gerade erst entdeckt oder die Uhr neu erstanden. Dann sprach er von kleinen Rädchen und Teilchen, die so winzig wären, und signalisierte mit seinen feinmotorisch etwas ungelenken dicken Fingern kleine Drehbewegungen, und er sagte dann schon mal unaufgefordert, unterstützend mit einem kleinen Schubser: „Digital kann doch jeder!“ Dann schmunzelte er fröhlich, und alle schmunzelten mit. In einer kleinen schmierigen Autowerkstatt mochte man sich diesen Mann gerne vorstellen, aber nicht als einen eher heiteren fröhlichen Boss, der den Boss zu zeigen ab und zu als nötig befand, denn eigentlich waren alle Mitarbeiter seine `Kinder, Freunde´ und was nicht alles. Wenn er redete, glaubte man am Ende immer, ihm dafür danken zu müssen, selbst ein Teil dieser Firma zu sein. Seine kleinen deftigen Witzchen ließ man als ein Zeichen von Gutgelauntheit über sich ergehen. Seine Schreiwutanfälle hatten bereits Berühmtheit erlangt. Er konnte schreien und sich dabei mit den Backen seines hochroten Babygesichts so weit aufplustern, dass man bereits fürchten musste, gleich die Fetzen seiner zerplatzten Existenz von den Wänden kratzen zu müssen. Er lachte gerne mit einem schmalmündigen Schmunzeln über das gesamte Gesicht und seine Kinderliebe erschien einigen schon fast verdächtig, aber eins war klar: Seine zwei Leitsprüche galten in der Firma, und sie waren seine Bibel. Wenn mal wieder die Kacke am Dampfen war, so erinnerte er schließlich das versammelte Auditorium daran, sich mal wieder innerlich zu sammeln, mit der feierlichen Bemerkung: `Ein Tag ist ein Tag, dass man ihn lebt. Eine Woche ist eine Woche, dass man sie lebt. Ein Monat ist ein Monat..., so meine Herren und Damen, merken Sie sich das gut - und jetzt sind Sie dran!´ Ansonsten hatte er des Öfteren auf dem Flur seinen zweiten, eher unscheinbaren Leitspruch auf den Lippen: `Bleibt sauber, dann versucht auch keiner, Euch zu säubern!´
10. Kapitel – The Rebound Effect
Sie hatten das gleiche Café gewählt wie zuvor und den gleichen Fensterplatz ergattert. „Nun, ich will ehrlich sein!“ begann Susan: „Ich bin zweimal im Vorstellungsgespräch durchgerasselt, bei Rebound, sie wollten mir nur einen Zeitvertrag geben, als Springer.“ Harry spürte wie sich in ihm etwas verkrümmte und verknotete, jetzt war es aber genug: „Hören Sie, Susan!“ er wurde leicht sauer, sie nahm das als Zeichen, dass er sie mochte und kicherte innerlich. „Entweder wir spielen hier mit offenen Karten oder -vergessen Sie‘s.“ „Aber ja!“ nickte sie verständnisvoll und nahm eine ihre Ernsthaftigkeit unterstreichende gerade Haltung ein. „Sie wissen ganz genau, jeder weiß, dass es bei Rebound nur einen einzigen Test gibt. Zeitverträge existieren nicht. Hören Sie auf, erzählen Sie mir keinen Blödsinn. Rebound ist keine Sekte oder so etwas, das Unternehmen Rebound Effect nimmt jeden. Er muss lediglich bereit sein, die Vertragsbedingungen zu akzeptieren. Jeder wird genommen, egal welche Vorkenntnisse, egal welche besonderen oder nicht vorhandenen Fähigkeiten. So einfach ist das.“ Susan sah ihn nun ernst an, er konnte spüren, wie ihr ein wenig die Überlegenheit entglitt, aha, Schale geknackt, jetzt kommt das Kätzchen zur Sache, aber ich sollte weiter vorsichtig sein. Sie hatte für ihn etwas Unwirkliches von dem er befürchtete, dass er damit nicht klar kommen könnte, war er etwa verliebt? Das bloß nicht, es musste um jeden Preis verhindert werden, so was kann ich zurzeit nicht gebrauchen, dachte er, als ob man Liebe verhindern könnte. Er entschied sich, dem entgegenzuwirken und einen Ton von größerer Sachlichkeit anzuschlagen, fast geschäftlich. Also gut, er erklärte es Ihr noch einmal: „Sehen Sie Susan, die Firma Rebound Effect hat ein einfaches Finanzierungskonzept entwickelt: Die Mitarbeiter bezahlen keine Rentenbeiträge und keine Krankenversicherung, mit diesen entfallenden Nebenkosten kann die Firma Arbeits-plätze sichern, viel höhere Gehälter auszahlen, teilweise das Dreifache des Üblichen und sogar Prämienausschüttungen als zusätzliche Anreize vornehmen. Die Angestellten erhalten ab dem 65. Lebensjahr keine Rente, sondern scheiden aus dem Leben aus. Dasselbe geschieht mit jedem, der 30 Tage krank ist und nach diesem Zeitraum der Firma nicht mehr zur Verfügung steht. Alles vertraglich vereinbart im Einverständnis und Wissen der Mitarbeiter. Dadurch gibt es keine Rentenauszahlung und folglich auch keine Rente. Genauso entfällt auch eine über das Arbeitsverhältnis hinausgehende Zukunftsplanung, etwa das Anhäufen von Erspartem.“ Er lehnte sich entspannt zurück, wie jemand der einen todsicheren Tip zu vergeben hat. „Eben ein perfektes Finanzierungssystem!“ Susan war sprachlos, sie sah ihn entsetzt an. Er musste eine Sprechpause einlegen und fand dann auch, dass er alles wesentliche gesagt hatte, all die kleinen Nebendetails, die ihm noch im Kopf rumschwirrten, dass Rebound zwar einen festen Sitz hatte, aber fast alle Arbeitsbereiche durch Außenstellen in allen möglichen Ländern abdeckte, all das ersparte er ihr. Als sie wieder zu sprechen begann, war er fast in einer kleinen Gedankenwolke verschwunden und musste sich zwingen, ihr zuzuhören. „Also gut“, sie befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen. „Der Grund, weshalb ich Sie aufgesucht habe, ist mein Vater. Mein Vater arbeitet in der gleichen Firma wie Sie, bei Rebound Effect, seit mehr als 15 Jahren. Mein Name ist Susan Lauren.“ Harry zog seine Augenbrauen hoch. Lauren, meinetwegen, viele heißen so. „Das Problem ist“, fuhr Susan fort „Mein Vater wird in diesem Jahr 65.“ – Klick - Er sah sie an, sie sah ihn an. „Sie wissen, was das bedeutet?“ Harry sagte lieber nichts, egal wer Lauren war, ob er ihn kannte oder nicht. Harry wusste, was das bedeutet. Es bedeutete in diesem Jahr den Tod für Lauren. Noch in diesem Jahr würde der Vater von Susan Lauren sterben, sie hatten es seit Jahren gewusst, aber jetzt, so kurz davor, der Tatsache ins Auge zu sehen, das war etwas ganz anderes. „Ehrlich gesagt...“, er wollte die Eisesstille wenigstens irgendwie unterbrechen, bevor ihm diese Frau hier vor all den Leuten in Tränen aufgelöst auf den Tisch knallte. „Wenn ich mich recht entsinne“, log er „habe ich - habe ich - ihn in den letzten Wochen, ... naja,...wohl öfter nicht mehr gesehen.“ Susan berührte seinen Ärmel auf dem Tisch. „Vincent, er ist natürlich des Öfteren krank gewesen. Es war alles zu viel für ihn." Sie zerrte leicht daran. „Er hat noch zwei Monate, im August wird es passieren, und wir sind völlig verzweifelt. Deshalb dachte ... ich doch auch, wenn ich ...in der Firma anfange,...“ Harry musste über so viel Einfalt schmunzeln, obwohl dafür gerade kaum der richtige Zeitpunkt war. Er konnte nicht anders. Hast du dir so gedacht, sah er sie an. Mein Gott. was wissen die eigentlich alle? Denken die überhaupt mal nach? räuspernd entschuldigte er sich: „Es ist wohl kaum denkbar, dass die Firma das Familienmitglied eines Relienten, ähem, eines Letztjährigen, einstellt. Hier ist ja nichts geheim.“ Sie schaute ihm in sein Gesicht, so dass er sich etwas zu ihr über den Tisch herunter beugen musste, die Kaffeetassen schrieckten bei der Berührung leicht über den Tisch: „Warum haben Sie mich schon im Gespräch abgelehnt? Was war der Grund?“ Harry wusste, dass es jetzt erst mal nur ein Thema gab, oh nein, meine süße Dame: „So nicht, das erzähl ich Ihnen ein anderes Mal, ist nichts Schlimmes.“ „Dann können Sie‘s mir doch auch gleich sagen?“ „Was soll das?“ blieb er hart. „Sitzen wir hier, um, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen? Was wollen Sie von mir? Ich kann ihnen nicht helfen und im Übrigen: Diese Vorstellungsgespräche sind mein Job. Sagen Sie mir nicht, wie ich meinen Job zu machen habe. Ich bin im Aufsichtsrat der Firma, begehe monatlich an die zehn Auslandsreisen und darf mit einigem Stolz behaupten, in meinen bisherigen acht Jahren Rebound Effect eine ziemlich steile Karriere gemacht zu haben. So und nun entschuldigen Sie mich bitte, guten Tag.“ Er hatte endgültig genug - süße Lippen hin oder her, aber dieses ständige Theater war ihm zu viel. Solche Bitten um lebensrettende Hilfe hatte er immer wieder erhalten, oft auch mit eindeutigen Angeboten. Aber die Firma hatte Verträge mit diesen Personen, und sie haben sie akzeptiert - That`s the Law! Am Ende kneifen gilt nicht. Feiglinge – alle. Erst nicken sie jahrelang mit dem Kopf, nehmen jede Vergünstigung mit, und dann? Nein! Zum Leben gehört ein Anfang und ein Ende.
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