Maximilian Lang - Tod dem Gilgamesch!

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Undankbar ist sein Volk, so denkt König Gilgamesch. Es murrt beständig und sinnt auf Rache, während der gottgleiche Machthaber zwar mit starker Hand – aber in den eigenen Augen – absolut gerecht herrscht. Enkidu, ein Wesen aus dem Schlamm, wird geschickt, den ungeliebten König zu töten. Doch die beiden freunden sich an. Endlich ist Gilgamesch nicht mehr einsam, und sinnt nun auf Unsterblichkeit. Unsterblich aber wird nur, wer Unsterbliches vollbringt. Das Volk mittlerweile hat beschlossen, wegzuziehen, friedlichere Gefilde für sich zu finden. Opfer müssen gebracht werden und dennoch stehen am Ende der Reise Verlust, Enttäuschung und Misserfolg. Und Gilgamesch? Gilgamesch träumt.

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Maximilian Lang

Tod dem Gilgamesch!

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5 D | 7 H

Personen

GILGAMESCH, König von Uruk

NINSUN, seine Mutter

ENKIDU, Wesen aus dem Schlamm

SCHAMCHAT, Verführerin

DER WILDE, Herrscher über ein fremdes Volk

DER ALTE, ein Einwohner von Uruk

UTA-NAPISCHTI, ein Ahne von Gilgamesch

EINWOHNERvon Uruk, Chor

STADT, Bewohner einer fremden Stadt, Chor

1

Die Einwohner von Uruk

Einwohner

Ischtar,

Stadtgöttin von Uruk.

Seit wir denken und fühlen und sprechen können,

seit wir leben und in die Welt blicken,

werden wir von einem beherrscht,

der sich nimmt, was er will, der nicht nachfragt,

weil er der Stärkste ist: Gilgamesch.

In den Seitengassen lauert er uns auf,

in unsere Schlafzimmer stürmt er hinein,

nimmt uns, tobt sich aus, stillt seine Lust

und geht dann, als hätte er nur schnell

Guten Tag gesagt.

Ischtar!

Jetzt hat Gilgamesch eine Inschrift gelesen, die ihn beleidigt.

Er möchte den Schuldigen haben. Die ganze Stadt ist in Aufruhr.

Der Nachbar verrät den Nachbarn, der Bruder den Bruder,

die Schwester die Schwester.

Hilf uns!

An seine Mutter können wir uns nicht wenden,

sie, Ninsun, verachtet uns, seit sie den Sohn

eines Gottes geboren hat.

Also bleibst nur du uns, Göttin.

Hilf uns.

Das ist kein Leben mehr

unter einem solchen Tyrannen.

Im Palast von Gilgamesch

Gilgamesch und seine Mutter Ninsun

Gilgamesch

Ein Meteor hat eingeschlagen, mitten auf der Straße. Er hat die Straße aufgebrochen und die umliegenden Mauern zerstört. Die Menschen sind in Scharen hingerannt. Die ganze Straße war bevölkert. Als ich aufgetaucht bin, ist es still geworden. Kein Laut mehr. Der Mittelweg wurde frei. Links und rechts sind sie mir mit ihren untergebenen Augen gefolgt.

Ängstlich. Feige. Und trotzdem voller Verachtung. Ich habe den Stein begutachtet. Ich habe ihn in die Höhe gestemmt. Ein Raunen ist durch die Menge gegangen. Ich habe ihn auf die Felder hinausgeschleudert. Und dann? Die Leute sind einfach weggerannt. Verschwunden. Geflüchtet, als hätte ich ihnen was Böses getan. Kein Dank, nichts!

Ninsun

So sind sie eben, die Menschen. Du hast ihnen Brunnen gegraben, Felder fruchtbar gemacht, ganze Landstriche erschlossen, hast Wälder gerodet, Holz hergebracht, hast Tempel gebaut, Brücken gebaut, Mauern gebaut, Kraftwerke, Lagerhallen, Schulen, hast ihnen Nahrung und Schutz gegeben, Frieden und Wohlstand. Du hast ihnen alles gegeben! Trotzdem danken sie dir nicht dafür.

Gilgamesch

Sie hassen mich sogar noch dafür –

Ninsun

Kümmer dich nicht darum. Sie ertragen es einfach nicht, dass du stärker bist. Dass du zu zwei Dritteln göttlich bist. Und nur zu einem Drittel Mensch.

Gilgamesch

Gestern habe ich etwas gelesen. Auf der Stadtmauer. „Tod dem Gilgamesch“, steht dort. „Tod dem Tyrannen“. Stand dort, in den Stein geritzt, in großen Buchstaben. Zuerst wollte ich einer Regung nachgehen und ein Haus, das gegenüberliegt, zerstören. Aber ich habe nachgedacht. Ich bin in das Haus eingetreten und habe gefragt, wer das geschrieben hat. Die Leute haben gesagt, sie wissen es nicht. Warum sie es nicht weggetan hätten! Sie können nicht lesen, sagen sie. Wieso könnt ihr noch immer nicht lesen! „Wir müssen auf die Felder.“ Das ist doch alles ein riesiger Unsinn! Es gibt Schulen, Bibliotheken, Akademien, und Ihr könnt nicht lesen! Bis zum nächsten Jahr könnt Ihr es! Und bringt mir den Schuldigen!

Ninsun

Lass sie reden, lass sie schreiben. Sie sind eben zu dumm, um dich zu verstehen.

Gilgamesch

Wenn sie könnten, würden sie mich vernichten.

Ninsun

Sie brauchen dich doch, das wissen sie genau.

Gilgamesch geht umher.

Ninsun

Als du ein Kind warst, hab ich mir immer gedacht: Dieser Junge, der größer, stärker, mächtiger ist als alle anderen Kinder, wird einmal sehr einsam sein. Das ist sein Los. Damit muss er leben. Darum bin ich immer für dich da. Hörst du?

Er ignoriert, was sie sagt, geht zum Fenster.

Gilgamesch

Wie fröhlich sie sind. Wie glücklich sie sind. Wie verbunden sie sich miteinander fühlen. Wie zärtlich sie sind zueinander. Wie hingebungsvoll. Wie aufopferungswillig. Wie brutal manchmal. Wie gnadenlos.

Wer sind die? Ich habe tausendmal versucht sie zu verstehen, die Leute. Sie sind glücklich, lieben sich. Im nächsten Moment verraten sie sich gegenseitig für ein bisschen Geld. Verkaufen ihre Nachbarn für ein paar Versprechungen.

„Tod dem Tyrannen.“ Wenn ich den erwische, der das geschrieben hat, werd ich ihn in Ruhe fragen, was er meint. Oder ihm gleich alle Glieder ausreißen.

Ninsun

Hör zu. Ich habe jemanden vom Fenster aus beobachtet, wie er einen Ameisenhaufen ausräuchert. Einfach so. Er hat sie zuerst einzeln zwischen die Finger genommen und sie zerquetscht. Er hat ihnen die Beine mit der Pinzette ausgerissen. Er hat sie in ein Glas gesteckt und angezündet. Er hat sie verrecken lassen! Er hat sie gequält. Er hat ihnen keine Brunnen gegraben und sie nicht mit Nahrung versorgt. Er hat sie nicht in ein schützendes Gehege gesteckt und ihnen Arbeit gegeben! Er hat sie nur gequält und sie ausgeräuchert, sie alle umgebracht, er hat ihnen nichts gegeben, er hat ihnen alles genommen. So gehen die mit den Schwächeren um. Das machen sie mit denen, die kleiner sind als sie selbst. Aber du, du hast ihnen aber alles gegeben, obwohl du überlegen bist, obwohl du ihnen Arme und Beine und alles ausreißen könntest.

Gilgamesch

Das will ich gar nicht. Ich möchte sie nur verstehen.

Ninsun

Ich verstehe dich. Vergiss das nicht ... Als dein Vater mich ausgesucht hat, haben sich die anderen von mir entfernt. Die Leute haben mich plötzlich verachtet, gemieden, haben Angst vor mir gehabt. Ich habe gemerkt, wie sie hinter meinem Rücken reden, wie sie ihre Abscheu unterdrücken, wie sie-

Gilgamesch

Genug jetzt, genug.

Kurze Pause.

Ninsun

( steht auf)

Komm, lass uns die Sterne anschauen.

Gilgamesch

Das machen wir, seit ich denken kann. „Schau, hier ist Vater, schau, Gilgamesch, da winkt uns Vater zu.“ Wenn er wirklich ein Gott ist, dann soll er sich zeigen!

Ninsun

Ich weiß, dass er uns zusieht. Und dass er hört, was wir sagen.

Gilgamesch

Dann sag ich ihm hiermit, Vater, hiermit sage ich dir, dass es mir mittlerweile auf die Nerven geht, so zu leben, wie ich lebe, in diesem Kasten aus Gold, diesem Käfig, diesen Mauern, als Stärkster unter Schwachen, als Halbgott unter Menschen, als König unter lauter Dienern und Ameisen!

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