Es beisst dich hoffentlich nicht, wenn ich dich da kratze
"Frau Lutz"
Wenn sie nachts über Religion sprach, konnte man ihre Störung auf ihrer grün-gelben Iris sehen. Ich richtete einen kleinen Computer ein, der all die Bilder registrierte, welche sie durch die Pupille feuerte. Tags darauf schauten wir sie ergriffen und wertfrei an. Mit der Zeit erlosch ihre Kreativität.
29.Januar
Bist du erleuchtet oder hast du die Glühbirne im Gesicht?
Nicht, dass ich dir’s nicht gönne, aber bitte: bleibe dicht!
"Kirchenmusik"
Bei der Wandlung schloss ich die Augen und betrachtete den Altarraum quasi aus dem Gedächtnis. Dabei stellte ich mir vor, dass nun jedes Ding und jede Person ihre innere Essenz zum Vorschein brachte. Und der Altarraum verwandelte sich in eine Lichtorgel.
30.Januar
Als inspirierter Schreibtischtäter
Fungiert mein Geist gleichsam als Äther
"Dreijährig"
Ich weiss nicht, wie das ging. Ich war erschöpft, da bliess er mir wie kleine Ballone an diversen Körperstellen, so als fände sich ein hydraulisches System unter meiner Haut. Und diese Luft hob mich - auch stimmungsmässig - wie ein Geburtstagskind.
31.Januar
Ich such‘ dich im Stall, höre „Ia!“ und frage: „Hallo, bist das du?“
Ein Moment ist es still, dann ein Gegacker: „Nein, das war die Kuh!“
"Schwieriges Pferd, was tun?"
Das schwarze Pferd gebärdet sich wild in der Box als befände es sich im Startgitter für ein Rennen. Ich soll es striegeln, satteln und zäumen und in einer Viertelstunde für die Reitschule parat haben. Als ich zitternd die Box betreten will, habe ich den Eindruck, dass mein rasendes Herz das Tier noch aggressiver und schreckhafter macht. Da kommt eine Reitstallgehilfin und löst mich wie selbstverständlich ab. Das Pferd beruhigt sich. Sie hilft mir in den Sattel und das Pferd läuft in der Stunde ganz ordentlich. Aber mein Herz ist gebrochen.
1.Februar
Halte dich auf Trab
Das Pferdchen wirft jeden ungeübten Reiter ab
„Kompost“
All meine Äusserung von Schwäche oder Unvermögen wird aufgeschichtet. Gärstoffe machen daraus Dünger. Und der Dünger füllt die Tanks eines künstlich hergestellten, begehbaren Regenbogens, unter dem sich Menschen aus verschiedenen Kulturen zum Gebet versammeln.
2.Februar
Es gibt eine Stelle an deiner Hüfte, die wirkt wie marmoriert
Ist das ein Zeichen, dass du in hundert Jahren stirbst?
„Der Altar“
Der helle Marmor ist beleuchtet, so dass die Gesteinsadern gut sichtbar sind. Aber hinter dem Altar scheint ein noch helleres, warmes Licht.
3.Februar
Ach, von mir aus kann sie alle der Teufel holen
Ich sprech‘ doch nicht von Leuten, ich spreche von Krieg, von Waffen und Pistolen
„(N)acht“
Mir begegneten einmal in der Nacht auf dem Weg durch die kanadischen Wälder hintereinander acht Wölfe. Und ich begann mich zu fürchten, denn ich wusste, acht war eine mächtige Zahl. Um mich zu beruhigen stellte ich mir vor, selber ein Wolf zu sein. Die Nummer Neun.
4.Februar
Wenn ich mir ein erstklassiges Vergnügen bereiten will
Schick ich dich längst vor dem Osterhasen in den April
"Unentdecktes"
Die Welt war eine Kommode, und noch das hinterste Fächlein war für eine Überraschung gut. Ich öffnete deshalb fleissig weiter Törchen und Schubladen.
5.Februar
Horror, nein! Ich schaue keine Thriller
Mir reicht schon Goethe oder Schiller
"Die Zustände und der Beistand"
Die Sarazenen dringen in das Gemach meiner Mutter. Auf einmal tritt der Heilige Gottes hinzu, die Verwüstung hört auf, die Täter fliehen und die Gesundheit wird wieder hergestellt.
6.Februar
Das eigentliche „Problem“ war: ich war in dich verliebt
Pech hat, wer nichts erwartet, aber alles gibt!
"Kristallnacht"
Ich weinte nicht, ich heulte, denn mir schien alles verloren. Da endlich fiel eiskalter Regen vom Himmel und versteckte mich wie unter einem Schirm.
7.Februar
Mir geht die Fantasie um dich nicht aus
Für dich spiel ich auch mal den Vogelstrauss
"Verrückt gemeinnützig"
Eine verspätete Fastnachtsgruppe macht Spitalbesuche. Wie früher die Minnesangtruppen an Königshöfen gehen die Masken, wo sie gern zugelassen werden, an die Betten: der Narr, die Hofdame, der Troubadour und die Samaritanerin oder sie musizieren gemeinsam im Aufenthaltsraum.
8.Februar
Dank deinem Vorwand „ich hab’s eilig“
Spricht man dich eines Tages bestimmt noch heilig
„Das Pferd des Phönix“
Ich brenne. Im Feuer bildet sich aus mir ein Schwarzer Ritter. Sein Pferd bäumt sich wild. Der Ritter hilft mir, dem nackten Flüchtling, aufs Ross und bringt mich fort.
9.Februar
„Ich seh‘ das Problem vor lauter Bäumen nicht?!“
Keiner wirkt lakonischer, als wenn er ähnlich wie du spricht
"Blindenschrift"
In meinen milchigen Augen sah ich eine verschleierte Landschaft, deren feuchten Nebel mich nach Hause führten.
10.Februar
Kostbar, alltäglich; so ist dein Produkt
Ich merke, ich bin nach wie vor nach dir verruckt
„Aloe Vera“
Jesus, der Auferstandene, erscheint immer wieder unerwartet als ein Bodenturner im milchigem Dress mit Aloe Blättern. Seine Erscheinung macht mir Mut. Wenn ich erschöpft bin, darf ich vom Unberührbaren einen Löffel Jogurt kosten.
11.Februar
Der Traum zu fliegen, Ikarus
Reicht bis zur Sonne, dann ist Schluss
"Flügel"
Als mein Freund mit mir die Treppe hinuntereilt und ich verwundert aufmerke, wie schnell und leicht er sich trotz seines Gewichtes bewegt, gewahre ich, dass sich auf seinem Rücken Flügel zu entfalten beginnen. Sobald ich aber genauer hinschaue, ziehen sie sich in den Körper zurück und seine Bewegung wird langsamer. Seither fühle ich eine Anziehung, die jedes Verständnis übersteigt.
12.Februar
Ich umarm‘ dich und fühl mich gebettet in Watte
Du bist der Bär, den ich mir wünschte und nie hatte
"Franz Käfer"
Ein grosser Käfer bricht seinen grauen Panzer auf, deren Innenseite farbig glänzt wie von Edelmetall beschlagen und worauf sich seinerseits viele kleine Käfer mit leuchtend roten Panzern tummeln.
13.Februar
Prompt machte ich schon beim ersten Treffen einen freudschen Versprecher
Ich war so verliebt, doch schon war’s aus: „Mein Gott, was sind Sie für ein Frecher!“
"Fischschwanz"
Ich prallte frontal auf, ich Liebespfeil, und spaltete das Holz, sodass mein rosa Plastikende fast obszön herausragte.
14.Februar
„Romantisch“ hat manchmal `ne Doppelklinge
Ich glaub, du hörst sie schon `raus, wenn ich nur schon davon singe
"Frisches Laub"
Wenn er Äste abhieb, legte er immer einen schönen Zweig beiseite. Das Bündel diverser Arten brachte er seiner Frau mit nach Hause.
15.Februar
Wie sagt’s die Bibel: Die Erde treibt von selbst ihren Samen?
Da kann man doch was von lernen! Meine Herren, meine Damen!
"Kulissenschieber"
Es herrschte Krieg und statt Feldfrüchten erntete man Schlachtfelder. Ein Mann blieb übrig mit einem Sack Eichnüssen, und er pflanzte einen riesigen Wald, in deren Äste nach zwanzig Jahren der Wind rauschte.
16.Februar
Ich weiss, du warst nicht tot, es war nur eine Szene in einem Theater
Aber mir platzten die Tränen und aus dem Herzen ragte ein riesiger Krater
"Der weisse Riese"
Der weisse Tiger ist schwer erkrankt. Ich besuche ihn im Zoo. Er liegt ergeben auf dem Rücken, wie ein hilfloser Käfer. Ich zieh ihn in den Teich seines Geheges, um ihn wiederzubeleben. Aber er lässt sich widerstandslos auf den Grund sinken. Mit letzter Kraft schwimme ich den schweren Prachtskerl ans Trockene. Ich bringe Rosen, lege mich neben ihn und bin untröstlich.
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