„Sascha, beweg dich. Schlafen kannst du nach dem Training!"
Ich bin richtig zusammengezuckt.
„Ich kann dich ja beim Fußball anmelden."
Gemein war das. Papa hat genau gewusst, dass ich mich nicht traute. Nur vom Zaun weglocken wollte er mich. Und das hat er auch geschafft. Ich bin hinter Sophia hergerannt.
„Zu Hause spielen wir doch immer Fußball. Warum willst du denn nicht in den Fußballverein? Hättest du denn keine Lust dazu?"
Dass Papa immer wieder davon anfangen musste. Ich habe vielleicht eine Wut gehabt, auch auf mich, weil ich so gern Fußball gespielt hätte. Ich habe Sophia überholt.
„Da, ein Eichhörnchen!"
Da war aber keines. Ich wollte nur Sophia ärgern.
„Wo, wo", hat Sophia gefragt, „will auch sehen."
Ich habe auf die große Kiefer gezeigt.
„Bist du sicher, Martin, dass da ein Eichhörnchen ist?"
Papa hat mir nicht so richtig geglaubt.
„Aber natürlich, jetzt rast es den Baum hoch."
Sophia hat mit dem Fuß aufgestampft.
„Sophia will auch sehen."
„Jetzt ist es hinter dem Baum verschwunden", habe ich gesagt. „Zu spät, Pech gehabt."
Sophia hat sich auf den Boden gesetzt.
„Wollte auch sehen."
Sie hat Papa angeschaut.
„Will reiten."
„Kommt gar nicht in Frage", hat Papa zu Sophia gesagt und zu mir: „Martin, war das nötig?"
Ich bin auf die Brücke gerannt. Die Brücke geht über die Schnellstraße. Ich habe einem Lastwagen gewunken, aber der Fahrer hat nicht hochgeguckt.
„Wer als erster beim Kletterbaumist!"
Ich bin losgerannt, ohne mich noch einmal umzuschauen.
Auf der anderen Seite im Wald ist ein kleiner Spielplatz, schon ein bisschen vergammelt, aber besser als nichts. Als ich dort ankam, war Papa noch weit weg. Sophia hat auf seinen Schultern gesessen, natürlich.
„Gewonnen, gewonnen!"
Ich habe die Arme hochgerissen wie Petra. Endlich kam Papa.
„Wenn du ins Fußballtraining gehst, schenke ich dir ein paar Fußballschuhe."
Papa hat genau gewusst, wie sehr ich mir die gewünscht habe.
„Erpressung ist das! Papa, ich trau mich doch nicht."
Die neuen Fußballschuhe
Nach den Sommerferien waren wir die Größten im Kindergarten. Niemand konnte uns mehr wegjagen.
„Du darfst nicht mitspielen.”
„Hau ab! Mach bloß die Fliege!"
Das war vorbei. Jörg, Sandra und ich waren im Kindergarten immer in der gleichen Mannschaft. Und wir haben jedes Spiel gewonnen, fast jedes. Nur mit Sandra gab es manchmal Streit, wenn sie den Ball in die Hände nahm. „Handspiel, das gibt Freistoß — und Gelbe Karte."
Sandra hat den Ball an sich gedrückt und ist weggelaufen. Und den Einwurf hat sie jedes Mal falsch gemacht. Mit einer Hand hat sie geworfen, dabei muss man den Einwurf mit beiden Händen und über den Kopf machen. Das Blöde ist, Sandra lässt sich einfach nichts erklären. Sie stellt sich dann stur. Wir haben halt mit falschem Einwurf gespielt. Spaß gemacht hat's trotzdem. Einmal habe ich den Ball über den Zaun geschossen. Das war vielleicht ein Schuss! Zuerst war ich richtig stolz. Dann habe ich mich fürchterlich geärgert. Frau Naumann, unsere Kindergärtnerin, hat sich nämlich nicht getraut, bei dem Nachbarn zu klingeln.
„Der schimpft nur über den Kindergarten. Das ist so ein unfreundlicher, älterer Mann."
Und der Ball blieb im Nachbargarten liegen, und der Mann hat ihn auch nicht rübergeworfen. Am nächsten Morgen habe ich von zu Hause einen Ball mitgebracht, nicht unseren guten, sondern den alten, rotgelben. Was waren meine Hosen grün am Knie vom vielen Reingrätschen. Oder wenn ich gefoult wurde. Wenn es geregnet hat und wir nicht in den Hof durften, waren wir alle traurig.
Und Sophia hat mich genervt. Im Oktober ist sie in den Kindergarten gekommen. Ohne mich ist sie nicht aufs Klo marschiert. Immer musste ich mit. Am Anfang ist sie alle zehn Minuten gegangen. Ich glaube, ihr haben die kleinen Klos so gut gefallen. Da hat sie sich dann draufgesetzt, ich musste ihre Hände halten, und Sophia hat gedrückt und gedrückt. Zwei, drei Tröpfchen sind herausgekommen, mehr nicht. Und draußen hat Jörg „Tor" gerufen und Marco „Nein, nein, kein Tor", und ich habe nichts mitgekriegt.
Eines Nachmittags ist Papa mit einer Plastiktüte von der Arbeit gekommen.
„Rate mal, was da drin ist."
Ich habe meine Rollschuhe angehabt und bin in unserem Garten hin- und hergefahren. Vorne am Geländer stand Yvonne.
„Ich habe sogar Disko-Roller", hat sie mir zugerufen.
Dabei habe ich Yvonne noch nie mit Disko-Rollern gesehen. Papa hat die Tüte hochgehalten, ganz hoch, so dass ich nicht drankam.
„Na, was ist drin?"
„Eine Brücke für die Holzeisenbahn? Ein Sandlaster? Fingerfarben? Ein Buch vom Räuber Hotzenplotz?"
„Falsch, ganz falsch, alles falsch."
Yvonne stand immer noch am Geländer. Früher ist sie nach dem Kindergarten manchmal zu uns in den Garten hereingekommen. Aber das macht sie jetzt nicht mehr.
„Na, fällt dir schon nichts mehr ein?"
Einmal hat Mama zu Yvonne gesagt: „Hör mal, Yvonne, du darfst gerne zu uns kommen. Aber deine Eltern müssen wissen, dass du hier bist, sonst machen sie sich Sorgen. Ich kann ja mal bei deiner Mama und deinem Papa anrufen."
Da ist Yvonne wie der Blitz von der Schaukel heruntergesprungen und abgehauen und nie mehr in unseren Garten gekommen. Nur vorn an der Straße steht sie und schaut zu, wie wir schaukeln oder wie ich Rollschuh fahre.
„Ich komm nicht drauf, was in der Tüte ist."
Plötzlich hat Papa, ich glaube, ich sehe nicht recht, ein paar Fußballschuhe in seine Hand gezaubert.
Ganz neue, richtige Fußballschuhe!
„Das, das gibt's doch nicht! Super!"
Ich habe angefangen zu stottern. Im nächsten Augenblick hatte ich die Rollschuhe schon ausgezogen.
„Die sind noch etwas groß, die Fußballschuhe, aber du kannst ja hineinwachsen."
Mama hat ein paar dicke Socken gesucht, und ich habe mir die Fußballschuhe genau angesehen. Ganz lange Schnürsenkel waren dran..
„Die musst du um den Fuß binden", hat Papa erklärt. Schraubstollen waren dran, weiße Schraubstollen aus Plastik. Ein kleiner Stollenschlüssel lag dabei.
„Mit dem schraubst du die Stollen an. Wenn die alten abgelaufen sind, kommen neue dran. Wenn der Platz matschig ist, brauchst du lange Stollen aus Metall. Und auf einem Hartplatz wieder andere."
Papa hat nicht mehr aufgehört zu reden. Ich habe nur mit halbem Ohr hingehört. Die schönen Fußballschuhe, das weiche, schwarze Leder.
„Ich habe auch so Fußballschuhe!"
Yvonne hatte ich ganz vergessen. Sie stand immer noch vorn auf dem Gehweg.
„Lüg doch nicht! Du und Fußballschuhe. Keine hast du und auch keine Disko-Roller!"
„Hab ich doch!"
Mama hat die Socken gebracht, und ich habe Yvonne einfach nicht mehr beachtet. Die Fußballschuhe waren wirklich zu groß. Aber egal. Papa hat gleich ein Spiel angefangen.
„Unser armer Rasen."
An Papas Stimme habe ich gleich gemerkt, dass er es nicht ernst meinte.
„Jetzt könntest du doch in den Fußballverein gehen und in der Mannschaft spielen. Mit so wundervollen Fußballschuhen."
Ich bekam einen Schrecken. Ob das mit den Fußballschuhen nur ein Trick war? Ob Papa sie mir gleich wieder abnahm? Aber Papa hat nichts mehr vom Fußballverein gesagt.
„Ach, Sophia, du bist schon groß. Und schön schaukeln kannst du."
Wieder Yvonne. Das hat sie bestimmt nur gesagt, weil sie sich einschmeicheln wollte. Wenn im Kindergarten ein anderes Kind abgeholt wird, fängt Yvonne manchmal an zu heulen. Ganz ohne Grund. Nur damit sich jemand um sie kümmert, damit sie bedauert wird. Und Frau Naumann fällt drauf rein, nimmt sie in den Arm und tröstet sie. Wie Yvonne mit Sophia-hinten, Sophia-vorne angefangen hat, habe ich eine schreckliche Wut gekriegt.
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