Louis Leon Cherrel
Nachtstreuners Flaschenpost
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Inhaltsverzeichnis
Titel Louis Leon Cherrel Nachtstreuners Flaschenpost Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog:
1: Morgens
2: Backsteine
3: Flimmern
4: Shopping
5: Session
6: Pfeffer
7: Steppen
8: Steigen und Fallen
9: Weiß zu Rot
10: UsuallyI’mWithDaHomies
11: Waschen
12: Vor Anker
13: Spazieren
14: Abflug
15: Fly Dude – Flugmodus
16: Landung
Impressum neobooks
Nachtstreuners Flaschenpost
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Louis Leon Cherrel
Cover gestaltet von Julia Pagel
Er steht an der Haltestelle. Von rechts nähert sich der Zug. Die Wartenden sehnen seine Ankunft herbei. Durch das nicht mehr vorhandene Dach des Stahlgerüsts gleitet ein leichter Nieselregen. Die Anderen blicken dem Zug sehnsüchtig entgegen und nähern sich der Bahnsteigkante. Nur er wendet seinen Blick ab und sieht in der Ferne die vielen kleinen Fahrzeuge über die Autobahn huschen – zehntausende Regentropfen zwischen ihm und der Autobahn.
Als letzter betritt er den Zug. Er schiebt das nasse Haar mit einer flüchtigen Bewegung aus dem Gesicht, blickt sich kurz um und setzt sich auf einem Gangplatz nahe der Tür. Beide Hände in den Taschen seiner Sommerjacke schiebt er die Kappe seines Füllers auf und ab. Unablässig tut er dies, bis die zwei drei Minuten vergangen sind, welche die Bahn für die Strecke zum nächsten Halt benötigt und er sich durch die Massen am Hauptbahnhof drängt.
Er zieht den Kopf ein, weil er erneut auf den Regen trifft. Seine Füße hasten über die steinerne Bahnhofsplatte. Ein Sprint endet unter der Stahlkonstruktion, die sich die gesamte Königsstraße entlang wuchtet. Er richtet sich die Frisur, bis dutzende weitere Schritte ihn erneut in den Regen tragen und er wieder sein Tempo erhöhen muss. Er huscht unter einer Markise hindurch und betritt das Lokal. Der Autor bestellt sich Gebäck und eine Tasse Kaffee. Er setzt sich auf einen Hocker. Sein Blick ist zum Fenster gerichtet. Er holt liniertes Papier aus seinem Rucksack und aus der Jackentasche den Füller.
Der Autor sieht den Regen die Markise hinabrinnen. Er stellt sich vor, wie die einzelnen Tropfen freigelassen werden und einsam hinunterfallen. Dann aber landen sie gemeinsam auf der Markise, bündeln sich und rinnen als gestärkter Schwall diese entlang, nur um später durch die dafür geschaffenen Kanäle hinfort gespült zu werden.
Er sieht ein Pärchen mittleren Alters mit großen Schirmen durch die Straße laufen. Sie tragen teure Kleider und extravaganten Schmuck. Beide blicken verträumt in ihre Smartphones. Er malt sich aus, wie sie wohl zusammengekommen sind. Wie waren sie wohl, als sie sich verliebt haben? Wie haben sie sich schließlich wieder voneinander distanziert? Oder waren sie vielleicht nie ineinander verliebt?
Der Autor sieht geleerte Bier- und Schnapsflaschen an einem Hauseingang stehen. Er stellt sich vor, wie diese hektisch geext wurden, um günstig den benötigten Rausch für einen nahegelegenen Club herbeizuführen.
Ein junges Pärchen auf alten Fahrrädern: Sie stellen die Räder gegenüber ab. Trotz des Regens verweilen sie noch einen Moment auf der Straße, um sich gegenseitig einen Kuss zu schenken. Hand in Hand betreten sie das Lokal. Er stellt sich vor, wie diese beiden wohl zu ihrem Glück gefunden haben.
Der Autor führt die Tasse zum Mund, atmet durch die Nase den Duft ein. Er wirft einen flüchtigen Blick aus dem Fenster und wendet sich schließlich seinem Papierstapel zu. Ein letztes Mal schiebt er die Kappe vom Füller. Er presst die Feder auf das weiße Blatt, gleitet unzählige Male von links nach rechts. Nicht malerisch und schwungvoll, sondern krakelig, fleckig und schwer zu durchblicken bilden sich die mit schwarzer Tinte geschriebenen Wörter auf dem Papier. Sätze reihen sich an Sätze, Tinte wird lebendig, wenn sie ihrer Bestimmung folgt.
Konzentriert wie er ist, tut er nichts Anderes mehr, als mit seinem Füller aus schwarzer Tinte eine Geschichte zu formen, seinen schwarzen Kaffee zu trinken und sich die schwarze Frisur zu richten.
Schwarze Frisur
Schwarzer Kaffee
Schwarze Tinte
Es ist ein Regentag, die Szene stellt sich in schwarz-weiß dar. Wir sehen eine Kirche, werfen einen Blick hinein. Zensierte Blicke, Bank für Bank. Ein Chor singt, ein Pfarrer predigt.
Martens Elternhaus befindet sich in dem beliebtesten und zugleich elitärsten Viertel der Stadt. Eigentlich wird das Wort „Haus“ dem Gebäude nicht gerecht: Auf einem großräumigen Grundstück ziert es vielmehr den Erdboden. Man stelle es sich vor wie eines dieser Prachtbauten, die man bei einem Spaziergang durch die richtige Gegend, meist abgeschirmt hinter breitem und dichtem Buschwerk, nur erahnen kann. Ähnlich den Villen, in denen Castingshowmodels zu Prinzessinnen werden. Märchenschlösser solange die Kamera draufhält.
Die Mutter hatte, während sie mit Marten schwanger war, einen renommierten Architekten das Haus entwerfen lassen: Moderne Elemente, wie verdunkeltes Glas in der Fassade oder viele offene Räume im Inneren, wurden verknüpft mit älteren Stilen, wie einem kleinem Rundturm, altem Stein aus Südeuropa sowie hohen Decken, welche teilweise mit Stuck verziert wurden. Vor dem Haus stehen diverse, glänzende Wagen teurer Hersteller. Hinter dem Haus ist ein idyllischer Garten angelegt worden.
Alles in allem wird also deutlich: Marten lebt in keiner durchschnittlichen Familie. Es wirkt, als könne er den Traum des westlichen Lebensideals in vollen Zügen genießen. Er hat zum Beispiel zu seiner gerade erreichten Volljährigkeit ein Auto des Herstellers geschenkt bekommen, dessen abgebrochenes Wappen Punks am Rucksack tragen. Ein Geschenk, um das ihn wohl die meisten Jungen seines Jahrgangs beneiden.
Die letzten Sommerferien seiner Schulzeit neigen sich dem Ende zu. Er wird bald sein Abitur machen müssen, aus dem Elternhaus ausziehen, viele Freunde verlieren, mit anderen enger zusammenkommen, Mädchen kennenlernen, Mädchen nachtrauern und vieles erleben, was eben passiert in dieser prägenden Zeit.
Der Leser kann sich hier bereits eines denken: Auf einem Jungen, aus einer - oberflächlich betrachtet - so überdurchschnittlichen Familie, muss ein enormer Druck lasten. Ohne Ausschweifungen hiermit klarzukommen, kann eine durchaus schwierige Aufgabe sein.
Möge sich jeder sein eigenes Bild machen.
Ich blicke in die gleißende Sonne Andalusiens. Mein Blick wandert vom Himmel hinunter in das Tal. Eingebrannt auf meiner Netzhaut bleibt der Himmelskörper als weißer Fleck in meinem Blickfeld bestehen. Nach und nach schrumpft die Sonne meiner Netzhaut wieder, sodass mein Sichtfeld sich erweitert. Ich hebe meinen Hut und wische mir den Schweiß von der Stirn. Der Hirte in der Ferne treibt seine Schafsherde voran. Ich klettere über einen großen Stein, um ihm zu folgen. Doch plötzlich weht stürmisch der Bruder der Levante auf und die Küste Afrikas ist zum Greifen nah. Ich greife zu, werde vom Wind mitgezogen, wirble über die Meeresenge und lande sanft vor einer mit lehmigem Boden bedeckten Gasse, in einer Stadt des schwarzen Kontinents. Die Gasse führt einen kleinen Hang hinauf. Ich folge dem Weg. Der Aufstieg ermüdet mich. Oben angekommen erblicke ich ein Glaswarengeschäft, in welchem Tee ausgeschenkt wird. Ich bestelle in einer fremden Sprache und ein Jüngling bringt mir ein Glas Tee. Ich trinke, blicke in das Glas und plötzlich verfärbt sich der Tee. Er verwandelt sich, nimmt den Farbton des lehmfarbenen Bodens an. Ich blicke tiefer in das Glas. Ich blinzele. Die neue Farbe des Tees nimmt mein gesamtes Blickfeld ein. Ich blinzele erneut. Der Tee ist verschwunden, nunmehr liegt der reine Boden vor mir. Ich hebe den Kopf. Der Jüngling Santiago sitzt neben mir. Die Sonne geht gerade auf. Er hat Reisegepäck neben sich auf dem Boden liegen. Wir rauchen gemeinsam die Nargile. Santiago zieht – beruhigendes Blubbern. Er atmet aus, reicht mir den Schlauch und spricht „Baktu“. Ich nehme einen tiefen Zug, schließe die Augen, lehne mich zurück – „Baktu“.
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