»Ja, ich war nicht zu Hause, als es passiert ist.«
»Ein Glück. Weißt du schon, wie es weitergeht und wie hoch der Schaden ist? Kannst du eine Weile bei Maximilian bleiben? Wenn du Geld brauchst, sag Bescheid, wir überweisen es dir sofort.«
»Nein, Mama, ich brauche kein Geld. Und Maximilian und ich haben uns getrennt.«
»Bitte was?«
»Er hat mich betrogen. Ich will nicht darüber reden.«
Am anderen Ende der Leitung wurde es einen Moment still. Heike Winter dachte darüber nach, ob sie sich verhört hatte oder ob ihre Tochter sich mal wieder einen schlechten Scherz mit ihr erlaubte. Es war absolut indiskutabel, dass Nelia die Beziehung zu Maximilian beendete.
»Doch, wir werden jetzt darüber sprechen. Was soll das bedeuten, er hat dich betrogen?«
»Ist das dein Ernst, Mama? Was gibt es daran nicht zu verstehen?«
Nun wurde Nelia doch ungehalten. Sie wusste genau, dass ihre Mutter sich keine Sorgen darum machte, dass das Herz ihrer Tochter gebrochen worden war. Sondern nur darum, dass sie den angeblich perfekten Schwiegersohn in die Wüste geschickt hatte.
»Nachdem meine Wohnung gestern unglücklicherweise in die Luft geflogen ist, habe ich gehofft, dass ich bei Maximilian bleiben kann. Leider hatte er mehr Interesse an so einer lebenden Barbie, als an mir.«
»Ihr könnt doch sicher darüber sprechen?«
»Nein, das können wir nicht, weil ich kein Interesse daran habe.«
»Aber wo bist du denn jetzt, Nelia? Sag mir nicht, dass du in einer stinkenden Turnhalle schläfst, wie sie sie im Fernsehen gezeigt haben?«
»Ich bin in Paris.«
Wieder kehrte Stille ein.
»Du bist bitte wo?«
»In Paris.«
»Woher hast du Geld, um nach Paris zu fahren?«
Nelia verdrehte die Augen. Sie hatte es immer abgelehnt, Geld von ihren Eltern anzunehmen. Der Job bei Berlin Trends war nie sehr gut bezahlt gewesen. Das Geld, das sie verdient hatte, reichte gerade so aus. Natürlich wusste ihre Mutter das.
»Stella hat mir gekündigt und siebentausend Euro dafür gezahlt, dass ich am nächsten Tag nicht wiederkomme. Du siehst also, Mama, gestern war der beste Tag meines Lebens. Job weg - Wohnung weg – Freund weg. Dafür ein fettes Plus von siebentausend Euro auf dem Konto.«
»Und anstatt zu uns zu kommen, fährst du nach Paris?«
Unverständnis schwang in Heikes Stimme mit. Sie fragte sich, ob ihre Tochter noch bei Sinnen war. Nelia war nie der spontane Typ gewesen. Als Heike und Gerd an die Ostsee gezogen waren, hatten sie Nelia, die damals im letzten Schuljahr war, vor die Wahl gestellt, sie zu begleiten, oder allein in Berlin zu bleiben. Nelia war damals gerade achtzehn Jahre alt geworden und wollte keine Veränderung. Sie blieb lieber in der Hauptstadt.
Was um alles in der Welt war also plötzlich passiert, dass sie nach Paris verschwand?
»Ich brauche Zeit für mich und außerdem musste ich unbedingt verhindern, dass ihr mir einen Job in der Bank besorgt«, antwortete Nelia ehrlich und ihre Mutter atmete so laut aus, dass es auch die Menschen am Eiffelturm gehört hatten.
»In Ordnung, Nelia«, resignierte Heike, die wusste, dass ihre Tochter sich sowieso nicht reinreden lassen würde. Vielleicht war es wichtig, dass sie diese Erfahrung machte. Und wenigstens lebte sie nicht unter einer Brücke, sondern in der Stadt, von der sie schon als kleines Mädchen geträumt hatte.
»Aber bitte, wenn du Geld brauchst, sag Bescheid. Ich weiß, dass du immer alles allein schaffen willst, aber das ist eine Notsituation.«
»Danke, Mama.«
»Meld dich bald wieder und ... und erfüll dir deine Träume.«
Nelia verlor für einen kurzen Moment ihre Abwehrhaltung gegenüber ihrer Mutter. Auch wenn Heike das nicht sehen konnte, sie spürte es.
»Das werde ich«, hauchte Nelia und beendete das Telefonat.
Kaum dass sie ihr Handy neben sich auf den Tisch gelegt hatte, brachte Florence ihr den Milchkaffee.
»Lass mich raten ... deine Mutter?«, grinste sie und Nelia nickte.
»War das so offensichtlich?«
»Oh ja. Erzähl mir heute Abend, was sie so Schlimmes verbrochen hat.«
Florence ging zurück ins Café und Nelia lehnte sich nach hinten. Sie schloss kurz die Augen und genoss die warme Sonne.
Zum ersten Mal seit Langem gab Nelia ihrer Mutter recht. Sie musste sich ein paar Träume erfüllen und gleich morgen würde sie damit beginnen.
***
Nelia verschlief den halben Tag und wurde erst durch das Klingeln ihres Handyweckers wach. Als sie einen Blick auf die Uhrzeit warf, blieb ihr noch eine Stunde, bevor sie sich mit Florence auf den Weg zu einer kleinen Cocktailbar machen wollte.
Sie stand auf und zog sich in das kleine Badezimmer zurück, wo sie sich eine lange, ausgiebige Dusche gönnte. Anschließend schlüpfte sie in ihr neues Kleid, trocknete ihre Haare und glättete sie. Nelia legte nur ein dezentes Make-up auf, sprühte etwas Parfüm an ihren Hals und in ihre Haare und dachte sofort an René. Irgendetwas hatte er an sich. Dennoch erinnerte sie sich wieder einmal daran, dass sie nicht nach Paris gekommen war, um sich auf den erstbesten Typen einzulassen.
Sie war hier, weil sie wieder zu sich selbst finden wollte, und nicht, um sich zu verlieben.
Gegen neunzehn Uhr verließ Nelia das Pensionszimmer und ging nach unten. Florence stand schon vor ihrer kleinen Bäckerei und wartete auf sie. Sie hatte sich in Schale geschmissen und trug ein luftiges, gelbes Sommerkleid und schwarze High Heels. Ihr Make-up betonte vor allem ihre leuchtend blauen Augen.
»Du siehst toll aus«, begrüßte Nelia sie und lächelte.
»Du aber auch. Hast du das Kleid bei Claudine im Beau moi gekauft?«
»Ja, sie hat wunderschöne Sachen.«
Von der Rue Paul Albert machten die beiden jungen Frauen gemeinsam auf den Weg in Richtung Süden.
»Du wirst die Cocktails im FleurNuit lieben. Es sind die Besten der ganzen Stadt.« Florence schenkte Nelia ein Lächeln.
»Ich bin bei Cocktails nicht wählerisch. Hauptsache sie schmecken süß und lassen mich meine Probleme vergessen.«
»Ich bewundere, wie gefasst du bist. Wenn mir das alles passiert wäre, hätte ich wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch erlitten.«
Sie bogen in die Rue Yvonne le Tac ein.
»Den habe ich nur nicht erlitten, weil meine Mutter mich so erzogen hat, dass es nie – egal in welcher Situation – eine Option ist, aufzugeben.«
»Deine Mutter klingt nach einer sehr starken Frau.«
»Das ist sie und dennoch treibt sie mich oft zur Weißglut.«
»Welche Mutter hat dieses Talent nicht?« Florence lachte herzlich.
»Das stimmt, aber dennoch. Meine Mutter hat nie verstanden, dass ich von Anfang an ausgeschlossen habe, in der Bank zu arbeiten. Ich war immer zu freiheitsliebend, zu kreativ. Bei meinen Eltern muss alles durchgeplant und durchdacht sein.«
»Ich kann mir vorstellen, dass das schwer war.«
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