»Ich dächte, du hättest mit eigenen Augen gesehen, wie ich diese Zahl oder ihrer doppelt so viel vor mir hergetrieben habe«, rief er. »Es ist ja ganz gleich,« entgegnete ich, »einstweilen bin ich sie gründlich los.« »Das ist so deine Meinung,« fuhr er fort, »aber ich würde mich nicht im geringsten wundern, wenn sie hier im Walde hockten. Es sind Hochländer, verstehst du, David, mein Junge? Teils Frasers, teils Gregaras, meiner Ansicht nach; und ich kann nicht leugnen, daß beide, besonders die Gregaras, schlaue, erfahrene Burschen sind. Ein Kerl, der nicht schon im Tiefland eine Herde fetten Rindviehs so (sagen wir) seine zehn Meilen durch eine dichtbevölkerte Gegend getrieben hat, womöglich mit dem verdammten Soldatenpack auf seinen Fersen, versteht nicht viel vom Handwerk. Bei der Sache hab ich ein gut Teil meines Scharfsinns gelernt. Du brauchst mir nicht dreinzureden; 's ist besser als Krieg: der kommt gleich hinterher, obwohl er zumeist ein recht uneinträgliches Geschäft ist. Aber die Gregaras – die haben eine großartige Übung.«
»Zweifellos hat man diesen Teil der Bildung bei mir vernachlässigt«, sagte ich. »Ich merk es dir auf Schritt und Tritt an,« bestätigte Alan. »Aber das ist das Sonderbare an euch Studierten: ihr seid unwissend und wollt's nicht einsehen. Mit meinem Griechisch und Hebräisch hapert's; aber, Mensch, ich weiß auch, daß ich's nicht kann – da liegt der Unterschied. Nehmen wir dich als Beispiel. Du liegst hier in diesem geschützten Walde ein Weilchen auf dem Bauch und bildest dir ein, du hättest die Frasers und MacGregors abgeschüttelt. Weshalb? Weil ich sie nicht sehe , gibst du mir zur Antwort. Du Dummkopf, das ist doch ihr Geschäft.«
»Nimm also das Schlimmste an«, entgegnete ich. »Was sollen wir dann tun?« »Daran denke ich gerade«, sagte er. »Wir könnten uns ja trennen. Das wäre aber wenig nach meinem Geschmack, außerdem spricht vieles dagegen. Erstens ist es unheimlich finster, und wenn wir großes Glück haben, können wir ihnen entwischen. Bleiben wir zusammen, so bilden wir nur eine Linie; trennen wir uns, dann zwei; um so größer die Wahrscheinlichkeit, daß wir einigen von deinen Herrschaften in die Arme laufen. Zweitens: wenn sie uns auf der Spur bleiben, kann es immerhin zum Gefecht kommen, Davie; und ich gestehe, in dem Fall wäre es mir ganz lieb, dich an meiner Seite zu wissen, und dir wird's auch nicht schaden, wenn du mich hast. Meiner Meinung nach sollten wir uns also nicht einen Augenblick später als jetzt aus dem Staube machen und östlich auf Gillane zu halten, wo mein Schiff auf mich wartet. Uns wird sein, als wären die alten Zeiten wieder da, Davie, so kurz es auch dauert; und inzwischen können wir uns überlegen, was du anfangen sollst. Mir widerstrebt's, dich hier allein zu lassen.« »Also los, meinetwegen!« sagte ich. »Kehrst du zurück, woher du gekommen bist?«
»Den Teufel werd ich das«, meinte Alan. »Die Leute waren gut zu mir, aber ich glaube, sie wären arg enttäuscht, mein hübsches Gesicht wiederzusehen. In diesen Zeiten bin ich nicht gerade ein willkommener Gast. Um so mehr gelüstet's mich nach Eurer Gesellschaft, Mr. David Balfour von Shaw. Also marsch! Abgesehen von zwei kurzen Gesprächen hier im Walde mit Charlie Stuart, hab ich kaum ja und nein gesagt, seit wir uns in Chorstorphine trennten.« Mit diesen Worten stand er auf, und wir machten uns behutsam in östlicher Richtung auf den Weg durch das Gehölz.
Zwölftes Kapitel Wieder auf dem Marsch mit Alan
Es mochte zwischen ein und zwei Uhr sein; der Mond war, wie gesagt, untergegangen; ein starker Wind, der schwere Wolkenmassen vor sich hertrieb, sprang plötzlich im Westen auf, und wir traten unseren Marsch in einer so finsteren Nacht an, als sie ein Flüchtling oder Mörder sich nur wünschen könnte. Der weiße Schimmer der Landstraße geleitete uns nach dem schlafenden Städtchen Broughton und von dort über Picardy, vorbei an meinem alten Bekannten, dem Galgen mit den beiden Dieben. Kurz danach, in Lochend, gewahrten wir in einem Fenster ein Licht, das uns als willkommenes Leuchtfeuer diente. Mit ihm als Wegweiser ging es, immer noch ziemlich auf gut Glück, vorwärts, mitunter über volle Erntefelder, dann wieder stolpernd und gleitend über Brachacker, quer durch das Land, bis wir schließlich die wellige, sumpfige Heidelandschaft von Figgate Whins erreichten. Hier unter einem Ginsterbusch legten wir uns nieder, um den Rest der Nacht zu verschlafen. Etwa um fünf Uhr weckte uns der Tag. Es war ein wunderschöner Morgen, immer noch blies aus Westen ein kräftiger Wind, aber die Wolken waren alle nach dem Kontinent gezogen. Alan hatte sich schon lächelnd aufgerichtet. Es war das erstemal seit unserer Trennung, daß ich meines Freundes Gesicht sah, und ichbetrachtete es mit frohem Herzen. Er trug immer noch den gleichen schweren Mantel; neu war nur ein Paar gestrickte Gamaschen, die ihm bis über die Knie reichten. Zweifellos sollten sie eine Art Verkleidung sein; da es jedoch ein warmer Tag zu werden versprach, machte Alan eine äußerst auffallende Figur. »Nun, David,« sagte er, »ist das nicht ein schöner Morgen? Heute ist ein Tag, wie er sein sollte. Das nenn ich mir eine Abwechslung nach dem Aufenthalt im Bauche des Heus; und während du hier schliefst und dich rekeltest, habe ich etwas getan, das ich vielleicht nur allzu selten tue.«
»Was denn?« fragte ich.
»Ach, nur so 'n bißchen gebetet.«
» Und wo sind meine ›Herrschaften‹, wie du sie nennst?«
»Das weiß allein der liebe Gott«, antwortete er.
»Mit einem Wort, wir müssen uns auf unser Glück verlassen. Munter, David! Auf die Beine! Fortuna sei uns noch einmal hold! Es scheint, wir sollen einen wundervollen Spaziergang haben.«
So ging es in östlicher Richtung weiter am Meere entlang bis an die Mündung des Esk, wo die Salzgruben dampften. Ohne Zweifel schien die Morgensonne strahlender als sonst auf Arthurs Sitz und auf die grünen Hügel von Pentland, aber der Zauber des Tages schien Alan gegen den Strich zu gehen.
»Ich komme mir vor wie ein Holzklotz, an einem Tage wie heute Schottland zu verlassen«, bemerkte er. »Es will mir nicht aus dem Schädel; lieber, glaub ich, bleibe ich hier und lass mich henken.«
»Es würde dir doch nicht gefallen, Alan«, sagte ich. »In Frankreich ist es ja auch ganz schön,« erklärte er, »aber es ist nicht dasselbe. Es ist, glaube ich, sogar schöner als hier, aber es ist nicht Schottland. Es gefällt mir großartig, wenn ich erst drüben bin; und doch bang ich mich nach schottischen Strohdächern und schottischem Torfgeruch.«
»Wenn dich nichts anderes drückt, Alan, so ist es ja weiter nicht schlimm«, sagte ich.
»Ich hab auch kein Recht, mich zu beklagen,« meinte er, »gerade jetzt, da ich eben erst aus dem verdammten Heu heraus bin.«
»Du hattest deinen Heuschober also gründlich satt?« erkundigte ich mich.
»Satt ist gar nicht der richtige Ausdruck«, entgegnete er. »Ich lass mich nicht so leicht entmutigen; aber ich fühl mich wohler an der frischen Luft mit dem Himmel über mir. Ich bin wie der alte schwarze Douglas (so hieß er doch?), der lieber die Lerche trillern als die Mäuse piepsen hörte. Und in dem Schober, David – der sich ja, wie ich zugeben muß, vorzüglich als Versteck eignete – war es stockfinster von morgens bis abends, weißt du. Es gab Tage (oder auch Nächte, wie sollte ich das wissen?) die mir so lang wie ein langer Winter erschienen.«
»Wie wußtest du die Stunde für unser Stelldichein?« fragte ich.
»Der Hausvater brachte mir so um elf mein Abendbrot und einen Tropfen Schnaps und ein Endchen Talglicht, um mir zu leuchten«, sagte er. »Wenn ich dann einen Bissen gegessen hatte, wußte ich, es war ungefähr Zeit, in den Wald zu gehen. Dort lag ich und bangte mich arg nach dir, David,« fuhr er fort, seine Hand auf meine Schulter legend, »und erriet aus dem Gefühl, wann die zwei Stunden vorbei waren – wenn nicht Charlie Stuart kam und es mir an seiner Uhr bewies, – und zurück ging's in meinen Schober. Ja, ja, das war kein kurzweiliger Aufenthalt, und dem Himmel sei Dank, daß ich mich durchgeschunden habe.«
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