„Verbeug dich gefälligst, wenn du vor deinen König trittst!“, fauchte Satan.
Schwankend rappelte Lucifer sich wieder auf. Seine Beine fühlten sich zittrig an.
„Ihr seid nicht mein König“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Und ich werde mich niemals vor Euch verbeugen!“
Ein Grinsen erschien auf Satans Gesicht. Fast schon gleichgültig kratzte er sich an den gewundenen Hörnern, die aus seiner Kopfhaut wuchsen.
„Tja, was machen wir denn da?“, fragte er gespielt ratlos. „Aber was soll´s wir haben ja Zeit, schließlich vermisst dich ja im Himmel niemand. Ich werde schon eine Möglichkeit finden, deinen Stolz zu brechen, kleiner Engel.“
Er wandte sich ab.
„Bring ihn weg, Leona.“
Eine Dämonin erhob sich aus dem Dunkel einer Ecke des Thronsaals und huschte geduckt auf Lucifer zu. Ihr rechter Arm endete in einem fleischigen Stumpf und ihr blondes Haar hing ihr verfilzt ins Gesicht, doch früher musste sie einmal sehr schön gewesen sein. In ihren dunklen Augen glomm eine gewisse Zufriedenheit.
Sie neigte kurz den Kopf vor Lucifer und bedeutete ihm dann schweigend, ihr zu folgen. Kaum dass sie den Thronsaal und damit Satans Blickfeld verlassen hatten, verfiel sie in einen aufrechten, fast beschwingten Gang. Mit erstaunlicher Behändigkeit führte sie ihn hinauf in den ersten Stock und dort in ein schlichtes Zimmer mit Bett und angrenzendem Badezimmer.
„Setz dich, ich hole dir Eis zum Kühlen“, erbot sie sich und war im nächsten Moment schon wieder in den dunklen Gängen verschwunden. Verblüfft sah Lucifer ihr nach, hatte nicht damit gerechnet, dass ihm hier unten jemand mit Freundlichkeit begegnen würde. Er ließ sich aufs Bett fallen, raffte die Toga hoch und untersuchte seine schmerzenden Kniekehlen, die blau angelaufen waren. Jede Bewegung bereitete ihm Schmerzen.
Leona kehrte nur wenige Minuten später mit einem in ein Tuch eingeschlagenen Eisblock zurück, den sie Lucifer reichte. Die Kälte tat gut.
„Es ist besser, ihm unterwürfig zu begegnen“, sagte sie ohne Tadel in der Stimme, nur mit ehrlicher Besorgnis. Lucifer fand sie auf Anhieb sympathisch. „Stolz ist in der Hölle unangebracht; in der Hölle herrscht das Gesetz des Stärkeren. Und ich bin mir nicht sicher, ob Satan weiß, dass der Körper eines Engels weniger belastbar ist als der eines Dämons.“
„Warum lasst ihr euch von diesem Kerl herumschubsen?“, fragte Lucifer.
„Satan ist der stärkste Dämon der Hölle und er weiß, welche der anderen Dämonen er einschüchtern und welche mit Gefälligkeiten bestechen muss, um seine Position zu erhalten. Er ist der König und der Rest ist Abschaum.“ Sie sprach diese Worte ohne Wut und ohne die geringste Verachtung. Ihre verbliebene Hand tastete behutsam über Lucifers Kniekehlen. „Es wird heilen, aber das ist nur der Anfang, wenn du dich weiterhin so aufführst.“
„Ich werde mich ihm nicht unterwerfen“, entgegnete der Seraphim ernst. „Wenn ich sterbe, dann mit hoch erhobenem Haupt.“
„Diese Einstellung haben viele gehabt, bevor sie Satan in die Klauen gefallen sind“, seufzte Leona, dann erhob sie sich lautlos. „Ich werde später noch einmal nach dir sehen, Lichtbringer. Schlaf dich aus und schon deine Kräfte für später. Du wirst sie brauchen.“
Ein Schrei ließ Lucifer aufschrecken. Stocksteif saß er im Bett und glaubte einen Moment lang, er habe ihn nur geträumt, doch dann erklang der Schrei noch einmal: hoch, laut und durchdringend. Der Schrei eines kleinen Mädchens.
Mit wild schlagendem Herzen wartete der Engel, bis der nächste Schrei verstummt war, dann schlug er die Decke zur Seite und schlich zur Türe. Lautlos trat er auf den Flur und grade als er die Tür zu seinem Raum schloss, schrillte der Schrei so durchdringend durch den Palast, dass Lucifer die Hände auf die Ohren pressen musste, doch es half nicht. Nach einigen Sekunden musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass er die Schreie nicht mit den Ohren sondern in seinem Kopf hörte. Er war noch keine 24 Stunden hier und wurde schon wahnsinnig.
„Keine Sorge“, meldete sich Amon hinter ihm und Lucifer wirbelte zu ihm herum. Der Dämon zupfte an seinem Pferdeschwanz herum, während seine rot glühenden Augen aufmerksam über den halb entblößten Körper des Engels glitten. Zum Schlafen trug Lucifer stets nur Unterwäsche und in der Hölle herrschten deutlich höhere Temperaturen als im Himmel.
„Wir alle hören ihre Schreie, aber wir können ihr nicht helfen“, beendete Amon seinen Satz und leckte sich dabei allzu auffällig über die Lippen. Noch immer hing sein Blick so konzentriert auf Lucifers entblößtem Oberkörper, sodass es dem Engel allmählich unangenehm wurde.
„Woher kommen die Schreie?“, wollte Lucifer wissen und verschränkte schützend die Arme vor der Brust.
„Aus den Kerkern unter dem Thronsaal“, entgegnete Amon ernst. Er drehte sich halb um und starrte in die Dunkelheit, aus der lautlos Leona auftauchte. Die beiden nickten sich kurz zu und ihre Augen glühten rot, als sie gleichzeitig einen Schritt auf Lucifer zu machten. Wachsam wich der Engel zurück, doch die Dämonen gebärdeten sich nicht bedrohlich.
„Geh schlafen, Amon“, wies Leona ihn mit merklicher Besorgnis an. „Satan wird morgen schlecht gelaunt sein und das an dir auslassen.“
Sie sprach davon wie von dem morgigen Mittagessen. Schockiert musste Lucifer feststellen, dass es für die Dämonen am Hofe Alltag geworden war, sich misshandeln zu lassen und zu Satans Verfügung zu stellen, so wie Leona es ihm erklärt hatte. Amon ließ den Blick noch einmal über Lucifer schweifen, dann nickte er.
„Das werde ich, obwohl es vermutlich der Engel sein wird, der Satans schlechte Laune kompensieren darf.“ Er drehte sich um und verschwand mit ausholenden Schritten im Dunkel. Lucifer lief ein kalter Schauer über den Rücken.
„Wer hat da geschrien?“, fragte er erneut, um sich abzulenken. Über Amon würde er Leona später noch ausgiebig ausfragen. Dieser Kerl war ihm ein wenig unheimlich und in dieser Nacht hatte er in Lucifer eine ähnliche Furcht ausgelöst wie Satans Anblick.
„Vanth“, antwortete Leona kurz angebunden. Mit ihrem Armstumpf stieß sie die Tür zu Lucifers Zimmer auf und dirigierte ihn hinein, um sich aufs Bett zu setzen. Ihr magerer Körper wurde von dem weißen Nachthemd nur teilweise bedeckt und sie wirkte, als würde sie frieren, doch als Lucifer ihr anbot, sich in die Decke zu kuscheln, lehnte sie dankend ab.
„Satan hält die arme Kleine im Kerker gefangen, weil er sich vor ihr fürchtet.“
„Weshalb sollte sich jemand wie Satan vor einem Kind fürchten?“, wollte Lucifer stirnrunzelnd wissen und Leona seufzte leise.
„Weil er Vanth nicht töten kann. Er glaubt, dass sie eine ernsthafte Bedrohung für ihn darstellen würde, würde er ihr erlauben, sich frei zu bewegen, deshalb hält er sie unter Verschluss. Warum sie aber schreit, wissen wir nicht, denn es ist niemandem außer von ihm selbst ausgewählten Dämonen gestattet, sie zu sehen“, erklärte Leona. Sie rutschte ein Stück zur Seite und bedeutete ihm so, sich zu ihr zu setzen, also folgte Lucifer der Aufforderung.
„Könnte Vanth ihm denn gefährlich werden?“
„Ich weiß es nicht.“ Leona neigte den Kopf. „Kennst du dich mit den verschiedenen Arten von Dämonen aus, Lichtbringer?“
Wahrheitsgemäß schüttelte er den Kopf. Inzwischen waren Vanths Schreie verstummt und eine unangenehme Stille lastete über dem königlichen Hof; umso mehr freute sich Lucifer über Leonas Anwesenheit und ihre beruhigende Stimme.
„Grob lässt sich meine Rasse in drei Kategorien einteilen: die Urdämonen, die die Dämonenmutter selbst geboren hat, aber die bereits vor langer Zeit vernichtet wurden. Dann Dämonen wie Satan und mich, die in menschenähnlicher Gestalt auftreten und sich von Menschenseelen ernähren, außerdem die körperlosen Schwertdämonen wie Amon.“
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