Etwas in Sigruns Haltung deutete auf Ungeduld, und ein leichter Spott lag in dem Tone, mit dem sie antwortete:
»Ja, ja, Herr Elversson, ich wußte, Sie würden sich freuen. Aber da dies wohl unser letztes Zwiegespräch sein wird, so will ich Ihnen sagen, daß nicht Sie allein mich veranlaßt haben, wieder heimzukehren. Ich habe auch viele Hilfe von Ihrer Frau erfahren; vielleicht noch mehr Hilfe von ihr als von Ihnen. Ich glaube, sie hat über alle Grenzen geliebt,« fuhr Sigrun mit einem weichen Klang in der Stimme fort. »Von ihr hab' ich zu lernen gesucht, wie man lieben soll.«
Ein Schatten flog über Sven Elverssons Gesicht.
»Sie war eine gute Frau,« sagte er einfach, ohne seinen gewöhnlichen Wortreichtum. »Wir hielten sehr viel von ihr, solange sie unter uns lebte.«
»Mutter Thala hat mir viel von ihr erzählt,« sagte Sigrun. »Sie soll am Tage, nachdem das Schulhaus abgebrannt war, nach der Grimö gekommen sein. Sie wollte Ihnen sagen, sie und der Schullehrer hätten ihr bestes getan, damit es den Kindern darin gefalle. Und sie ermahnte Sie, dieses Unglück nicht allzu schwer zu nehmen, Sie hätten sich durch Ihre Arbeit längst Freunde erworben. Die Leute fingen an einzusehen, was Sie für ein Mann seien.«
Sven Elversson machte eine ergebene Bewegung, die andeuten sollte, daß er wünsche, mit weiterem über diesen Gegenstand verschont zu werden. Aber Sigrun fuhr fort:
»Ich habe Ihre Frau in Applum gesehen, sie war sehr häßlich, dessen entsinne ich mich wohl. Vielleicht war es das, vielleicht auch etwas anderes, was Sie reizte, denn Mutter Thala sagt, Sie hätten sie angeschnauzt wie vorher noch nie sonst irgend jemand. ›Wenn ich jetzt käme und Sie fragte, ob Sie meine Frau werden wollen‹, hätten Sie höhnisch zu ihr gesagt, ›so würde ich ja sehen, wie Sie mich abfertigten.‹ Sie sei darauf weder rot noch blaß geworden, sondern geradezu aschgrau im Gesicht und sofort aufgestanden. ›Sie sagen das im Scherz und ohne sich etwas dabei zu denken,‹ habe sie gesagt. ›Wenn Sie mich das einmal im Ernst fragen würden, so wäre das der glücklichste Tag meines Lebens.‹ – Nachdem sie das gesagt hatte, sollen Sie ganz rot geworden sein, und ein paar Jahre später haben Sie sie wirklich geheiratet, weil diese Antwort ihnen gezeigt hatte, welch ein gutes und hochgesinntes Mädchen sie war.«
»Ja, das ist wahr, sie war gut und hochherzig,« erwiderte Sven Elversson. »Ich lasse ihr alle Gerechtigkeit widerfahren. Es war ja wunderbar, daß sie sich überhaupt mit so einem, wie ich bin, verheiraten mochte.«
»Sie ist es gewesen, die Ihnen geraten hat, hierher nach Hånger überzusiedeln, das hat mir Mutter Thala gesagt,« fuhr Sigrun fort. »Sie kannte den Hof und wußte, daß er öde und verlassen dalag, und daß Sie ihn um einen Spottpreis erwerben könnten. Sie verschaffte Ihnen eine friedliche Häuslichkeit, besorgte Ihre Geschäfte, verkaufte, wenn ich mich recht entsinne, Waldstrecken, damit Sie genügend Geld in die Hand bekamen, und sie richtete Ihr Haus so ein, daß es den Gewohnheiten und Ansprüchen, die Sie durch Ihre Erziehung bekommen haben, einigermaßen entsprach. Auch nahm sie alle die Notleidenden, die Sie ausfindig machten, auf und sorgte für sie, bis es Ihnen gelang, ihnen sonst irgendwo ein Unterkommen zu verschaffen. Und diese Frau sollte Sie nicht geliebt haben? Das ist unmöglich.«
»Ach nein!« antwortete Sven Elversson. »Ich glaube, sie hat es versucht, mich zu lieben. Sie kämpfte mit dem, was bei mir zu überwinden war, aber zuletzt wurde es ihr zu übermächtig, und da ging sie mit Gustavson auf und davon.«
»So war es nicht! So war es durchaus nicht!« entgegnete Sigrun hastig. »Deshalb ist sie nicht mit ihm gegangen. Nein, aber sie wußte, daß Sie eine andere liebten, Sie hatten sich auf irgendeine Weise verraten. Sie haben eine Gedichtsammlung, die beständig auf Ihrem Tische liegt. In dieser lesen Sie sehr oft, das hat mir Mutter Thala gesagt. Aber Sie lesen immer nur ein einziges Gedicht, einzig und allein das eine, ein Liebeslied von dem Isländer Bjarni Thorarensen.«
Sven Elversson sprang auf. Er griff sich an die Brust. »Wohin zielen Sie?« stieß er hervor, und es lag beinahe etwas Drohendes in seinem Tone.
Sigrun hob die Hand.
»Ich will von Ihrer Frau mit Ihnen reden,« sagte sie. »Morgen werde ich fort sein,« fügte sie besänftigend hinzu.
Geduldig und unterwürfig nahm er wieder Platz. Aber seine Augen hatten den freundlichen Schimmer verloren und schauten Sigrun ernst und streng an.
Der horchende Mann beugte sich in höchster Spannung vor. Er erkannte ja wohl Sigruns Stimme wieder, allein es war manches in ihrem Wesen, was ihm fremd erschien. Sie hatte jetzt etwas von dem gelassenen Selbstbewußtsein der reifen Frau an sich, das ihr sonst fremd gewesen war.
»Sie hat viel durchgemacht, seit ich sie zuletzt gesehen habe,« dachte er. »Noch nie hat sie eine solche Macht gehabt, den im Bann zu halten, mit dem sie spricht. Jetzt kann ihr niemand mehr widerstehen.«
»Wir wollen annehmen,« fuhr Sigrun fort, »Ihre Frau habe letzten Herbst deutlicher als jemals gemerkt, daß Sie sie nicht liebten. Vielleicht haben Sie jenes Gedicht häufiger als sonst gelesen. Was weiß ich? Und sie ging von Ihnen fort, aber so, daß Sie nicht zu glauben brauchten, sie sei aus Liebe gegangen, um Ihnen das Leben leichter zu machen. Darum ging sie mit dem Scherenschleifer. Ich habe mit Ihrer Mutter darüber gesprochen, und sie ist vollständig meiner Meinung. Und der Scherenschleifer hat mir auch dasselbe gesagt. – ›Sie ist zu mir gekommen, weil Sven Elversson sie nicht liebte,‹ sagte er.«
Abwehrend erhob Sven Elversson die Hände.
»Warum soll ich das anhören?« fragte er. »Meinen Sie etwa, es tue mir wohl, das zu wissen?«
»Ja,« erwiderte sie. »Das Bewußtsein, von einem guten Menschen so innig geliebt worden zu sein, tut immer wohl. Es tut Ihnen wohl, daß Sie sie nicht im Verdacht der Verstellung und Veränderlichkeit haben müssen. Sie verstehen: Sie war von derselben Art wie der Krieger, von dem wir vorhin gelesen haben. Sie hat mich gelehrt, wie man lieben kann,« fuhr Sigrun fort. »Von ihr hab' ich gelernt, wie die Liebe über allen Verstand gehen, wie sie die Seele bis zu dem Grad erfüllen kann, daß diese den eigenen Körper für nichts achtet.«
Sie stand auf und stellte sich hinter Sven Elverssons Stuhl. In ihrer jetzigen Stellung konnte ihr ihr Gatte hinter der Hecke gerade ins Gesicht sehen, und er wich fast zurück vor der überirdischen Schönheit, die in diesem Augenblick auf den herrlichen Zügen lag.
Sie sprach nun sehr rasch und entwickelte ihre Gedanken, ohne auf Antwort zu warten.
»Das Lied in Ihrem Gedichtbuch, das Sie beständig zu lesen pflegen, Herr Elversson, ist der ›Sang an Sigrun‹. Ob es des Namens wegen ist oder aus einem anderen Grund, eines ist gewiß: Ihre Frau glaubte zu wissen, wen Sie lieben.«
Sven Elversson wollte reden, Beteuerungen und Versicherungen abgeben, aber Sigrun wehrte ab.
»Ich muß ausreden dürfen, damit Sie einsehen, wie Ihre Frau im Leben liebte. Machen Sie einmal den Versuch, sie sich als eine Seele vorzustellen, die nur Liebe ist, und daß diese Seele beschließt, sich für den zu opfern, den sie liebt! Daß sie Mittel und Wege sieht, die kein anderer sich hätte denken können, daß sie sich des Willens eines anderen Menschen bemächtigt, diesen lenkt, leitet, führt, ihm Gedanken zuflüstert, ihm sagt, was er reden soll, und schließlich alles zwingt, sich ihrem Wunsche zu fügen.«
Sven Elversson schüttelte den Kopf. Er sagte mit seiner sanftesten Stimme, aber vollkommen abweisend:
»Das heißt reden wie Lotta Hedmann.«
»Ja,« sagte Sigrun. »Ich weiß, ich rede wie Lotta Hedman. Und ich leugne auch nicht, daß es Lotta Hedman ist, die mich gelehrt hat, an die Macht der Verstorbenen zu glauben. Aber woher wissen Sie denn, daß sie nicht recht hat? – Was war das für ein Leitstern, der die Sterbende gerade zu mir führte? Und woher stammte der Gedanke, der Macht über mich bekam? Sie wissen, wie ängstlich und empfindsam ich bin. Es ist wahr, ich dachte daran, davonzulaufen, aber warum sollte ich es auf diese Weise tun? Ich hätte noch andere Auswege gehabt. Aber von dem Augenblick an, wo Ihre Frau tot in meinem Bette lag, sah ich keine andere Möglichkeit mehr vor mir, konnte nichts anderes mehr denken. Warum konnte mir auch Lotta Hedman keinen Widerstand leisten? Warum kam der Scherenschleifer erst, nachdem ich schon meines Weges gegangen war? Warum war er an jenem Tage so still und nachgiebig? Warum wurden wir nicht eingeholt? Warum wurde mein Geld gestohlen? Warum wurde nichts entdeckt? Ich hatte doch wahrhaftig keine tiefen Pläne gemacht. Warum all dies, Herr Elversson, wenn nicht darum, weil die Frau, die Sie mit so unendlicher, gewaltiger Liebe liebte, beschlossen hatte, die Frau, die Sie liebten, zu Ihnen zu führen?«
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