Als der vornehme alte Mann sich auf die Bank gesetzt hatte, sah er erst eine Weile auf Stockholm hinab, das in all seiner Pracht unter ihm ausgebreitet lag, und dann atmete er tief auf, als wolle er die ganze Schönheit der Stadt einatmen. Darauf wandte er sich an den Spielmann.
»Sieh einmal, Klement,« sagte er, und während er sprach, zeichnete er in dem Kiesgang zu ihren Füßen eine kleine Karte. »Hier liegt Uppland, und hier schiebt es nach Süden zu eine Landzunge vor, in die eine Menge Buchten einschneiden. Und hier kommt Sörmland mit einer anderen Landzunge, die ebenso eingeschnitten ist und schnurgerade nach Norden geht. Und hier kommt ein See von Westen her, der ist voller Inseln: das ist der Mälar. Und hier kommt von Osten her ein anderes Gewässer, das vor lauter Inseln und Schären kaum weiterkommen kann, das ist die Ostsee. Und hier, Klement, wo Uppland sich mit Sörmland begegnet, und der Mälarsee mit der Ostsee zusammentrifft, läuft ein kleiner Fluß, der heißt Norrström, und mitten im Norrström liegen drei Werder.
Anfangs waren diese Werder nichts weiter als gewöhnliche Werder mit ein paar Bäumen darauf, von der Art, wie sie noch heute zahlreich im Mälar liegen, und sie lagen lange Zeit ganz unbewohnt da. Eine gute Lage hatten sie ja freilich, da sie mitten zwischen zwei Gewässern und zwei Landschaften lagen, aber das beachtete niemand. Ein Jahr nach dem anderen ging dahin. Die Leute siedelten sich auf den Mälarinseln und draußen in den Schären an, aber die drei Werder im Strom bekamen keine Einwohner. Ausnahmsweise konnte es wohl einmal geschehen, daß ein Schiffer bei einem von ihnen anlegte und sein Zelt für die Nacht dort aufschlug.
Niemand aber blieb dauernd dort.
Es war schon spät im Sommer, und das Wetter war noch schön, obwohl die Abende bereits anfingen, dunkel zu werden. Der Fischer zog sein Boot an Land, legte sich daneben, den Kopf auf einem Stein und schlief ein. Als er erwachte, war der Mond schon lange aufgegangen. Er stand gerade über seinem Kopf und leuchtete gar prächtig, so daß es fast ganz hell war.
Der Mann fuhr in die Höhe und wollte eben das Boot ins Wasser schieben, als er eine Menge schwarzer Punkte sich draußen auf dem Meer bewegen sah. Es war eine große Schar Seehunde, die in voller Fahrt auf den Werder zukamen. Als der Fischer sah, daß die Seehunde scheinbar an Land kriechen wollten, duckte er sich nieder, um nach seinem Spieß zu suchen, den er immer im Boot bei sich hatte. Als er sich aber wieder aufrichtete, waren keine Seehunde mehr zu sehen; statt ihrer standen am Ufer des Sees die schönsten jungen Mädchen in schleppenden, grünen seidenen Gewändern und mit Perlenkränzen im Haar. Da begriff der Fischer, daß es Meerjungfrauen waren, die auf den öden Schären, weit draußen im Meer wohnten, und die nun Seehundkleider angelegt hatten, um an Land zu schwimmen und sich im Mondschein auf den grünen Werdern zu belustigen.
Ganz leise legte er den Spieß wieder hin, und als die Meerjungfrauen auf den Werder hinaufkamen, um zu spielen, schlich er hinterdrein und betrachtete sie. Er hatte gehört, daß die Meerjungfrauen so schön und anmutig sein sollten, daß niemand sie sehen könne, ohne von ihrer Schönheit bezaubert zu sein, und er mußte zugeben, daß dies keine Übertreibung war.
Als er ihrem Tanz unter den Bäumen eine Weile zugesehen hatte, ging er an den Strand hinab, nahm eines der Seehundkleider, die dort lagen, und versteckte es unter einem Stein. Dann kehrte er nach seinem Boot zurück, legte sich daneben und stellte sich schlafend.
Bald darauf sah er die Meerjungfrauen an den Strand hinab kommen, um die Seehundkleider anzuziehen. Anfangs war alles Spiel und Fröhlichkeit, bald aber verwandelte es sich in Jammer und Klagen, weil eine von ihnen ihr Gewand nicht finden konnte. Sie liefen alle am Ufer hin und her und halfen ihr suchen, keine aber fand es. Während sie so liefen und suchten, sahen sie, daß der Himmel hell wurde und daß der Tag nahe war. Da schien es, als könnten sie nicht länger bleiben, sie schwammen alle davon bis auf diejenige, die kein Seehundkleid hatte. Die blieb am Strande sitzen und weinte.
Der Fischer hatte ja freilich großes Mitleid mit ihr, aber er zwang sich, ruhig liegen zu bleiben, bis es heller Tag geworden war. Da stand er auf und schob das Boot in die See hinaus, und als er die Ruder schon erhoben hatte, tat er so, als erblicke er sie ganz zufällig. ›Was für eine bist denn du?‹ rief er. ›Bist du eine Schiffbrüchige?‹
Sie stürzte auf ihn zu und fragte, ob er nicht ihr Seehundkleid gesehen habe, der Fischer aber tat so, als verstehe er nicht einmal, wonach sie ihn fragte. Da setzte sie sich wieder hin und weinte, aber nun schlug er ihr vor, zu ihm in sein Boot zu kommen. ›Komm mit nach Hause in meine Hütte,‹ sagte er. ›Dann kann meine Mutter sich deiner annehmen. Du kannst doch nicht hier auf dem Werder sitzen bleiben, wo du weder ein Bett noch einen Bissen Essen bekommen kannst!‹ Und er sprach so gut, daß sie sich überreden ließ, zu ihm in das Boot zu kommen.
Der Fischer wie auch seine Mutter waren unbeschreiblich gut gegen die arme Meerjungfrau, und sie schien sich sehr wohl bei ihnen zu befinden. Mit jedem Tage wurde sie fröhlicher, sie half der Alten bei der Arbeit und war ganz so wie ein Fischermädchen, nur daß sie viel schöner war als alle die anderen. Eines Tages fragte der Fischer sie, ob sie seine Frau werden wolle, und dagegen hatte sie nichts einzuwenden; sie sagte sogleich ja.
Da rüstete man zur Hochzeit, und als die Meerjungfrau als Braut geschmückt werden sollte, zog sie ihr grünes, seidenes Kleid an und flocht den schimmernden Perlenkranz in ihr Haar, so wie sie gekleidet gewesen war, als der Fischer sie zum erstenmal gesehen hatte. In jenen Zeiten gab es in den Schären weder Pfarrer noch Kirche. Die Brautleute setzten sich in ein Boot und ruderten auf den Mälar und ließen sich in der ersten Kirche trauen, zu der sie kamen.
Der Fischer hatte seine Braut und seine Mutter im Boot und er segelte so gut, daß er allen anderen voraus war. Als er so weit gekommen war, daß er den Werder im Strom sehen konnte, wo er seine Braut gewonnen hatte, die nun so stolz und geschmückt an seiner Seite saß, konnte er sich eines Lachens nicht erwehren. ›Worüber lachst du?‹ fragte sie. – ›Ach, ich denke an die Nacht, als ich dein Seehundkleid versteckte,‹ antwortete der Fischer, denn nun fühlte er sich ihrer so sicher, daß er meinte, er brauche ihr nichts mehr zu verbergen. – ›Was sagst du da?‹ fragte die Braut. ›Ich habe doch nie ein Seehundkleid besessen.‹ Es war, als habe sie alles vergessen. ›Weißt du denn nicht mehr, wie du mit den Meerjungfrauen getanzt hast?‹ fragte er. – ›Ich weiß nicht, was du meinst,‹ sagte die Braut. ›Ich glaube, du hast über Nacht einen wunderlichen Traum gehabt.‹
›Wenn ich dir nun dein Seehundkleid zeige, wirst du mir dann glauben?‹ fragte der Fischer und steuerte im selben Augenblick auf die Insel zu. Sie gingen an Land und sie fanden das Gewand unter dem Stein, wo er es versteckt hatte.
Kaum aber sah die Braut das Seehundkleid, als sie es ihm entriß und sich über den Kopf warf. Es umschloß sie, als sei es lebend, und sie stürzte sich sofort in den Strom.
Der Bräutigam sah sie davon schwimmen; er sprang ihr nach ins Wasser, konnte sie aber nicht erreichen. Als er sah, daß er sie auf keine andere Weise zurückhalten konnte, griff er in seiner Verzweiflung nach dem Spieß und warf ihn nach ihr. Er traf besser, als er gewollt hatte, denn die arme Seejungfrau stieß einen klagenden Schrei aus und verschwand in der Tiefe.
Der Fischer blieb am Strande stehen und wartete darauf, daß sie wieder zum Vorschein kommen würde. Da aber sah er, daß sich ein milder Schein ringsumher über das Wasser verbreitete. Es strahlte in einer Schönheit, wie er nie zuvor etwas Ähnliches gesehen hatte. Es schimmerte und glitzerte rosenrot und weiß, so wie die Farben im Innern einer Muschel schillern.
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