Maria, Holsteins eher zu den angenehmen Dingen des Lebens tendierende Tochter, legte trotz ziemlicher Bedenken und allerhöchster mathematischer Unterstützung Holsteins ein überdurchschnittlich gutes Abitur ab. Exakt in der Schule, in der Holstein dies sechsundzwanzig Jahre vorher tat. Sie studierte anschließend sieben Jahre Jura, legte mit Bravour das erste und danach das zweite Staatsexamen ab, war danach zwei Jahre auf Jobsuche und arbeitet heute als selbständige Anwältin im Sächsischen.
Holstein selbst verblieb noch bis 1992 im neu geschaffenen Regierungspräsidium. Im Frühjahr dieses Jahres, sich schon auf der sicheren Seite wähnend, erfolgte seine fristlose Entlassung aus dem öffentlichen Dienst wegen einstiger inoffiziellen Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Der ihm die Entlassung Aussprechende war das ehemalige Mitglied der SED-Hochschulparteileitung Zweiniger, zuständig damals für Agitation und Propaganda, und jetziger Abteilungsleiter des Bereiches „Wirtschaft“ im Regierungspräsidium, der Holstein zu Studienzeiten einmal mangelndes politisches Bewusstsein vorwarf. Jetzt allerdings auch gewendet als CDU-Mitglied.
Gert Holstein durchlief die Tretmühlen des kapitalistischen Systems bis zur Neige. Nach Jahren der Arbeitslosigkeit, Fortbildung, Kurzbeschäftigungen, Arbeitsbeschaffungs-maßnahmen und einer sehr schnell wieder aufgegebenen Selbständigkeit gelang es ihm erst zu Beginn des Jahres 1997 wieder, nachhaltig beruflich Fuß zu fassen. Für die nächsten neun Jahre war er als EDV-Techniker und –Ausbilder in zwei bundesweit agierenden Firmen tätig. So lernte er im Schnelldurchlauf kennen, was ihm die berühmt-berüchtigten 40 vorherigen Jahre verborgen blieb: den Westen Deutschlands.
Im Alter von 59 Jahren wurde Holstein erneut arbeitslos und verblieb dies bis kurz vor Vollendung seines 62. Lebensjahres. Den Absturz nach Hartz-Vier entging er nur durch den vorzeitigen und rentenpunktreduzierten Eintritt in den Vorruhestand.
Bleibt uns noch, über Vater und Mutter Holstein zu berichten. Vater Holstein erreichte, was er sich anfänglich scherzhaft und sanft belächelt, später allen Ernstes vorgenommen hatte: Er erlebte die Jahrtausendwende. Da war er 86 Jahre alt. Die neue, nachwendige Zeit war ihm jedoch ein Greuel, obgleich er ausgestattet mit einer üppigen Rente darin sehr komfortabel leben konnte. Aber nicht der schnöde Mammon war sein stetes Lebensziel, er hätte auch mit bedeutend weniger auskommen können. Es war das, wie er meinte, wiederholte Versagen der Arbeiterklasse, das ihm schwer im Magen lag. Vater Holstein starb nach einem schweren Schlaganfall kurz vor Weihnachten im Jahr 2000.
Mutter Holstein lebt noch immer. Sie bewohnt eine schmucke, sehr sonnige Zweiraumwohnung in einem dresdener Vorort und erfreut sich, abgesehen vom altersbedingten Zipperlein, einer robusten Gesundheit. Es steht zu erwarten, dass sie auch ihren 90. Geburtstag im Jahr 2016 im Kreise ihrer Lieben verbringen wird.
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