Am nächsten Tag hatte ich unheimlich viel zu tun. Ich kam den ganzen Morgen nicht aus dem stickigen Physiokeller heraus. Trotzdem hielt ich immer Ausschau, ob nicht zufällig Beno um die Ecke kam. Denn er tauchte ja stets unangekündigt aus dem Nichts auf. Aber die Wahrscheinlichkeit, ihn zufällig anzutreffen, war sehr gering. Schließlich war er mir früher noch nie begegnet. Nach der Mittagspause musste ich an einer Sitzung mit meinen Mitstreitern, einigen Generälen und Ausbildern teilnehmen. Auch Tom, der Mann von Jackie war dabei. Er war wie immer ruhig und sachlich, aber sehr nett dabei. Es zog sich über einige Stunden dahin und ich starrte gelegentlich sehnsüchtig aus dem Fenster. Es war ein superschöner Tag, sonnig, kein Wind. Ich wollte eigentlich nur zu meinem Hund und mit ihr über den Strand toben. Als wir endlich fertig waren, eilte ich in mein Büro, schnappte meine Sachen und schwang mich auf mein Fahrrad. Während ich an der letzten Kontrolle warten musste, bis der Wachmann endlich seine Unterschrift unter die Papiere setzte, joggte Beno gemütlich an mir vorbei. Gedankenverloren mit Ohrstöpseln seines iPods im Ohr. Er lief schnurstracks durch den Kontrollposten und die Wachmänner schien das nicht zu stören. Dann bemerkte er mich und kam zu mir herüber. „Warum darf er denn einfach so durch die Kontrolle?“, fragte ich den Wachmann. „Der hat einen Chip“, war alles was er dazu sagte. „Ciao Bella.“ Beno kam lässig auf mich zu geschlendert. „Bella!?“, meinte ich empört und schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich bezog das auf dein knappes Outfit. Entsprechen diese Shorts denn den Richtlinien?“ Ich versuchte standhaft, nicht wieder rot anzulaufen. „Welche Richtlinien? Wo willst Du heute hinlaufen?“, fragte ich ihn schnell. „Ich werde Dich heute mal begleiten. Wohin willst Du?“ Er stellte seinen iPod aus und verstaute ihn in einer Hosentasche. „Nach Hause, aber vorher muss ich noch jemanden abholen.“ Das Grinsen ließ kurzfristig etwas nach und ich meinte schnell: „Du wirst diesen jemand bestimmt mögen. Ist übrigens eine Sie, ein tolles Mädchen.“ Wir machten uns auf den Weg. Ich fuhr gemütlich und er joggte langsam nebenher. „Was bedeutet das, dass du einen Chip hast? Ich kenne das nur von Haustieren.“ Er musste lachen. „Wird wohl so ähnlich sein. Die meisten von uns tragen Sender, mit denen man uns immer orten kann, egal wo wir sind.“ Ich war verblüfft. „Ihr werdet ständig beobachtet? Das ist doch gruselig! Können die nur sehen, wo ihr seid oder auch, was ihr so macht?“ „Nur wo wir sind, aber die gucken ja nicht ständig auf uns. Eigentlich nur im Einsatz. Und beruflich hat das schon seine Vorteile. Ich möchte nicht darauf verzichten. Privat interessiert es eigentlich keinen, was wir so machen.“ Das ergab Sinn. „Und jetzt bei der Kontrolle? Warum...“ „Dann piept es drinnen bei der Wache“, unterbrach er mich. „Die wissen dann, wer es ist und dass es in Ordnung ist.“ „Und wenn Du durch eine Flughafenkontrolle gehst, schlägt es dann auch gleich Alarm?“ Er hatte meine Neugier geweckt. „Mich lässt man bestimmt nicht in einen normalen Flieger steigen. Aus verschiedenen Gründen. Und es gibt nicht viele Länder, in die man mich einreisen lassen würde.“ Das schien kein Witz zu sein. Ein Staatsfeind, ein Killer, weltweit gesucht! Und ich ging hier gemütlich mit ihm die von Palmen gesäumte Allee entlang. Das Ganze passte irgendwie nicht zusammen und auch nicht zu ihm. Wir hatten so viel Spaß zusammen. Ich bog in die Straße ein, in der Jackies Villa lag, und stoppte vor dem Eisentor. Dann gab ich den Pincode ein, öffnete das Tor und rief laut: „Paula!“. Paula kam herausgesaust und freute sich, als hätte sie mich tagelang nicht gesehen. Beno schaute fasziniert zu. „Das ist Paulchen, das Wesen mit den flauschigsten Ohren.“ Ich liebte diesen Hund und kraulte ihr zum Beweis die Flauschohren. Beno lockte Paula zu sich. Ein bisschen unterwürfig kam sie zu ihm. Sie kroch fast dabei. Dann bückte er sich, hielt ihr seine Hände hin und kraulte sie schließlich. Sie schleckte seine Hände ab und wedelte mit dem Schwanz. Ihre Furcht war gebannt. Als er aufstand, sprang sie an ihm hoch und folgte ihm gleich, als wir unseren Weg fortsetzten. „He, du untreue Töle.“ Natürlich freute ich mich, dass sie ihn offensichtlich auch mochte. Wir fuhren bzw. liefen die Promenade entlang zu meinem Haus. Paula hatte wieder einen Stock gefunden, den sie sich aber nicht von Beno abluchsen ließ. „So, das ist Paulas und meine Behausung.“ Ich stellte mein Fahrrad in den Carport und betrat mein Reich. „Ist ja der Hammer! Was für eine coole Hütte!“ Beno wanderte zielstrebig durchs Haus auf die Veranda und sah über die Umrandung aufs Meer. Er atmete die frische Meeresluft tief ein und genoss den Blick auf die Brandung. „Ein kurzes Bad gefällig?“ „Klaro, geht ihr schon mal vor. Ich ziehe mich schnell um.“ Beno und Paula rannten die Treppe zum Strand herunter. Sein T-Shirt zog er während er die letzten Stufen runter sprang aus und warf es ans Ende der Treppe. Von oben sah ich die beiden ins Wasser sprinten. Ich zog mir schnell einen Bikini und ein T-Shirtkleid an, griff im Vorbeigehen zwei Handtücher und folgte ihnen zum Strand. Dann warf ich die Sachen zu Benos abgelegtem T-Shirt und lief etwas langsamer ins Wasser. Es war angenehm erfrischend, einfach herrlich nach so einem arbeitsreichen Tag. Ich schwamm zu meinem Hund, der schon wieder einen Stock an der Wasseroberfläche gefunden hatte. Beno kraulte aufs offene Meer zu. Paulchen und ich schwammen zurück zum Strand und machten es uns auf einem Handtuch bequem. Paula nagte genüsslich an ihrem neuen Stock, während ich mich von der Sonne trocknen ließ. Schließlich kam Beno aus dem Wasser. Ich konnte meinen Blick einfach nicht abwenden. Er musste einem Männermagazin entsprungen sein. Ich armes weibliches Wesen! Um mich abzulenken, klaute ich Paula den Stock und warf ihn in Benos Richtung. Er warf ihn wieder weg und jagte einige Minuten mit ihr über den Strand. Wie konnte man nur so viel Energie haben? Beno kam und ließ sich auf ein Handtuch fallen. „Du lebst hier ja im Paradies. Ist ja wie im Urlaub!“ Ich musste grinsen. Genau das empfand ich jeden Tag von neuem. „Es ist der schönste Ort, an dem man wohnen kann. Finde ich jedenfalls. Selbst wenn es mal stürmt, ist es unheimlich gemütlich im Haus.“ Ich sah stolz zum Haus empor: „Ich habe Hunger. Wie sieht’s mit Dir aus?“ „Gegen ein Steak und Salat hätte ich nicht einzuwenden.“ Er lächelte, eher unverschämt charmant. Konnte er jetzt Gedanken lesen? „Ich wollte mir tatsächlich ein Steak auf den Grill legen.“ Beno sprang auf und zog mich mit einer Hand hoch. Wir erklommen die steile Treppe. Während ich alles fürs Grillen raussuchte, ging Beno neugierig durchs Haus. Er hielt es nicht mal für nötig, sich ein Shirt überzuziehen. War er sich seiner Reaktion aufs andere Geschlecht womöglich gar nicht bewusst oder war es pure Absicht? Vor meiner Bücherwand blieb er stehen, studierte eindringlich die gesammelten „Werke“. Dann nahm er sich ein Buch heraus, fragte höflicherweise, ob er mir was helfen könnte, verschwand aber ohne eine Antwort abzuwarten auf die Veranda, wo er es sich mit dem Buch in einem Sitzsack bequem machte. Er schien sich ja sehr heimisch hier zu fühlen, dachte ich. Paula legte sich auch noch neben ihn, als ob das alles so gehörte. Sie vermied es dabei, mich anzusehen. Ich deckte draußen den Tisch, schnitt den Salat und legte ein paar Steaks auf den Grill. Kurze Zeit später saßen wir in der Sonne, aßen und unterhielten uns angeregt. Wie ein altes Ehepaar, stellte ich kichernd fest. Oder doch nicht? Die haben sich ja häufig nicht mehr viel zu sagen. Bislang war es mit Beno ganz und gar nicht langweilig. Er war sehr interessiert und was mich ein wenig überraschte, sehr informiert. Viel mehr als ich, musste ich mir eingestehen. Dass man in seinem Job dafür noch Zeit fand? Geschichte und Politik konnte ich ja noch einsehen. Sicherlich war das eine Grundvoraussetzung für einige Einsätze. Bildung und ein Modelaussehen passten hervorragend zusammen, stellte ich fest.
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