Weil ihn niemand in diesem Aufzug ernst nehme, sie ebenso wenig, ruft er ihr nach.
Sandra, kaum zwei Schritte weiter, hält ein.
Er komme zum Umziehen immer noch nicht in die eigene Wohnung. Jiska melde sich einfach nicht. Sie sei wie vom Erdboden verschwunden. Selbst Jäger wisse nicht, wo sie steckt. Er sei am Ende. Er verhungere, er verdurste, wenn er nicht wenigstens diesen Schein umgetauscht bekomme.
Sie hat die Verzweiflung gehört, auch ohne den letzten Satz.
Er hatte gehofft, dass wenigstens der Tankwart ihm den Fünfhundert Euro-Schein abnehme, wo er doch regelmäßig bei ihm einkaufe, erklärt er ihr weiter, als sie wieder mit ungläubigen Augen vor ihm steht. Aber selbst der habe den Kopf geschüttelt, als Busch mit dem Schein immerhin zwei Sixpacks Bier und Zigaretten haben kaufen wollen.
"Erwartest du heute Abend Gäste im Atelier?"
Es klingt wie ein Vorwurf, soll es ruhig. Sandra würde nämlich auch gern eingeladen werden.
Busch überhört den Vorwurf. Er brauche die leeren Flaschen für eine Skulptur.
Sandra versteht nur Bahnhof.
Sicher, er schütte das Bier nicht weg. Aber Ziel sei nicht das Trinken im eigentlichen Sinne, sondern die künstlerische Materialbeschaffung, gewissermaßen.
Es hilft nichts. Sie zieht die Unterlippe nach oben.
Wenn er fertig sei, könne sie ihn ja im Atelier besuchen und sich die Skulptur anschauen. Busch sieht auf die Uhr.
Sandra nickt und hält die Hand auf.
Er lächelt und legt das Geld hinein. Er warte draußen. Seitdem das Malheur mit dem Mäusemädchen passiert sei, setzt er hinzu, habe er eine regelrechte Phobie gegen Fünfhundert-Euro-Scheine entwickelt. Und Banken seien ihm von jeher ein Gräuel gewesen.
Sandra versteht kein Wort. Sie will nur schnell die fünfzig Euro verdienen. Vielleicht trinken sie ja anschließend noch einen Kaffee zusammen.
Er werde es ihr erklären, später, sagt Busch und streicht Sandra unvermittelt mit der Hand über die Wange. Sie fühlt, wie das Gesicht brennt, als sie das Foyer der Bank betritt, will besser nicht nachdenken, wann ein Mann sie auf diese Art und Weise das letzte Mal berührt hat. Sie hofft, er hat es unbewusst, ohne Absicht, ohne Berechnung getan.
Hinter dem Schalter erwartet sie ein großer junger Mann mit rundem Gesicht, schmalen Lippen, dunkelblonder Popperlocke und einem unverbindlichen Lächeln. Er nimmt die Brille zwischen Daumen und Ringfinger, rückt sie über der Nase gerade. Dazwischen mustert er Sandra über den Rand hinweg von oben bis unten. Wahrscheinlich bildet er sich ein, er sei die Ursache ihres roten Kopfes. Auf seine Frage, was er für sie tun könne, holt sie schweigend den Geldschein aus der Jackentasche und breitet ihn auf dem Tresen aus. Die von der Arbeit lädierten Hände streichen die Banknote sorgsam, beinahe liebevoll glatt. Zufällig passt ihr Nagellack zur Farbe des Geldes.
Ja, und?
Der Mann schaut sie an wie einstmals ihre Mutter, wenn sie sie der Lüge überführen wollte. Es sind dieselben kalten Augen, die Sandra noch heute in der Nacht verfolgen. Sie schaut auf den Schein, der vom vielen Glattstreichen einen Katzenbuckel macht. Wer sträubt sich hier bloß vor wem?
"Ich möchte den einen großen Schein in mehrere kleine umtauschen." Sandra flötet, mit Inbrunst. Sie piepst. Wenn sie sich bemüht, klingt ihre Stimme immer so schrecklich hoch. Wahrscheinlich wird sich das nie ändern.
Woher sie ihn habe, brummt der Mitarbeiter hinter der Theke. Er dürfte in ihrem Alter sein, entdeckt eine unüberbrückbare Divergenz zwischen Schein und Sandra.
Statt zu antworten, legt sie stumm die Unterarme auf den Tresen, schaut auf das Geld zwischen ihnen und dann den Bankmitarbeiter an. Ist er so blöd oder tut er nur so?
Der geschniegelte Fatzke hält wider Erwarten stand. Ja, er revanchiert sich mit einem Lehrerblick. Nein, so einen Besserwisser könnte man ihr ohne weiteres auf den Bauch binden. Da würde nichts passieren, selbst nach der langen Zeit. Allein, Carlos war auch einmal Lehrer, fällt ihr ein. Aber ihm sieht man es wenigstens nicht an. Und er schaut auch nicht so dämlich drein.
"Mein Mann hat ihn mir gegeben", sagt Sandra schnippisch. Die Worte gleiten erstaunlich leicht über ihre Lippen.
Ihr Mann?
Sein gespieltes Erstaunen kann er sich sonst wohin schieben. Wie eine Nonne aus dem Kloster sieht sie nun wahrlich nicht aus. Sandra weist hinaus vor die Tür. "Ja, mein Mann!", wiederholt sie entrüstet. "Woher er ihn hat, hat er mir allerdings nicht verraten."
So, so. Verlegen rüttelt er erneut an seiner viel zu großen Brille. Sandra bemerkt die billigen Anzugknöpfe am Unterarm. Zum ersten Mal gefällt ihr Buschs Anzug besser.
Sie möge ihn einfach mal hereinholen, verlangt er nun.
Meint der das wirklich im Ernst? Sandra starrt den Mann verständnislos an. Will er sie etwa übergehen, sie einfach in Luft auflösen? Ihr feministisches Unterbewusstsein schlägt Alarm. Sie wird sich das nicht bieten lassen, runzelt die Stirn, ringt um die passende Antwort, während der Typ sich auf Zehenspitzen stellt. Er sucht Busch, hinter dem Eingang. Die linke Hand rutscht gleichzeitig wie unabsichtlich unter den Tresen. Sandra bemerkt es. Sie braucht eine stolze, eine gerechte Antwort für dieses arrogante Schwein. Doch der erste Schwall an Worten, der ihr auf der Zunge liegt, sind Wörter ihrer Jugendzeit. Böse Worte. Aber mittlerweile ist sie Mutter, sie hat eine Aufgabe. Nicht zu vergessen die fünfzig Euro.
Ob es der Mann mit dem bunten Anzug sei?
Sandra schämt sich. Wenn Carlos hereinkommen muss, wird sie wohl kaum zehn Prozent erhalten. Ratlos sieht sie zu, wie vor ihrer Nase der Hemdsaum aus der Anzughose rutscht und sich über die Gürtelschnalle legt. Blasse, gewaxte Haut blitzt dazwischen auf. Der trägt ja nicht einmal ein Unterhemd! Igitt.
Warum ihr Mann denn nicht hereinkomme?
Sie ignoriert den süffisanten Ton. Erneut stützt er die Hände auf die Theke, versucht über die Schaufensterabdeckung hinwegzusehen. Als der zerfledderte Saum der goudafarbenen Unterhose hervorlugt, wird es Sandra zu viel. Sie dreht sich weg, flüchtet in einen Hustenanfall.
Ob ihr Mann etwa Ausländer sei, der deutschen Sprache nicht mächtig, bohrt der Typ unentwegt weiter.
Sie hört die Anspannung. Auf seiner Stirn haben sich Schweißperlen gebildet. Was geht jetzt in diesem Kopf vor? Nichts Gutes in jedem Fall. Ihre Gedanken summieren sich, wachsen zu einem Turm, der sie zu erschlagen droht. Nein, das sieht sie nicht ein! Nicht sie schon wieder! Männer werden als Angsthasen geboren, und sie bleiben es ein Leben lang. Weshalb sonst gibt es so viele Waffen auf dieser Welt? Lass die sich doch in erster Linie die Köpfe einrennen! So wie früher.
Sie winkt Busch energisch zu, als er am Eingang vorbeiwandert. Er sieht sie nicht. Entschlossen geht Sandra zwei Schritte Richtung Ausgang, kehrt dann zurück und nimmt den Schein mit. Gerade die Geschniegelten sind die Niederträchtigsten. Zufrieden geht sie hinaus. Im Anblick des Geldautomaten im Vorraum durchfährt sie ein aberwitziger Gedanke. Was wäre, wenn sie gegenüber Busch behaupten würde, der Schein sei falsch, der Mitarbeiter hätte ihn eingezogen, sie sollten besser fliehen?
Sandra stockt vor Schreck, schaut auf den Abtreter zu ihren Füßen. Nein, sie kann es nicht, sie will es nicht. Ehrlich währt am längsten, hat ihre Mutter gesagt.
Busch steht vor dem Schaufenster gegenüber. Das Gesicht, das er zieht, als sie gemeinsam die Filiale betreten, ist nicht zu beschreiben. Es könnte bei Uneingeweihten Mitleid erwecken. Bei Sandra erweckt es Verständnis für Jiskas Verschwinden. Und Wut auf ihre Mutter.
"Schatz, der Herr möchte wissen, woher du den Schein hast?" Vorsichtshalber schlüpft Sandra in die Vermittlerrolle.
Busch starrt erst sie, dann den Mitarbeiter an.
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