»Ich danke Euch, fühle mich aber nicht schläfrig. Es gibt noch viel zu thun. Wir müssen zu dem Bürgermeister gehen und den Vorfall anzeigen. Auch dürfen diese Leichname nicht entfernt werden, bis das Ganze bekannt gemacht ist. Will Euer Vater gehen, Amine, oder soll ich's thun?«
»Mein Vater ist, als der Eigentümer des Hauses, unstreitig die passendere Person. Ihr müßt bleiben und, wenn Ihr nicht schlafen wollt, einige Erfrischung zu Euch nehmen. Ich will hineingehen und meinen Vater davon in Kenntniß setzen; er hat bereits gefrühstückt.«
Amine begab sich in's Haus und kehrte bald mit ihrem Vater zurück, der sich bereitwillig zeigte, zu dem Bürgermeister zu gehen. Er grüßte Philipp freundlich, schauderte aber, als er an den Leichen vorbeikam, und verfügte sich raschen Schritts nach der nahe gelegenen Stadt, wo der Bürgermeister wohnte.
Amine forderte Philipp auf, ihr zu folgen; sie begaben sich in das Zimmer des Arztes, wo der junge Mann zu seiner Ueberraschung etwas Kaffee für sich bereit fand; ein derartiges Frühstück war nämlich in jener Zeit eine Seltenheit, die Philipp in dem Hause des filzigen Mynheer Poots nicht zu finden erwartete – indeß hatte sich der alte Mann in seinem früheren Leben so sehr an diesen Genuß gewöhnt, daß er desselben nicht gut entrathen konnte.
Philipp, der in den letzten vierundzwanzig Stunden fast Nichts zu sich genommen hatte, sprach ohne Bedenken dem ihm vorgesetzten Frühmahle zu. Amine setzte sich stumm ihm gegenüber.
»Amine,« begann Philipp endlich, »während meiner Nachtwache habe ich reichlich Zeit zu Erwägungen gehabt. Darf ich mich offen aussprechen?«
»Warum nicht?« versetzte Amine. »Ich fühle mich überzeugt, daß Ihr Nichts reden werdet oder überhaupt nur reden könnt, was das Ohr einer Jungfrau nicht hören dürfte.«
»Ihr laßt mir nur Gerechtigkeit widerfahren, Amine. Meine Gedanken haben sich mit Euch und Eurem Vater beschäftigt. Ihr könnt nicht länger in diesem einsamen Hause weilen.«
»Ach, es ist freilich zu einsam – das heißt für seine Sicherheit – vielleicht auch für die meinige – aber Ihr kenn't meinen Vater – gerade diese Abgeschiedenheit sagt ihm zu, der Miethzins ist nur gering und er scheut größere Ausgaben.«
»Wem sein Geld so sehr am Herzen liegt, der sollte es auch an einem sichern Orte unterbringen – und der gegenwärtige ist nicht sicher. Hört mich an, Amine. Wie Ihr wahrscheinlich wißt, habe ich ein Wohnhäuschen, das von vielen andern umgeben ist, welche sich gegenseitig schützen. Ich verlasse es – vielleicht für immer, denn ich gedenke mit dem ersten Schiffe in die indischen Meere auszufahren.«
»In die indischen Meere? und warum dies? Habt Ihr nicht erst in der letzten Nacht gesagt, daß Ihr im Besitze von mehreren tausend Gülden seid?«
»Das hat ganz seine Richtigkeit; aber Amine, ich muß fort – meine Pflicht ruft mich. Fragt mich nicht weiter, sondern hört, was ich Euch jetzt vorschlage. Euer Vater muß meine Wohnung beziehen und in meiner Abwesenheit für sie Sorge tragen; er erweist mir durch seine Einwilligung einen Gefallen und Ihr werdet ihm zureden. Ihr seid dort sicher. Er mag auch mein Geld in seine Obhut nehmen – ich brauche es vorderhand nicht und kann es auch nicht mit mir nehmen.«
»Meinem Vater ist nicht gut fremdes Geld anvertrauen.«
»Aber warum scharrt er auch zusammen? Er kann sein Geld doch nicht mitnehmen, wenn er abgerufen wird. Es ist also für Euch – und sollte in diesem Falle mein Geld nicht in sicherer Hand sein?«
»So überlaßt es meiner Sorge, und es soll gut aufbewahrt bleiben. Aber wozu habt Ihr nöthig, Euer Leben auf dem Wasser in Gefahr zu setzen, wenn Euch so reichliche Mittel zu Gebote stehen?«
»Amine, fragt mich hierüber nicht, denn ich kann Euch – wenigstens vorderhand – nicht weiter sagen, als daß ich die Pflicht eines Sohnes zu erfüllen habe.«
»Wenn von einer Verpflichtung die Rede ist, so will ich nicht weiter in Euch dringen. Es war nicht blos weibliche Neugierde, nein, nein – sondern ein besseres Gefühl, glaubt mir, was mich veranlaßte, die Frage zu stellen.«
»Und welcher Art wäre dieses Gefühl, Amine?«
»Ich weiß es selbst kaum – vielleicht eine Mischung vieler guten Gefühle – Dankbarkeit, Achtung, Vertrauen, Zuneigung. Sind diese nicht hinreichend?«
»Allerdings, Amine – und jedenfalls sind sie ein reicher Gewinn nach einer so kurzen Bekanntschaft; aber auch ich empfinde sie für Euch und noch viel mehr. Wie dem übrigens sein mag, wenn Ihr alles dies für mich fühlt, so erweist mir den Gefallen, Euren Vater zu bereden, daß er heute noch dieses einsame Haus verlasse und das meinige beziehe.«
»Und wohin wolltet dann Ihr gehen?«
»Wenn mich Euer Vater für die kurze Zeit meines Hierbleibens nicht als Hausgenossen haben will, kann ich irgendwo anders ein Obdach suchen; läßt er sich aber geneigt finden, so will ich ihn gut entschädigen, – das heißt, falls Ihr nichts dagegen habt, daß ich noch einige Tage in dem Hause bleibe.«
»Warum sollte ich auch? Unsere Wohnung ist nicht länger sicher und Ihr bietet uns Schutz an. Es wäre in der That höchst unrecht und undankbar, Euch von Eurem Herde zu vertreiben.«
»So redet ihm zu, Amine. Ich verlange keinen Miethzins, sondern betrachte es als eine Gunst, da ich nur mit Bekümmerniß scheiden könnte, wenn ich Euch nicht in Sicherheit wüßte. – Wollt Ihr mir's versprechen?«
»Ich will mir alle Mühe geben – ja – ich kann Euch schon jetzt sagen, daß es geschehen wird, denn ich kenne meinen Einfluß. Hier meine Hand darauf. Wird Euch dies zufrieden stellen?«
Philipp nahm die ihm dargebotene kleine Hand. Seine Gefühle überwältigten seine Klugheit; er führte sie nach seinen Lippen. Um sich zu überzeugen, ob Amine nicht unwillig sei, blickte er zu ihr auf und fand ihr dunkles Auge auf sich geheftet; wie früher, als sie ihn einließ, schien sie in seiner Seele lesen zu wollen – die Hand aber wurde nicht zurückgezogen.
»In der Thal, Amine,« sagte Philipp, die Hand des Mädchens abermals küssend, »Ihr dürft auf mich bauen.«
»Ich hoffe, – ich glaube – ja, ich bin überzeugt davon,« entgegnete sie endlich.
Philipp ließ ihre Hand los. Amine kehrte nach ihrem Sitze zurück und schwieg eine Weile in ernstem Nachsinnen. Auch Philipp hatte seine Gedanken und blieb stumm. Endlich begann Amine –
»Ich glaube von meinem Vater gehört zu haben, daß Eure Mutter sehr arm war – ein wenig heruntergekommen – und daß sich in Eurem Hause eine Stube befinde, welche viele Jahre verschlossen gehalten wurde.«
»Sie war verschlossen bis gestern.«
»Und dort habt Ihr Euer Geld gefunden? War denn Eurer Mutter nichts davon bekannt?«
»Allerdings, denn sie machte mir auf ihrem Sterbebette die betreffende Mittheilung.«
»So muß sie wohl gewichtige Gründe gehabt haben, das Gemach nicht zu öffnen?«
»Ja.«
»Und welcher Art waren dieselben, Philipp?« fragte Amine in weichem und gedämpftem Tone.
»Ich darf nicht davon sprechen – sollte wenigstens nicht. Es genüge Euch übrigens, wenn ich sage, daß es die Furcht vor einer Erscheinung war.«
»Vor einer Erscheinung?«
»Sie sagte, mein Vater sei ihr erschienen.«
»Und glaubt Ihr, daß es wirklich der Fall war, Philipp?«
»Ich zweifle nicht im Mindesten daran. Aber jetzt kann ich auf Eure Fragen nicht weiter antworten, Amine. Das Gemach ist wieder geöffnet, und es steht nicht zu besorgen, daß sich abermals eine Spukgestalt zeige.«
»Ich fürchte mich nicht davor,« versetzte Amine nachsinnend.
»Aber,« fuhr sie nach einer Weile fort, »hängt dies vielleicht mit Eurem Entschlusse, auf die See zu gehen, zusammen?«
»Ich will Euch so weit antworten, daß jener Vorfall der Beweggrund ist, der mich veranlaßt, zur See zu gehen; jetzt aber bitte ich, nicht mehr in mich zu dringen. Es ist schmerzlich, Euch etwas abzuschlagen, und meine Pflicht verbietet mir, mich weiter darüber auszulassen.«
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