»Der Fisch ist für mich, da kannst du mich so mitleiderregend anschauen, wie du möchtest«, ermahnte ich den Hund und kam mir vollkommen lächerlich vor. Eigentlich war ich nicht so vereinsamt, dass ich schon mit einem Tier sprechen musste, das mir noch nicht einmal antworten konnte. »Nase weg, ich hole dir etwas Anderes.«
Hatte ich eben noch vor Angst erstarrt im Sand gesessen, so kam er mir gar nicht mehr so einschüchternd vor. Dieser Blick … irgendetwas hatte dieses Tier an sich. Ich nahm das Steak, das ich für morgen geplant hatte, aus dem Kühlschrank und brachte es dem schwarzen Riesen nach draußen. Würde es für mich morgen eben nur Gemüse geben.
Brav saß er auf den Hinterläufen und wartete geduldig. »Du kannst nicht zufälligerweise Kunststückchen?«
Ein leises Knurren entwich seiner Kehle und ich hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut, hätte ja sein können. Meine Schüler hätten sich gefreut, wenn du ihnen etwas hättest vorführen können. Kinder mögen Hun … äh was auch immer du bist.«
Wenngleich ich hier abgelegen wohnte, warf ich einen Blick nach links und rechts, ob mich auch wirklich keiner beobachtete. »Ich hoffe, du beißt mir jetzt nicht die Hand ab, wenn ich es dir direkt gebe!?« Vorsichtig ging ich näher und hielt ihm am ausgestreckten Arm das Stück Fleisch entgegen. Speichelfäden hingen ihm von den Lefzen und ich hoffte, dass ich alle meine Finger behielt. Fast war es so, als ob irgendetwas ihn davon abhielt, gierig nach dem Steak zu schnappen. Stattdessen nahm er es mir sanft aus der Hand, um es dann direkt herunter zu schlingen.
»Da hat aber einer Hunger«, murmelte ich. Bevor ich mich meinem Essen zuwenden konnte, läutete das Handy in der Küche.
»Immer noch mein Fisch«, ermahnte ich ihn, ging nach drinnen, um das Telefonat anzunehmen. »Laoghaire O’Byrne.« Hoffentlich war das nicht wieder ein Elternteil von einem meiner Schüler. Irgendwie schienen die zu meinen, dass ich rund um die Uhr für die Belange meiner Schützlinge zuständig war. Ich trat wieder hinaus in den Garten.
»Lao« , erklang eine nur allzu bekannte Stimme und vor Schreck, wäre mir fast das Telefon aus der Hand geglitten.
»Devin«, keuchte ich und umklammerte das Smartphone.
»Das freut mich, dass du dich an meinen Namen erinnern kannst, Liebes. Noch schöner wäre es allerdings, wenn du hier und« , seine Stimme überschlug sich fast, so laut brüllte er in den Hörer »meine verdammte Frau wärst. Wie kannst du es dich wagen, mich einfach …«
Mit einem Tastendruck beendete ich das Gespräch und schaltete zugleich das Handy aus. Mist, wie hatte er an meine Telefonnummer kommen können? Von wegen Geheimnummer … das war sie jetzt wohl nicht mehr. Was aber noch viel schlimmer war, wenn er meine Nummer rausbekommen hatte, wusste er auch, wo ich mittlerweile wohnte. So wütend wie er gewesen war, würde es nicht lange dauern und er tauchte hier auf.
»Verdammt«, fluchte ich leise und ließ mich ins Gras sinken. Verzweifelt stützte ich den Kopf auf meine Hände. Ich wollte hier nicht weg. Es gefiel mir hier und ich liebte dieses Stück Land. Ein Stupsen an meiner Hand ließ mich aufschauen und ich versank in den wunderschönen Augen des Tieres. Sanft ließ ich meine Hand durch sein Fell gleiten und er drückte sich gegen mich. »Ich sollte mir wohl ein Gewehr zulegen, wenn ich hierbleiben möchte«, seufzte ich an seinem Fell. Als ich wieder zu dem Hund schaute, keimte eine ganz andere Idee in meinem Kopf auf. »Oder einen Wachhund«, murmelte ich. Leise fiepend legte er den Kopf schräg. »Du gehst nicht aufs Sofa und schläfst schon gar nicht mit in meinem Bett. Du sollst nur auf mich aufpassen!«
Schnuppernd hob ich die Nase um im nächsten Moment aufzuspringen. »Mein Fisch!«
Während ich aß, legte sich der noch namenlose Hund neben mich und schien sichtlich entspannt zu sein. Die geschlossenen Augen und regelmäßigen Atemzüge legten die Vermutung nahe, dass er schlief. Nur die Ohren, die sich immer wieder in verschiedene Richtungen bewegten, verrieten, dass er wach und aufmerksam war.
Wie immer strich ich nach dem Essen durch die Wiesen. Diesmal begleitet von einem großen schwarzen Hund, bei dem ich so sicher fühlte, wie schon lange nicht mehr. Mal lief er vor, mal ganz dicht neben mir, sodass ich ihm durch sein struppiges Fell streicheln konnte. Die Angst, die ich vor ihm gehabt hatte, war komplett verschwunden.
Dunkle Wolken am Horizont kündeten ein nahendes Gewitter an und ich wusste, wie schnell an der Küste das Wetter umschlagen konnte. Und richtig, wir hatten noch nicht ganz mein Cottage erreicht, als der Himmel die Schleusen öffnete und ich bis auf die Haut nass wurde.
»Na danke«, murrte ich. »Zwei Minuten hätte es nicht noch Zeit gehabt.«
Obwohl das Tier genauso nass wie ich war, hielt ich ihm die Tür auf und ließ ihn in dem kleinen Flur warten. Ich holte schnell ein Handtuch und rubbelte das Fell, so gut es ging, trocken. »Leg dich«, wies ich ihm den Vorleger im Wohnzimmer zu. Den konnte ich zur Not auswaschen.
Nachdem sich der große Kerl niedergelassen hatte, verschwand ich ins Bad, schälte mich aus den nassen Klamotten und genoss das warme Wasser der Dusche auf meiner kühlen Haut. Ein Frühlingsgewitter war nicht wirklich angenehm und der Regen war wirklich eisig gewesen.
Mit dem Handtuch um meinen Körper geschlungen betrat ich den Wohnraum und Nameless – ich brauchte wirklich einen Namen für ihn – schaute mich aus großen Augen an. Grübelnd tippte ich gegen mein Kinn. »Du brauchst dringend einen Namen, mein Großer … nur welchen?«
Er löste seinen Blick von mir und sein Kopf wanderte zu meiner Bücherwand. »Schon klar, ein Tier, das mich versteht«, murmelte ich und trat an die Bücher heran. Ich ließ die Hand über die Einbände wandern … irgendwie erinnerte er mich an ein Tier, das ich in einem meiner Bücher schon gesehen hatte. Ah, ich hatte eins über die nordische Mythologie, wenn ich das nur finden würde.
Wie nicht anders zu erwarten, war es eins der letzten und als ich mich bückte, hörte ich ein leises Winseln hinter mir. Langsam drehte ich den Kopf, richtete mich auf und schnappte nach Luft. »Du hast jetzt nicht … mir zwischen die Beine gestarrt?«, fragte ich fassungslos. Doch irgendetwas in seinem Blick sagte mir, dass dem so war.
»Du wartest draußen«, sagte sie zu ihm und betrat das kleine Haus.
Derweil hatte er sich auf den Rasen dahinter gelegt, in die Nähe eines seltsam anmutenden Gerätes, auf das sie etwas später einen Fisch legte. Rauch kräuselte sich in den Himmel, aber man konnte kein anständiges Feuer ausmachen. Da, brannte etwa der Fisch? Nein, das Gerät schien mit verbranntem Holz gefüllt zu sein und glühte rauchend vor sich hin. Bei dem Barte der Jötun! Beherrschte sie die Elemente, oder wie hatte sie das Feuer so ganz ohne Feuerstein und Stahl gemacht?
»Der Fisch ist für mich, da kannst du mich so mitleiderregend anschauen, wie du möchtest«, sagte sie in mahnendem Ton und hatte dabei einen nachdenklichen Ausdruck in dem anmutigen Gesicht. Dann ging sie erneut in ihr Haus.
»Alvar, lass ihr den Fisch!«, befahl ich, weil ich den vorwitzigen Lump kannte.
Schon kam sie mit einem großen Stück roten Fleisches wieder aus dem Haus. Ich sah, wie sein Fokus automatisch auf das Fleisch fiel.
»Ich hoffe, du beißt mir jetzt nicht die Hand ab, wenn ich es dir direkt gebe!?«, fragte sie, als ihm das Fleisch zaghaft entgegenhielt.
»Wage es nicht, sie zu verletzen!«, grollte ich und er nahm es ganz zart aus ihrer Hand.
»Ich wusste, du würdest mich nicht enttäuschen, mein alter Freund«, lobte ich ihn.
»Da hat aber einer Hunger«, perlten ihre leisen Worte an sein feines Gehör. Plötzlich ertönte ein grell schrillendes Geräusch, es kam aus dem Haus und sie folgte ihm. Doch bevor sie sich gänzlich abwandte, sagte sie mit ernster Miene. »Immer noch mein Fisch.«
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