David Herbert Lawrence
Lady Chatterleys Liebhaber
Lady Chatterleys Liebhaber
David Herbert Lawrence
Illustrierte Ausgabe
Impressum
Texte: © Copyright by David Herbert Lawrence
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Übersetzer: © Copyright by Walter Brendel
Illustrationen: © Copyright by Walter Brendel
Verlag: Das historische Buch. 2021
Mail: walterbrendel@mail.de
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Inhaltsverzeichnis
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
17. KAPITEL
18. KAPITEL
19. KAPITEL
Wir leben irgendwie in einem Zeitalter, was seinem Wesen nach tragisch zu nennen ist. Aber wir weigern uns, diese Tragik anzunehmen.
Die Katstrophe ist geschehen, wir befinden uns inmitten der Ruinen, wir beginnen, neue kleine Lebensräume aufzubauen, neue kleine Hoffnungen zu haben. Es ist eine ziemlich harte Arbeit: Es gibt jetzt keinen glatten Weg in die Zukunft, aber wir gehen um die Hindernisse herum oder klettern über sie hinweg. Wir müssen leben, egal wie viele Himmel eingestürzt sind.
Das war mehr oder weniger die Situation von Constance Chatterley. Der Krieg hatte das Dach über ihrem Kopf zum Einsturz gebracht. Und sie hatte erkannt, dass man leben und lernen muss.
Sie heiratete Clifford Chatterley 1917, als er für einen Monat zu Hause auf Urlaub war. Sie hatten einen Monat Flitterwochen. Dann ging er zurück nach Flandern: um sechs Monate später, mehr oder weniger gesund, wieder nach Englandmittels eines Schiffes zurückkehrte. Constance, seine Frau, war damals dreiundzwanzig Jahre alt, er neunundzwanzig.
Sein Lebenswille war wunderbar. Er starb nicht, und die Verwundungen schienen wieder ausgeheilt zu werden. Zwei Jahre lang blieb er in ärztlicher Betreuung. Dann wurde er für geheilt erklärt und konnte wieder ins Leben zurückkehren, nur, dass die unteren Hälfte seines Körpers, von der Hüfte abwärts, für immer gelähmt war.
Das war 1920. Clifford und Constance kehrten nun in sein Haus, Wragby Hall, den "Sitz" der Familie, zurück. Durch dem Tod des Vaters war Clifford war nun ein Baron, Sir Clifford, und Constance war Lady Chatterley. Sie begannen mit der Hausrenovierung in dem ziemlich heruntergekommnen Haus der Chatterleys und mit mit einem eher unzureichenden Einkommen versuchtensie ein Eheleben zu führen. Clifford hatte eine Schwester, aber sie war weggezogen. Ansonsten gab es keine weiteren nahe Verwandten, denn der ältere Bruder war im Krieg gefallen. Für immer verkrüppelt, wissend, dass er niemals Kinder zeugen konnte, kam Clifford nach Hause in die rauchigen Midlands, um den Namen Chatterley am Leben zu erhalten, solange er konnte.
Er war nicht wirklich niedergeschlagen. Er konnte sich in einem Rollstuhl auf Rädern fortbewegen, und er hatte einen Badestuhl mit einem kleinen Motoraufsatz, sodass er sich langsam durch den Garten und in den melancholischen Park fahren konnte, auf den er wirklich so stolz war, obwohl er vorgab, leichtfertig damit umzugehen.
Nachdem er so viel gelitten hatte, war nun die Fähigkeit zu leiden, bis zu einem gewissen Grad verlasst. Er blieb heiter und strahlend, fast, könnte man sagen, munter, mit seinem rötlichen, gesund aussehenden Gesicht, mit seinen blassblauen, herausfordernden hellen Augen. Seine Schultern waren breit und kräftig, seine Händekonnten fest zupacken. Er war kostspielig gekleidet und trug hübsche Krawatten aus der Bond Street. Doch noch immer sah man in seinem Gesicht den wachsamen Blick, mit der leichten Leere eines Krüppels.
Er hatte so fast sein Leben verloren, dass das, was davon übrigblieb, wunderbar kostbar für ihn war. In der ängstlichen Helligkeit seiner Augen sah man, wie stolz er nach dem großen Schock war, am Leben zu sein. Aber er war so sehr verletzt worden, dass etwas in ihm untergegangen war, einige seiner Gefühle waren verschwunden. Da war eine Leere der Empfindungslosigkeit.
Constance, seine Frau, war ein rötliches, ländlich aussehendes Mädchen mit weichem, braunem Haar und kräftigem Körper und langsamen Bewegungen, voller ungewöhnlicher Energie. Sie hatte große, staunende Augen und eine sanfte, milde Stimme und schien gerade erst aus ihrem Heimatdorf gekommen zu sein. Das war aber überhaupt nicht der Fall. Ihr Vater war der einst bekannte R. A., der alte Sir Malcolm Reid. Ihre Mutter war eine der kultivierten Fabianerinnen aus der palmenreichen, eher präraffaelitischen Zeit. Zwischen Künstlern und kultivierten Sozialisten hatten Constance und ihre Schwester Hilda eine sozusagen ästhetisch unkonventionelle Erziehung genossen. Sie waren nach Paris und Florenz und Rom gebracht worden, um Kunst einzuatmen, und sie waren auch in die anderen Städte gebracht worden, nach Den Haag und Berlin, zu großen sozialistischen Kongressen, wo die Redner in allen zivilisierten Sprachen sprachen und niemand beschämt wurde.
Die beiden Mädchen waren daher von Klein auf nicht im Geringsten von Kunst oder idealer Politik eingeschüchtert. Es war ihre natürliche Atmosphäre. Sie waren gleichzeitig kosmopolitisch und provinziell, mit dem kosmopolitischen Provinzialismus der Kunst, der mit reinen sozialen Idealen einhergeht.
Im Alter von fünfzehn Jahren waren sie nach Dresden geschickt worden, unter anderem wegen der Musik. Und sie hatten dort eine gute Zeit gehabt. Sie lebten frei unter den Studenten, sie stritten mit den Männern über philosophische, soziologische und künstlerische Fragen, sie waren genauso gut wie die Männer selbst: nur besser, da sie Frauen waren. Und sie zogen mit kräftigen jungen Burschen, die Gitarren spielten, in die Wälder, tweng-tweng! Sie sangen die Wandervogellieder, und sie waren frei. Sie waren frei! Das war das große Wort. Draußen in der freien Welt, draußen in den Wäldern des Morgens, mit lüsternen und prächtig aussehenden jungen Burschen, frei zu tun und - vor allem - zu sagen, was ihnen gefiel. Es war das Gespräch, das am meisten zählte: der leidenschaftliche Austausch von Gesprächen. Die Liebe war nur eine geringfügige Begleitung.
Sowohl Hilda als auch Constance hatten ihre zaghaften Liebesaffären gehabt, als sie achtzehn Jahre alt waren. Die jungen Männer, mit denen sie sich so leidenschaftlich unterhielten und so lustvoll sangen und in solcher Freiheit unter den Bäumen campierten, wollten natürlich die Liebesverbindung. Die Mädchen zweifelten, aber dann wurde über die Sache so viel geredet, sie sollte so wichtig sein. Und die Männer waren so bescheiden und sehnsüchtig. Warum konnte ein Mädchen nicht königlich sein und sich selbst beschenken?
So hatten sie sich selbst verschenkt, jede an die Jungen, mit der sie die subtilsten und intimsten Auseinandersetzungen hatte. Die Auseinandersetzungen, die Diskussionen waren das Großartige: das Liebesspiel und die Verbindung waren nur eine Art primitive Umkehrung und ein bisschen ein Antiklimax. Man war danach weniger in den Jungen verliebt und ein wenig geneigt, ihn zu hassen, als hätte er seine Privatsphäre und innere Freiheit verletzt. Denn natürlich bestand die ganze Würde und der Sinn des Lebens eines Mädchens darin, eine absolute, vollkommene, reine und edle Freiheit zu erlangen. Was bedeutete das Leben eines Mädchens noch? Die alten und schäbigen Verbindungen und Unterwerfungen abzuschütteln.
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