Émile Zola - Das Geld

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Klassiker der Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten.
Börsenspekulanten und ihre großen und kleinen Opfer – von ihren Schicksalen erzählt Emile Zola in Das Geld. Ein Roman über die Intrigen und Machenschaften in der Finanzwelt, der heute aktueller ist denn je.

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Emile Zola

Das Geld

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Impressum Impressum Instagram: mehrbuch_verlag Facebook: mehrbuch_verlag Public Domain (c) mehrbuch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Erstes Kapitel

An der Börse hatte es elf Uhr geschlagen, als Saccard bei Champeaux den weißgoldenen Saal betrat, dessen zwei hohe Fenster auf den Platz hinausgingen. Mit einem Blick überflog er die Reihen kleiner Tische, an denen dichtgedrängt die geschäftigen Gäste saßen, und er schien überrascht, das Gesicht, das er suchte, nicht zu finden.

Als im Gedränge des Servierens ein mit Platten und Schüsseln beladener Kellner vorüberkam, fragte er ihn:

»Sagen Sie mal, Herr Huret ist noch nicht da?«

»Nein, mein Herr, noch nicht.«

Kurz entschlossen setzte sich Saccard in eine Fensternische an einen Tisch, von dem gerade ein Gast aufstand. Er glaubte, sich verspätet zu haben, und während man das Tischtuch wechselte, schweiften seine Blicke nach draußen und spähten nach den Passanten auf dem Bürgersteig aus. Selbst als ein neues Gedeck aufgelegt war, bestellte er nicht sofort, sondern ließ seinen Blick auf dem Platz ruhen, der heiter im hellen Licht der ersten Maitage lag. Zu dieser Stunde, da die Leute ihr Mittagessen einnahmen, war er fast leer. Unter den Kastanienbäumen mit ihrem zarten, frischen Grün waren die Bänke unbesetzt; längs dem Gitter standen in einer langen Reihe Droschken an der Haltestelle, und der Omnibus von der Bastille hielt vor dem Büro an der Ecke des Gartens, ohne daß Fahrgäste ein- oder ausstiegen. Die Sonne prallte herab, das Gebäude mit seinem Säulengang, seinen beiden Statuen, seiner breiten Freitreppe, oberhalb deren noch nichts weiter zu sehen war als die Armee der wohlgeordneten Stühle, wurde von ihrem Schein überflutet.

Aber als sich Saccard umdrehte, erkannte er Mazaud, den Wechselmakler1, am Nebentisch. Er streckte ihm die Hand hin.

»Ach, Sie sind hier? Guten Tag!«

»Guten Tag!« erwiderte Mazaud und reichte ihm zerstreut die Hand.

Dieser kleine, brünette, sehr lebhafte hübsche Mann hatte vor kurzem das Maklerbüro eines Onkels geerbt, mit zweiunddreißig Jahren. Er schien sich ganz dem Gast zu widmen, der ihm gegenübersaß, ein beleibter Herr mit rotem, glattrasiertem Gesicht: der berühmte Amadieu, den die Börse seit seinem großartigen Coup mit den Selsis-Gruben verehrte. Als die Aktien auf fünfzehn Francs gefallen waren und man jeden Käufer für verrückt erklärte, hatte er sein ganzes Vermögen in dieses Geschäft gesteckt, zweihunderttausend Francs, aufs Geratewohl, ohne Berechnung und Gespür, mit der Starrköpfigkeit eines sturen Klotzes, der sein Glück herausfordert Heute, da die Entdeckung beträchtlicher fündiger Adern den Kurs der Aktien auf über tausend Francs hatte steigen lassen, verdiente er dabei rund fünfzehn Millionen, und seine irrsinnige Spekulation, für die man ihn früher hätte einsperren lassen müssen, erhob ihn jetzt in die Reihe der großen Köpfe der Finanz. Jeder grüßte ihn und fragte ihn vor allem um Rat. Übrigens erteilte er, als sei er gesättigt, keine Orders2 mehr und sonnte sich hinfort in seinem einzigartigen, legendären Geniestreich. Mazauds Traum war es wohl, ihn als Kunden zu gewinnen.

Saccard, der von Amadieu nicht einmal ein Lächeln erhaschen konnte, grüßte zum Tisch gegenüber, an dem drei Spekulanten aus seinem Bekanntenkreis beisammensaßen, Pillerault, Moser und Salmon.

»Guten Tag! Wie gehtʼs?«

»Danke, nicht schlecht ... Guten Tag!«

Auch bei diesen spürte er Kälte, ja fast Feindseligkeit. Dabei zeigte Pillerault, sehr groß, sehr mager, heftig gestikulierend und mit einer Nase, die wie eine Säbelklinge in dem knochigen Gesicht eines fahrenden Ritters aussah, für gewöhnlich die Vertraulichkeit eines Spekulanten, der die Wagehalsigkeit zum Prinzip erhob und erklärte, daß er jedesmal in Katastrophen purzele, wenn er sich die Mühe gibt nachzudenken. Er hatte das überschwengliche Wesen eines Haussiers3, war immer auf Sieg eingestellt, während Moser mit seiner untersetzten Statur, mit seiner von einer Leberkrankheit verwüsteten gelben Gesichtsfarbe unaufhörlich jammerte, in der ständigen Angst vor einem Zusammenbruch. Was Salmon anbetraf, ein sehr gut aussehender Mann, der gegen die Fünfzig ankämpfte und mit einem prächtigen pechschwarzen Bart prunkte, so galt er als ein ungemein tüchtiger Kerl. Er sprach nie, antwortete nur mit einem Lächeln; man wußte nie, worauf er spekulierte, nicht einmal ob er spekulierte, und seine Art zuzuhören beeindruckte Moser dermaßen, daß dieser oft, nachdem er Salmon eine vertrauliche Mitteilung gemacht hatte, durch sein Schweigen so aus der Fassung geriet, daß er davonlief, um eine Order zu ändern.

Angesichts dieser Gleichgültigkeit, die man gegen ihn an den Tag legte, bekam Saccard einen fiebrigen, herausfordernden Blick, den er durch den ganzen Saal schweifen ließ. Doch er tauschte nur noch ein Kopfnicken mit einem großen jungen Mann, der drei Tische weiter saß: der schöne Sabatani, ein Levantiner mit langem, dunklem Gesicht, das wundervolle schwarze Augen erhellten, aber von einem bösen, beunruhigenden Mund entstellt wurde. Die Liebenswürdigkeit dieses Burschen brachte Saccard vollends auf: irgendein von einer ausländischen Börse Ausgeschlossener, einer dieser geheimnisvollen Frauenlieblinge, der im letzten Herbst auf den Markt geschneit war, den er schon als Strohmann bei einem Bankkrach am Werk gesehen hatte und der sich durch große Korrektheit und unermüdliches Wohlwollen, selbst den Verrufensten gegenüber, nach und nach das Vertrauen der Corbeille4 und der Kulisse5 erwarb.

Ein Kellner blieb vor Saccard stehen.

»Der Herr wünschen?«

»Ach ja ... Was Sie wollen, ein Kotelett mit Spargel.«

Dann rief er den Kellner zurück.

»Sind Sie sicher, daß Herr Huret nicht vor mir gekommen und wieder gegangen ist?«

»Oh, ganz sicher!«

So stand es nun mit ihm nach dem Zusammenbruch, der ihn im Oktober wieder einmal gezwungen hatte, seine Geschäfte zu liquidieren, sein Haus am Parc Monceau zu verkaufen und eine Wohnung zu mieten: nur Leute wie Sabatani grüßten ihn noch; bei seinem Eintritt in ein Restaurant, in dem er den Ton angegeben hatte, drehte sich nicht mehr alle Welt nach ihm um, streckten sich nicht mehr alle Hände ihm entgegen. Er war ein richtiger Spieler, er hegte keinen Groll nach diesem letzten skandalösen und unheilvollen Grundstücksgeschäft, aus dem er kaum mehr als die eigene Haut gerettet hatte. Aber ein fieberhaftes Verlangen, Revanche zu nehmen, entbrannte in ihm; Huret hatte ausdrücklich versprochen, gegen elf Uhr hier zu sein, um ihn über die Ergebnisse seiner Bemühungen bei Rougon zu unterrichten, dem damals allmächtigen Minister, und daß Huret nicht da war, brachte Saccard vor allem gegen seinen Bruder Rougon auf. Huret, der gehorsame Abgeordnete, die Kreatur des großen Mannes, war bloß ein Laufbursche. Nur, war es denn möglich, daß Rougon, der alles vermochte, ihn so im Stich ließ? Nie hatte er sich als guter Bruder erwiesen. Daß er nach der Katastrophe verärgert war, daß er offen mit ihm gebrochen hatte, um nicht selber bloßgestellt zu werden, war begreiflich; aber hätte er ihm nicht seit sechs Monaten heimlich zu Hilfe kommen müssen? Und jetzt sollte er die Stirn haben, ihm nicht kräftig unter die Arme zu greifen, wenn er ihn durch einen Dritten darum bitten ließ? Er wagte ja schon nicht, ihn persönlich aufzusuchen, weil er einen Zornesausbruch befürchtete, zu dem er sich möglicherweise hinreißen ließe. Rougon brauchte nur ein Wort zu sagen, dann käme er wieder auf die Beine und könnte diesem feigen, großen Paris von neuem den Fuß auf den Nacken setzen.

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