»Nu, was macht denn mein Prinzeßchen da?« fragte er in jenen knurrenden, halbzerrissenen Tönen, wie sie aus einem Munde kommen, dem die unzertrennliche Tabakspfeife wie festgemauert zwischen den Zähnen sitzt.
»Ach, du bist's, Heinz?« – Vor dem schämte ich mich nicht; er lief selber wie ein Hase vor Allem, was nicht ganz geheuer. Freilich, das glaubte Keiner, der dies alte, gewaltige Menschenkind sah.
Da stand er, Heinz, der Imker, auf Sohlen, so massiv und wuchtig, daß sie den Erdboden schüttern machten. Sein Scheitel rührte an Aeste, die für mich himmelhoch hingen, und der breite Rücken verschloß den Ausblick nach der Heide so vollkommen, als habe sich plötzlich eine Granitwand zwischen die Außenwelt und meine kleine Person geschoben.
Dieser Riese gab Fersengeld vor dem ersten besten weißen Laken im dämmernden Zwielicht – und das machte mir Vergnügen. Ich erzählte ihm so lange haarsträubende Sagen und Spukgeschichten, bis mich selber eine Gänsehaut überlief, und ich allen Mut verlor, auch nur in den nächsten dunklen Winkel zu sehen – wir fürchteten uns prächtig um die Wette.
»Ich zertrete ein Paar Augen, Heinz,« sagte ich und stampfte noch einmal fest auf, so daß die sprühenden Wassertropfen an seinem mißfarbenen Drellrock hängen blieben. »Du, da drin ist's nicht richtig –«
»Ei beileibe – am hellen Tage?«
»Ach, was fragt denn die Wasserfrau nach dem hellen Tage, wenn sie böse ist!« – Mit einer wahren Wonne sah ich, wie er halb ungläubig, halb mißtrauisch nach dem rotgefärbten Wasser schielte. – »Wie, du glaubst es nicht, Heinz? .... Ei, da wollt' ich doch, sie hätte dich so angesehen, so schlimm –«
Jetzt war er überwunden. Er zog die Tabakspfeife aus dem Munde, spuckte heftig aus und richtete in einem lächerlichen Gemisch von Triumph und Besorgnis die zerkaute Pfeifenspitze gegen mich.
»Was hab' ich immer gesagt, he?« rief er. »Ich thu's aber auch nicht wieder – nein, ich thu' es ganz gewiß nicht wieder! .... Meinetwegen können die Dinger haufenweise da drin liegen, ich rühre sie nicht wieder an – beileibe nicht!« –
Da hatte ich ja etwas Schönes angerichtet mit meiner Neckerei.
Der kleine Fluß, der Wanderbursch, der so einsam durch die Heide lief, war reicher, als so mancher stolze Strom, der an Palästen und Menschengewühl vorüberrauschte – er hatte Perlen in der Tasche; allerdings in nur geringer Anzahl und bei weitem nicht brillant genug, um ein Königsdiadem, oder auch nur einen eleganten Ring zu schmücken. Aber was verstand ich davon! Ich liebte die kleinen mattglänzenden Dinger, die so rund und beweglich über meine Handfläche liefen. Stundenlang watete ich durch das Wasser und suchte nach Muscheln; ich brachte sie Heinz, der sich auf das Oeffnen der Schalen verstand – wie er das machte, war sein Geheimnis. Nun aber kündigte er mir kurz und bündig den Dienst, weil er sich steif und fest einbildete, die Wasserfrau werde uns als Spitzbuben den Prozeß machen.
»He, Heinz, es war ja nur ein dummer Spaß!« sagte ich kleinlaut. »Lasse dir doch nichts weismachen!« – Ich bog mich über das Wasser, das bereits anfing, sich wieder zu glätten. »Da sieh selber – was guckt da herauf? ... Nichts, weiter gar nichts, als meine zwei eigenen schauderhaften Augen .... Warum sie nur so unmenschlich weit offen sind, Heinz! Bei Fräulein Streit war es nicht so schlimm und bei Ilse auch nicht.«
»Nein, bei Ilse auch nicht,« gab Heinz zu. »Aber Ilse hat scharfe Augen, Prinzeßchen, scharfe!«
Er hatte mir anfänglich mit seiner furchtbaren Faust gedroht, allerdings unter einem gutmütigen Schmunzeln – Heinz konnte nicht böse werden – bei seiner letzten unleugbar weisen und schlagenden Bemerkung aber kniff er wichtig die Lippen zusammen, zog die borstigen Augenbrauen bis unter den Hut und fuhr sich in die Haarbüschel, die strohgelb und dürr von den Schläfen starrten – sie knisterten förmlich in der heißen Abendsonne.
Darauf blies er eine mächtige Rauchwolke vor sich hin, zum Entsetzen der spielenden Mückenschwärme, die sich eiligst aus dem Staube machten; auch daheim die Ilse »mit den scharfen Augen« behauptete stets empört, das sei ein Kraut zum Umbringen – nur ich hielt stand, und wenn ich hundert Jahre erreichen sollte, der übelberufene Duft wird mich zu allen Zeiten sofort in die warme dunkle Ofenecke versetzen, mit dem ganzen Wonnegefühl des heimischen Geborgenseins neben Heinz auf der Holzbank kauernd, während draußen der heulende Schneesturm über die weite Heidefläche braust, und ganze Batterien Eissplitter gegen die Fensterläden tosen.
Ich sprang zu ihm an das Ufer, und da kam auch gerade Mieke heran und rupfte zutraulich an einigen Quecken, die halbzertreten unter Heinzens Schuhen hervorguckten.
»Je – wie sieht denn die aus?« lachte er auf.
»O, ich bitte mir's aus, da wird nicht gelacht!« schalt ich.
Mieke hatte sich prächtig herausstaffiert. Zwischen den weitabstehenden Hörnern hing ihr eine Guirlande von strahlendgelben Ringelrosen und Birkenlaub – ich fand, sie trüge diesen Schmuck so majestätisch und ungezwungen, als sei er mit ihr auf die Welt gekommen – eine Kette aus den dicken Stengelröhren der Hundeblume umschloß ihren Hals, und selbst an der Schwanzspitze baumelte ein Heidesträußchen; es kollerte lustig über den tonnenförmigen Leib herab, sobald Mieke den Wedel hob und nach den Stechmücken auf ihrem Rücken schlug.
»Sie sieht sehr feierlich aus – aber das verstehst du nicht,« sagte ich. »Nun paß auf und rate, Heinz: Mieke hat sich geputzt, und auf dem Dierkhofe ist heute Kuchen gebacken worden – also, was ist los?«
Aber da hatte ich an seine allerschwächste Seite appelliert; raten war nicht Freund Heinzens Sache. In solchen Momenten stand er hilfsbedürftig und bänglich vor mir, wie ein zweijähriges Kind – auch in diese Situation brachte ich ihn um alles gern.
»Schlaukopf, du willst mir nur nicht gratulieren!« lachte ich. »Aber das wird dir nicht geschenkt! ... Lieber, allerbester Heinz, heute ist mein Geburtstag!«
Da flog es wie Freude und Rührung über das gute, dicke Gesicht; er hielt mir die ungeschlachte Hand hin, in die ich herzlich einschlug.
»Und wie alt ist denn meine Prinzessin geworden?« fragte er mit konsequenter Umgehung jedweder Glückwunschrede.
Ich lachte ihn aus. »Weißt du das wieder nicht? ... Merk' auf: Was folgt auf sechzehn?«
»Siebzehn – was? Siebzehn Jahre? ... Ist nicht wahr – solch ein kleines Kind! – Ist ja nicht wahr!« – Er hob protestierend beide Hände.
Dieser tiefe Unglaube empörte mich. Allein mein alter Freund, der es sich bis zu seinem zwanzigsten Jahre hatte angelegen sein lassen, mit der himmelstürmenden Tanne um die Wette zu wachsen, er war nicht so ganz im Unrecht ... Seit bereits drei Jahren reichte mein Ohr genau so hoch, daß es Heinzens starkes Herz pulsieren hören konnte – nicht um eine Linie höher war es in dieser langen Zeit gerückt. Ich war und blieb ein kleines Wesen, das sich gezwungen sah, auf Kinderfüßen durch das Leben zu huschen; und das nahm mir, nach Heinzens Begriffen von einem normalen Menschenkind, offenbar auch die Berechtigung, mit jedem Jahr älter zu werden.
Trotz alledem zankte ich ihn tüchtig aus; aber diesmal half er sich als Politikus – er wechselte das Thema. Statt aller Antwort zeigte er mit dem Daumen über die Schulter zurück und sagte schmunzelnd: »Da drüben gibt's einen extra Geburtstagsspaß, Prinzeßchen – sie graben den alten König aus!«
Mit einem Sprunge stand ich außerhalb des Gebüsches.
Ich mußte beide Hände schützend über die Augen halten, so überwältigend flimmerten und brannten die roten Abendgluten. Drüben hinter der fernen Waldlinie schossen sie spießartig durch dünne Dunst- und Wolkenschichten – dort umritten die alten Recken der Vorzeit die weite Heide und rührten mit den funkelnden Speeren an den Himmel.
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