Der Fürst verbeugte sich sofort nach beiden Seiten und entfernte sich schweigend. Alexandra und Adelaida lächelten und flüsterten miteinander. Lisaweta Prokofjewna warf ihnen einen strengen Blick zu.
»Wir amüsieren uns nur darüber, Mama«, sagte Adelaida lachend, »daß der Fürst so wundervolle Verbeugungen machte; manchmal ist er plump wie ein Sack und nun auf einmal so gewandt wie ... wie Jewgeni Pawlowitsch.«
»Zartgefühl und Würde lehrt uns das Herz und nicht der Tanzmeister«, versetzte Lisaweta Prokofjewna in Form einer allgemeinen Sentenz, beendete damit das Gespräch und ging in ihr Zimmer hinauf, ohne Aglaja auch nur anzusehen.
Als der Fürst in seine Wohnung zurückkehrte (es war schon gegen neun Uhr), fand er in der Veranda Wjera Lukjanowna und das Dienstmädchen vor. Beide räumten zusammen auf und fegten nach der gestrigen Unordnung aus.
»Gott sei Dank! Wir sind noch gerade vor Ihrer Rückkehr fertig geworden!« sagte Wjera erfreut.
»Guten Morgen; mir ist ein wenig schwindlig; ich habe schlecht geschlafen; ich möchte es jetzt noch ein bißchen nachholen.«
»Hier in der Veranda, wie gestern? Schön! Ich werde allen sagen, daß sie Sie nicht wecken sollen. Papa ist weggegangen.«
Das Dienstmädchen ging hinaus; Wjera war schon im Begriff ihr zu folgen, wendete sich aber noch einmal um und trat mit besorgter Miene an den Fürsten heran.
»Fürst, haben Sie Mitleid mit diesem ... mit diesem Unglücklichen; jagen Sie ihn nicht heute weg!«
»Um keinen Preis werde ich ihn wegjagen; er kann so lange bleiben, wie er selbst will.«
»Er wird jetzt nichts anrichten, und ... verfahren Sie nicht zu streng mit ihm!«
»O nein! Warum sollte ich das tun?«
»Und ... lachen Sie ihn nicht aus; das ist das Allerwichtigste.«
»O, durchaus nicht!«
»Ich bin dumm, daß ich einem Mann wie Sie das erst noch sage«, sagte Wjera errötend. »Aber obwohl Sie müde sind«, fügte sie lachend hinzu, indem sie sich bald umwandte, um fortzugehen, »haben Sie doch in diesem Augenblick so prächtige Augen ... so glückliche Augen.«
»Wirklich glückliche?« fragte der Fürst lebhaft und lachte fröhlich auf.
Aber Wjera, die sonst natürlich und ungeniert wie ein Knabe war, wurde auf einmal verlegen, errötete noch stärker und ging, immer weiterlachend, schnell hinaus.
»Was für ein prächtiges Mädchen ...«, dachte der Fürst, vergaß sie aber im nächsten Augenblick wieder. Er ging in eine Ecke der Veranda, wo eine Chaiselongue mit einem Tischchen davor stand, setzte sich hin, bedeckte das Gesicht mit den Händen und saß so etwa zehn Minuten lang; dann fuhr er auf einmal eilig und unruhig mit der Hand in die Seitentasche und zog die drei Briefe heraus. Aber die Tür öffnete sich von neuem, und Kolja kam herein. Der Fürst freute sich ordentlich, daß er die Briefe wieder in die Tasche stecken und die Lektüre verschieben mußte.
»Na, das war heute nacht eine tolle Geschichte!« sagte Kolja, indem er sich auf die Chaiselongue setzte und wie alle Menschen seines Schlages ohne weiteres zur Sache kam. »Was haben Sie jetzt für ein Urteil über Ippolit? Versagen Sie ihm Ihre Achtung?«
»Warum sollte ich das tun ...? Aber, Kolja, ich bin müde ... Außerdem ist es gar zu traurig, davon wieder anzufangen ... Was macht er aber jetzt?«
»Er schläft und wird noch zwei Stunden fortschlafen. Ich verstehe: Sie haben zu Hause nicht geschlafen, sondern sind im Park umhergewandert ... natürlich, die Aufregung ... wie wäre es auch anders möglich?«
»Woher wissen Sie, daß ich im Park umhergewandert bin und zu Hause nicht geschlafen habe?«
»Wjera hat es mir soeben gesagt. Sie sagte, ich sollte jetzt nicht zu Ihnen hereingehen; aber ich konnte es doch nicht unterlassen; ich bin nur auf ein Augenblickchen gekommen. Ich habe die letzten zwei Stunden am Bett Wache gehalten; jetzt hat mich Kostja Lebedjew abgelöst. Burdowski ist weggegangen. Also legen Sie sich nur hin, Fürst! Gute Nacht ... na, oder guten Tag! Aber wissen Sie, ich bin doch sehr ergriffen!«
»Gewiß ... dieser ganze Vorgang ...«
»Nein, Fürst, nein; was mich so ergriffen hat, war die ›Beichte‹. Namentlich die Stelle, wo er von der Vorsehung und von dem zukünftigen Leben sprach. Das war ein gi-gan-tischer Gedanke!«
Der Fürst sah Kolja freundlich an, der natürlich nur gekommen war, um möglichst bald über den gigantischen Gedanken sprechen zu können.
»Aber die Hauptsache, die Hauptsache ist nicht der Gedanke selbst, sondern daß er unter solchen Um ständen geäußert wurde! Hätte das Voltaire oder Rousseau oder Proudhon geschrieben, so würde ich es gelesen und mir eingeprägt haben; aber es hätte mir nicht in dem Grade imponiert. Aber wenn ein Mensch, der bestimmt weiß, daß er nur noch zehn Minuten zu leben hat, wenn ein solcher Mensch so redet, das ist doch etwas Großartiges! Das ist doch die höchste Unabhängigkeit der eigenen Würde; das stellt doch eine direkte Herausforderung dar ... Nein, das ist eine gigantische Geisteskraft! Bei solcher Lage der Dinge zu behaupten, er hätte absichtlich unterlassen, ein Zündhütchen aufzusetzen, das ist eine Gemeinheit, eine Absurdität! Aber wissen Sie, er hat gestern eine listige Täuschung begangen: ich habe nie mit ihm seinen Koffer gepackt und die Pistole nie gesehen; er hat alles selbst gepackt, so daß ich bei seiner Behauptung zunächst ganz verblüfft war. Wjera sagt, Sie würden ihn hierbehalten; ich stehe dafür, daß keinerlei Gefahr droht, um so weniger, da wir alle bei ihm unausgesetzt Wache halten.«
»Wer von Ihnen ist denn in der Nacht bei ihm gewesen?«
»Ich, Kostja Lebedjew und Burdowski. Keller war eine Weile da und ist dann zu Lebedjew gegangen, um bei dem zu schlafen, weil bei uns nichts war, worauf er hätte liegen können. Ferdyschtschenko hat ebenfalls bei Lebedjew geschlafen und ist um sieben Uhr weggegangen. Der General wohnt dauernd bei Lebedjew; jetzt ist er ebenfalls weggegangen ... Lebedjew wird vielleicht gleich zu Ihnen kommen; er sucht Sie, ich weiß nicht weswegen, und hat schon zweimal nach Ihnen gefragt. Sollen wir ihn hereinlassen oder nicht, wenn Sie sich jetzt schlafen legen wollen? Ich will mich auch hinlegen und schlafen. Ach ja, eines wollte ich Ihnen noch erzählen: ich habe mich vorhin über den General gewundert. Burdowski weckte mich zwischen sechs und sieben oder genauer kurz nach sechs, damit ich die Wache übernähme. Ich ging für einen Augenblick hinaus und stieß plötzlich auf den General, der noch so betrunken war, daß er mich nicht erkannte; er stand wie ein Holzpfahl vor mir. Als er dann seine Gedanken einigermaßen gesammelt hatte, fuhr er ordentlich auf mich los mit der Frage: ›Was macht der Kranke? Ich bin hergekommen, um mich nach dem Kranken zu erkundigen ...‹ Ich berichtete ihm dies und das. ›Das ist ja schön‹, sagte er; ›aber ich bin hauptsächlich hergekommen und deswegen aufgestanden, um dich zu warnen; ich habe Grund zu der Vermutung, daß man in Herrn Ferdyschtschenkos Gegenwart nicht alles sagen darf und ... sich vor ihm hüten muß.‹ Können Sie das verstehen, Fürst?«
»Eigentümlich; übrigens kann es uns ja ganz gleichgültig sein.«
»Ja, zweifellos kann es uns ganz gleichgültig sein; wir sind ja keine Freimaurer! Aber ich habe mich höchlichst darüber gewundert, daß der General deswegen in der Nacht hinkam und mich wecken wollte.«
»Sie sagen, Ferdyschtschenko ist weggegangen?«
»Ja, um sieben Uhr; er kam noch für einen Augenblick zu mir heran; ich hatte die Wache. Er sagte, er wolle zu Wilkin gehen und bei dem weiterschlafen; das ist ein arger Trunkenbold, dieser Wilkin. Na, nun will ich gehen! Da kommt auch Lukjan Timofejewitsch ... Der Fürst will schlafen, Lukjan Timofejewitsch; also kehrt, marsch!«
»Nur auf eine Minute, hochverehrter Fürst, in einer meiner Ansicht nach wichtigen Angelegenheit«, sagte der eintretende Lebedjew halblaut in ernstem Ton und verbeugte sich würdevoll.
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